Reuen und suehnen - 3

Ðàèñà Êðàïï
Reuen und  sühnen-2 - http://proza.ru/2015/12/10/861

Arme und Beine wurden Kira weich wie Watte, als sie Sergej unbeweglich hingestreckt im Sand liegen sah. Dann handelte sie plötzlich wie ferngesteuert. Sie warf den Kopf heftig nach hinten und traf voll ins Schwarze. Von dort her ertönte ein Schrei, die Umklammerung ließ spürbar nach. Kira riß sich los, ergriff hastig ihre Tasche, langte darin nach einer leeren Wasserflasche und freute sich gar noch über den Umstand, daß die aus Glas war. Mit dem Rücken gegen den Felsen verfolgte sie mit panischen Blicken, wie vier von den Jungs langsam auf sie zukamen. Der fünfte saß nach wie vor mit abwesendem, gelangweiltem Gesichtsausdruck im Auto. Jetzt fiel Kira auf, daß sie alle betrunken waren. Drei Schritte entfernt blieben die Kerle stehen und musterten sie hämisch. Kira hieb die Flasche schnell und kräftig gegen den Felsen. Fast wäre sie ihr entglitten. Nun also hielt sie den Rest der Flasche, den scharfkantigen Flaschenhals, in der Hand.
In diesem Moment stieg der fünfte aus dem Wagen, warf lässig die Zigarette fort und kam auf sie zu. Innerlich bebte Kira, aber seltsamerweise hatte sie keine Angst. Nie zuvor hatte sie eine so eiskalte Wut verspürt, schon gar nicht – wie jetzt – bei absolut klarem Kopf. Gelassen und kaltblütig schätzte sie die Situation ein. Sie fühlte nur Haß und Verachtung.
Mittlerweile stand jener fünfte Kerl – der längste von ihnen – vor Kira und betrachtete sie wie ein possierliches, exotisches wildes Tier. Sein rauschgetrübter, gleichsam lauernder, aber nicht musternder Blick verlor sich in ihren weitaufgerissenen grauen Augen. Seine Lippen formten sich zu einem schwachen Lächeln.
„Ah, 'ne ganz Tapfere bist du!“, sagte er in einem seltsamen Tonfall.
Unklar, ob er sich über sie lustig machen oder nur einen Fakt konstatieren wollte.
„Aber es ist nicht gut, die Flasche kaputtzuhauen und auf den Scherben herumzutrampeln, noch dazu barfuß. So verletzst du dir bloß die Füße.“
Jetzt, da er sprach, verloren seine Augen ihre unbegreifliche hypnotisierende Wirkung. Und Kira sah diesen kalten abwesenden Gesichtsausdruck aus einer anderen Perspektive. Sie dachte unvermittelt, ihn früher schon einmal gesehen zu haben. Aber dieses beiläufige Erkennen blitzte nur kurz auf, fernab ihres Bewußtseins.
„Diese besessene Verrückte hätte mir fast alle Haare ausgerissen“, hörte Kira eine böse Stimme sagen.
Der Lange lachte plötzlich auf. „Sei froh, daß sie dich nicht skalpiert hat!“
„Was machst du dich über uns lustig?“, war auch Katschok der Springer ungehalten. „Es wär nichts dabei, sie zusammen mit ihrem nervigen Freund abzustechen.“
Wieder etwas, das den Langen erheiterte.
„Du siehst aus wie nach einer kosmetischen Operation“, sagte er mit Blick zu Katschok und dessen rot angeschwollener Nase und noch immer tränenden Augen. Jener war am Fluchen.
Der Lange drehte sich wieder zu Kira um: „Du gefällst mir, Kleine“.
Kira beobachtete ihn aufmerksam.
„Hab keine Angst. Niemand tut dir was.“
Dabei starrte er auf den scharfkantigen Flaschenhals, den Kira mit weißangelaufenen Fingern fest umklammerte.
„Wolltest du das Ding jemandem reinrammen? Besser, du tust es nicht. Das wäre schlimm für dich. Wirf’s lieber weg. Du verletzst dich noch.“
Unerwartet taumelte er auf sie zu. Und Kira hielt ihm den Flaschenhals drohend entgegen. Nach einem plötzlichen harten Schlag gegen ihre Hand ließ sie ihn fallen. Sie schrie auf vor Schreck und Schmerz. Die anderen wieherten los vor Vergnügen.
„Demnach hättest du das wirklich fertiggebracht?“, lachte der Lange, hielt für einige Sekunden ihre Hand fest, gegen die er seinen Schlag geführt hatte, und sagte: „Dein Freund behauptet, du wärst seine Frau. Lügen ist nicht schön“.
„Du Abschaum! Du Dreckskerl!“
„Na, na, na, du wirst doch hier nicht so rumschimpfen! Die Jungs sind eh schon sauer auf dich. War es denn nötig, sie derart zuzurichten?! Komm jetzt, sei friedlich und steig ein, wir wolln los. Du wirst sehn, wir sind gar nicht so furchterregend.“
„Ja, Gleb, richtig, die nehmen wir mit! Was für schlimme oder nette Kerle wir sind, können wir dort klären“, pflichtete ihm der Mongole bei.
Kiras Augen verengten sich unheilvoll. Dem Langen entging das nicht, und er stimmte höhnisch grölend an: „He, du Suffkopp, willst du wohl deine dreckigen Finger von ihr lassen! Was bildest du dir ein, du Schwachkopf? Die gehört mir“.
„Hast wohl 'n neues Lied auf Lager?“
„Na klar, und zwar von einer, die mit ihrer Liebe geizt.“
„Geizt? Na und wenn schon! Aber diesem Idioten da werden wir die süße Puppe doch nicht überlassen, he?“, worauf er mit einer Hand nach Kiras Hüfte langte.
Sie reagierte darauf wie eine gespannte Sprungfeder.
„Nimm deine schmierigen Pfoten weg, du Miststück!“, kam es aus ihr wie aus der Pistole geschossen, und sie traktierte mit den Fingernägeln sein Gesicht.
„Du Schlampe!“ fluchte er und holte zum Schlag aus.
In Erwartung dessen verkrampfte sich Kira, der Lange aber hob abwehrend die Hand.
„He, Nomade, wisch dir erst mal das Blut ab. Doch nicht vor dir scharrt die Stute mit den Hufen. Die da braucht 'nen andern, der sie zureitet. Mann, bist du wild, mußt echt gezügelt werden!“
Kiras vernichtender Blick verfehlte seine Wirkung. Ob der harten, spöttisch-benebelten Augen blieb ihr glatt die Spucke weg.
„Komm zu mir, meine Kleine, bist ja ganz blaß. Och, die bösen Onkels haben das brave Mädchen verschreckt. Komm nur her, ich tu dir nichts, wir spielen ein bißchen – ich bin dein Playboy. Haste nicht Lust?“
Er legte ihr die Hände auf die Schultern – die trocknen Finger hart und rauh. Bei seinen Augen fiel Kiras Selbstbeherrschung in sich zusammen. Verzweiflung packte sie bei so bodenlos abgründiger Anmaßung, die sie ausstrahlten. Dazu eine Selbstsicherheit, daß sie der Härte dieses Kraftprotzes aber auch rein gar nichts entgegenzusetzen hatte und sich ihm gegenüber winzig klein fühlte. Da war auch wieder dieser Ausdruck in seinem Blick – leidenschaftslos, forschend und schlimmer als alles andere –, daß sie es zunehmend mit der Angst bekam. Im nächsten Augenblick kriegte er ihre Hände zu fassen, während diese noch herumfuchtelten, und hielt sie lässig in die Höhe.
„Na, wo kann ich mit dir allein fertigwerden?“
Kira stemmte die Fersen gegen den Felsen. Der Lange löste ihr Haar, das sie mit einer Spange hochgesteckt hatte, und es fiel ihr schwer auf die Schultern. Nun strich er es mit einem Finger auseinander, dann spürte sie seine heißglühende Hand an ihrem Hals. Behutsam, gefühlvoll und sacht ließ er sie weiter über ihre Schulter gleiten bis direkt unter einen der engen Träger ihres Badeanzugs, so daß er herunterrutschte. Kira riß sich los und schrammte sich am Felsen Rücken und Schultern.
„Was sträubst du dich? Es gefällt dir doch.“ – sagte er zu ihrer Besänftigung.
Kira schluckte und blickte zu ihm auf. Sein Hohn traf sie wie eine Ohrfeige. Angst und Ekel stiegen in ihr hoch, sodann versuchte sie – sich ihm widersetzend –, ihre Hände aus seinem eisernen Griff zu befreien. Dabei prallte sie mit dem Gesicht gegen seine Schulter und verbiß sich darin. Mit einem Aufschrei stieß er sie von sich. Die von ihrem Biß blaßweißen Druckstellen liefen unversehens von Blut triefend rot an.
„Ah, du kleines Biest…“
Lugte da hinter der eiskalten überheblichkeit zum erstenmal nicht etwas Menschliches hervor – oder gar Interesse?
„Nein sowas, wieviel Leidenschaft! Aber Schluß jetzt, das Gör kennt keine Regeln.“
„Vielleicht probier ich es mal?“, grinste der Mongole nervös.
„Eh du, Nomade, ich wußte gar nicht, daß du Masochist bist. Laßt's gut sein, Jungs, trollt euch.“
Der Mongole verzog den schmallippigen Mund.
„Tschüß, Kleine. Wir sehn uns.“
„Das sagt er nur aus Höflichkeit. Im Nu vergißt der dich, stimmt's, Nomade?“, lachte der Lange.
Wie durch einen Nebelschleier sah Kira den Gestalten nach und konnte es kaum fassen, daß die sich wirklich entfernten. Den Langen vergaß sie für einen Augenblick, der brachte sich selber in Erinnerung.
„Jetzt verrat mir doch mal, was du für eine bist und was dich hierherverschlagen hat?“, wollte er von ihr wissen. Dabei ließ er seinen Blick über ihren entblößten Busen schweifen.
Fieberhaft brachte sie ihren Badeanzug in Ordnung, mit zitternden Armen umschlang sie ihre Schultern, weil sie ein Frösteln und Schaudern überkam.
„Bitte geh endlich“, stieß sie gequält hervor.
Im selben Moment schien es ihr, als käme Sergej wieder zu sich, und sie stürzte zu ihm. Doch der Lange packte sie am Oberarm und stieß sie nicht unsanft zurück.
„Was hast du's so eilig, kommst noch früh genug zu ihm“, grinste er. „Beruhig dich, ihm ist nichts passiert. Zu seinem Nutzen, damit er nicht viel fragt oder mitbekommt, haben sie ihn ausgeschaltet. Hör zu, laß ihn laufen. Jetzt gehst du halt einfach mit mir und mußt niemandem was erklären, er wird’s schon kapieren. Er ist kein Schwächling, aber nichts für dich. So ein Mädel wie du braucht einen fähigen Beschützer. Um eine wie dich würd' ich mich bis aufs Blut raufen“, griente er mit einem verstohlenen Blick zu der blutunterlaufenen Stelle auf seiner Schulter. Sergej stöhnte kaum vernehmbar. Kira wollte zu ihm eilen und war entsetzt von des Langen finstrem, rauschgetrübtem Blick seiner Augen, ihr zartes Gesicht von Abscheu entstellt.
„Faß mich nicht an, du versoffenes Miststück!“, fuhr sie ihm in die Parade.
Wie versteinert und starren Blicks stand er da.
„Wie heißt du?“
„Ich hasse dich“, schnitt sie ihn ab, ihre blutleeren Nasenflügel bebten.
„Macht nichts, ich find dich!…“
„Du-u-u…“, suchte Kira nach einem Wort, das alles über ihn sagt. „Dreckskerl, Abschaum…, aber was soll's!“
Mit einem Schlag auf die Hände ließ sie ihn stehen und fiel vor Sergej auf die Knie. Vorsichtig richtete sie dessen Kopf auf.
„Serjosha!.. Serjosha, mein Lieber!..“
Der Lange ging in die Hocke und tätschelte Sergej die Wange.
„Eh!“
Sergej stöhnte.
„Keine Angst, dem fehlt nichts. Hör auf zu heulen, es ist alles in Ordnung!“, sagte der Lange, als er die Tränen in Kiras Augen gewahrte.
„Verpiß dich!“, traf ihn ihr haßschäumender Blick.

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