Wer Liebe saet...

Маргарита Винс
Das nicht nur Woerter, sondern auch Gefeuhle uebersetzt werden koennen und auch sollen und sogar muessen – davon bekam ich eine Ahnung am Anfang der Neunziger. Eine Verwandte erzaehlte damals, wie sie die Karnevalsfeier in ihrem Ort erlebt hat. „Alle lachten, freuten sich, jubelten, nicht nur die Karnevalisten in den Umzugswagen, sondern auch die Leute, die sie vom Strassenrand angefeuert haben. Nur ich konnte nichts damit anzufangen, es war mir so fremd… Dann habe ich mir vorgestellt, es waere in unserer Stadt in Altai gewesen und da haetten sich die Leute genauso gefreut und gefeiert. Es waere dann ganz natuerlich, ja, voll in Ordnung gewesen und ich haette vom ganzen Herzen mitgefeiert.“ So hat die Frau den inneren emotionalen Konflikt geloest.

Danach wurde es zu meiner Methode, die ich ganz bewusst einsetzte.
Einmal erzaehlten mir meine neuen Bekannten, wie sie ihre Familie gegruendet haben und welch grossee Umstellung es fuer den Ehemann war, in das Staedtchen zu seiner Angetrauten umziehen zu muessen: Er kam aus einer kleinen Ortschaft in der Naehe. Da ich die Stadt und das Dorf kannte, konnte ich kaum das Lachen unterdruecken. In meinen Augen war in der Region, so gut wie alles, beliebig austauschbar. Klar sah ich nur die Unterschiede zwischen Nord- und Sueddeutschland, zwischen Ost und West, zwischen Grossstadtbewohnern und den Leuten vom Lande, oder Leuten die aus solch kernigen Staedten, wie z. B.: Koeln, kamen.
Die Loesung kam spaeter: In der alten Heimat lebte ich selbst, unter anderem, auch auf dem Land. Sogar ein Umzug in ein Nachbardorf waere in der Tat, eine riesige Umstellung gewesen. Die Bewohner eines Dorfes haben, im uebertragenen Sinne, einen eigenen genetischen Fingerabdruck, dadurch bekommt jede Ortschaft, sein besonderes unverkennbares Gesicht. Das war in Russland so, das ist auch hier nicht anders.

Dazu kam noch eine Erkenntnis: Durch die Liebe zu den eigenen Kindern kann man auch das Land mehr verstehen und lieben lernen. So etwas in der Art habe ich schon in meiner Jugend bei einer Schulfreundin gemerkt. Die war rigoros und kritisch, wenn es um die kleinen Schwaechen der Mitmenschen ging. Aber als sie die gleichen Fehler bei der eigenen Mutter gemerkt hat, aenderte sie ihre Meinung, wurde milder und verstaendnisvoller.

Das Leben in einem fremden Land ist kein Zuckerschlecken, es gibt genug Negatives, das auch eigene Aggressionen staerken kann. So bemerkte ich, wie die Deutschen sich fuer die Nazivergangenheit schaemen, wie frisch das Gedaechtnis vom Krieg bei den anderen Voelkern Europas, besonders in Frankreich oder England, noch ist. Da kam bei mir eine gewisse Schadensfreude und Haeme hoch. Das sind niedere Gefuehle, auf die ich nicht stolz bin, dennoch hoffe ich, dass man diese aus dem gesamten Kontext nachvollziehen und verstehen kann. Nun sind meine Kinder hier aufgewachsen, zum Teil auch hier zu Welt gekommen, sie sind Deutsche und haben keine andere Heimat. Sie reden, denken, fuehlen und benehmen sich so, dass sie in jedem anderen Land der Welt als solche betrachtet werden. Moechte ich denn, dass sie beschimpft und beleidigt werden, oder dass man sie nur schief ansieht? Natuerlich nicht, ich moechte, dass sie stolz auf ihre Heimat sind und souveraen mit deren Geschichte umgehen koennen.

Diese Methode laesst sich erweitern, weil zum Familienumfeld im weiteren Sinne, sich immer mehr neue Mitglieder aus anderen Kulturkreisen, gesellen. Manche von ihnen besitzen bestimmte Merkmale oder Charaktereigenschaften, die fuer einem frueher abstossend waren oder fuer einen Zoff im Arbeitsleben gesorgt haben. Nun gehoeren sie zur Familie und man muss nicht nur lernen mit ihnen auszukommen, sondern sie auch lieben. Und es funktioniert!

Nur durch Liebe kann sich die Welt positiv veraendern. Alle anderen Wege fuehren ins Verderben. Nur demjenigen, der verzeiht, wird verziehen, dem, der mit vollen Haenden gibt und hilft, wird auch geholfen. Dank der atheistischen sowjetischen Erziehung habe ich mit der Religion nichts am Hut. Das Leben selbst, fuehrt mir die alten biblischen Erkenntnisse vor Augen.