E-Mail èç Íèðâàíû Ãëàâà èç ðîìàíà Ïåðâûé øàã íàâåðõ

(Email aus Nirwana, oder Drei Partien gegen Tschingis-Chan)

Was ich in diesem Kapitel erzählen will, ist natürlich fantastisch.
Wer wird mir schon glauben, dass ich gegen Tschingis-Chan Schach spielte? Ich glaube natürlich selber daran nicht! Ich bin doch nicht verrückt!
Aber ich muss einfach erzählen, wie es war.
Es spielt schon keine Rolle, ob jemand daran glaubt oder nicht. Die Geschichte ist Geschichte, ich kann eigentlich nicht viel dagegen machen. Und nicht vergessen, es geschah alles vor vielen, vielen Jahrhunderten, man kann fast ernst sagen – der Planet Erde war damals noch warm. Das Leben war grob, hart und ungerecht. Aber viele Menschen spielten trotzdem Schach und manche ganz gut. Und es war manchmal so, dass ...
Aber eines nach dem anderen.
Letzte Woche hatte ich nur Kopfschmerzen, es lag offensichtlich am Wetterumschwung. Ich trinke am Tage normalerweise zwei Bierchen und ab und zu ein Fläschle Brandwein.
Das macht nicht krank, klar!
Aber das Wetter ist sicherlich sehr kompliziert, und je näher ich mich meinem 100-jährigen Jubiläum komme, desto mühsamer sind für mich verschiedene Wetteränderungen.
Also so war für mich der Monat Februar 2005.
Und dann habe ich einfach eine Email in meiner Mailbox im Internet entdeckt. Die habe ich gelesen, nichts kapiert und nur paar Wochen später irgendwie begriffen, worum es eigentlich geht.
Der Brief lautete:
Sei gegrüsst, Boris! Es ist schon lange her, als wir gemütlich Schach gespielt haben. Aber ich erinnere mich immer wieder daran mit Vergnügen und einem merkwürdigen Gefühl von Genugtuung und Dankbarkeit. Heute regnet es leicht in der Steppe, das junge Grass riecht schon nach neuem fröhlichem Frühling. Ich spaziere oft zu meinem Wasserfall am Sonnenuntergang und geniesse frische Luft, warmen westlichen Wind und berauschendes Gefühl des kommenden Frühlings. In meiner Welt ist alles sehr schön und prächtig. Der Schneegestöber von gestern liess noch ein bisschen Schnee in der Steppe, aber die warme Sonne lässt den schnell verschwinden. Am Wasserfall habe ich über unsere Partien noch mal überlegt, und ich glaube, du hast ganz brav gespielt. Mehr will ich dir nicht sagen. Ich weiss, woher du kommst, und wohin du gehst. Ich begrüsse deine Vergangenheit und meine Zukunft. Wirst du mal
im Tal der Murg sein, grüsse meine schöne Heimat, es hat mir nichts geholfen, sie nochmals zu sehen. So wollte der Hohe Himmel. Ich bedanke mich bei dir für einige lustigen Minuten beim Schach, ich habe damals alle drei Partien gewonnen, aber du hast gut gespielt, und das hat mich richtig amüsiert. Ich schreibe diesen Brief am Wasserfall, morgen früh kommt jemand, den abzuholen. Hoffentlich bist du jetzt im Schach viel besser! Also, leb’ wohl und alles Gute. Dein alter Kumpel Johannes.

Der Brief wurde in einer für mich völlig unbekannten Sprache verfasst.
Ein alter Bekannte von mir, der in Moskau lebt, hat den übersetzt.
Er sagt, die Sprache sei eigentlich ein westmongolischer Dialekt aus dem frühen Mittelalter, der in 12.-14. Jahrhundert in Zentral-Asien verbreitet war, er nannte den „Die Ojratische Mundart“ und normalerweise wurde die mit Hilfe der vertikalen „Sajapanditischen Schrift“ geschrieben. Er wollte auch wissen, woher ich den Brief habe, ich konnte aber darüber ehrlicherweise keine vernünftige Auskunft geben. Nur der Name Johannes kam mir irgendwie bekannt vor.
Und dann passierte es!
Ich habe heute Nacht einen Albtraum gehabt, und am Morgen konnte ich schon alles mehr oder weniger ausführlich berichten. Einige Momente sind sehr brüchig und verschwommen, aber ich weiss jetzt, wer das ist – „mein alter Kumpel Johannes“ ...

Zwei Turguten schleppten mich ins Zelt rein und warfen mich auf den Boden.
- Er sagt, er kann gut Schach spielen! – schrie der erste Turgut.
Ich wusste schon, der heisst Dschangar.
Er kniete vor einem alten Mann, der offensichtlich ein grosser Chef in dieser wilden Zeit war.
- Kannst du? – Der zweite Turgut gab mir einen kräftigen Schlag mit seinem Schild, mir wurde schwarz vor Augen, aber auch hier konnte ich kapieren, dass eine bescheidene Antwort mir mehr als den Kopf kosten wird.
Der Idiot hiess Chongor.
Ich sah den Chef an und nickte. Der alte Mann öffnete ein Auge und guckte mich neugierig an. Zwei oder drei Minuten hat er mich mit diesem Auge untersucht. Dann hat er genickt. Der junge Mann neben ihm lief sofort in die Ecke und brachte von dort ein Schachbrett. Er stellte die Figuren auf und erklärte mir eilig die Regeln. Nein, nein, nicht die Schachregeln – es war
etwas ganz anderes:
Ich spiele gegen den „Grossen Chan“ drei Partien mit Schwarz, wenn ich sogar eine Partie nicht verliere, schenkt mir der Grosse Chan zweiundsiebzig schöne Jungfrauen, drei Kamelen mit Gold und ein wunderschönes Pferd, anderenfalls muss ich schon morgen im Himmel landen.
Na ja, nicht sehr kompliziert, sehen Sie. Obwohl der Bestand des Preises mich etwas irritierte, wollte ich mich noch erkundigen, ob wir nach FIDE - Regeln spielen oder nicht und wie es mit der Spielzeit aussieht. Aber irgendwie wurde ich plötzlich zu schwach und ausserdem sagte mir meine innere Stimme, dass es nicht ungefährlich ist, in diesem Zelt Fragen zu stellen.
Mehr noch, ich hab’ verstanden, dass die FIDE irgendwann später entsteht – aus meiner Umgebung hiess es, ich verweile überraschenderweise irgendwo im frühen Mittelalter.
Diese Bescheidenheit hat mich gerettet.
Und was FIDE eigentlich genau bedeutet, wusste ich auch nie! Also im schlimmsten Fall, wenn ich wieder im 21. Jahrhundert erwache, muss ich das einigermassen klären. Dann könnte ich vielleicht noch etwas über die Ratingpreise diskutieren.
Verdammt! Ich wusste immer, wie faul ich bin! Oder war? Oder werde?
Wahnsinn!
Na gut, denke ich nicht daran – jetzt ist es schon zu spät!
Der Grosse Chan schloss das erste Auge zu, murmelte etwas japanisch – da bin ich mir nicht ganz sicher! – öffnete das zweite Auge und machte den ersten Zug.

Tschingis-Chan – Autor, 17.08.1220:
1. f4
Glauben Sie mir, lieber Leser, ich wusste im Moment überhaupt nicht, gegen wen ich spiele. Und wenn schon, was hätte es mir geholfen! Ich hab nur verstanden, dass ich plötzlich im Mittelalter gelandet war, ich spiele Schach gegen einen bösen Opa und alles schien mir mehr als merkwürdig. Ich dachte: O.K., dieser Alptraum kann doch nicht ewig dauern! Noch einige Minuten und ich erwache in der Badischen Hauptstadt, trinke gemütlich meinen „Sparsamen“-Morgentee und gehe schon fast glücklich zum „Spar“, um einige Flaschen Bier zu besorgen.
Also, alles kam mir etwas merkwürdig vor, aber wenn schon dann schon – ich hatte keine Angst!
1. … d5
Wie gut der Opa ist, wusste ich nicht. Also los!
2. f5
Opa träumt oder schläft?
Ich hab’ ihn vorsichtig angeguckt.
Er sass da vor mir und machte solchen Eindruck, als wäre es alles für ihn so unglaublich langweilig.
2. … Lxf5
Sehen Sie, lieber Leser, ich habe im Schach auch einige Prinzipien, und manchmal ist es für mich schon egal, gegen wen ich spielen muss! Ich mache meine Züge. Und tschüss! Irgendwie hab’ ich darauf ein Recht, gell? Das Spiel ist das Leben, und wenn es kläglich endet, was hat es eigentlich zu bedeuten? Genau, Sie haben Recht. Es bedeutet überhaupt nix! Ich lebe mein Leben – ich spiele mein Spiel.
Ich kann nicht anders. So einfach ist es.
Es ist einfach so.
3. d3 e5 4. e4 de 5. Sd2
Da hab ich schon etwas kapiert. Also, ich spiele Schach gegen einen Opa, der solche Züge macht.
Wo bin ich?
Einfach gesagt, im 21. Jahrhundert machen solche Züge die Leute, die mindestens 700-800 DWZ-Punkte mehr haben als ich. Meine DWZ ist etwa 1650. D.h. die Leute sind so stark, dass sie von Anfang an auf Gewinn spielen wollen.
Taktik ab dem ersten Zug! Schachtaktik pur!
Schach aus dem Fass!
Die haben keine Angst. Warum denn müssen die sie haben? Die sind doch viel stärker!
Aber da machen sie einen kleinen Fehler, und zwar, ich hab’ auch nix zu verlieren, und gerade das wollen diese starken Spüler, Entschuldigung – Tippfehler! – Spieler nicht kapieren. Ich hab’ nix zu verlieren!
Verdammt!
Was heisst schon heute – verlieren! Einfach zum Tod lachen!
5. ... Sf6
Viele Fragen bleiben in dieser Partie unbeantwortet. Sehr viele. Ich biete um Verständnis! Es
war für mich nicht so einfach. Was hatte das Ganze zu bedeuten?
6. de Sxe4 7. Sgf3
Opa ist gar nicht so schlimm, ehrlich. So kaltblütig spielen in meiner Zeit – im 21. Jahrhundert – nur die Grossmeisster!

O.K., ich schreibe diese Zeilen schon viel später, ich sitze da in der badischen Hauptstadt – in der Karlsruhe-Waldstadt – und tippe.
Ich hab’s überlebt.
Ich trinke darauf ein Bierchen wieder und wieder, „Rössel Pils“, wissen Sie, ganz gut und günstig. Unglaublich günstig. „Moninger“ aus der Badischen Hauptstadt, klar!
Ich probiere alles zu beschreiben, wie es war. Ich probiere ehrlich zu sein und diplomatisch, und nix zu vergessen. Und es geht weiter!

Langsam kapiere ich: das ist kein Traum oder Albtraum.
Ich spiele Schach gegen Tschingis-Chan. Im 12. Jahrhundert.
Warum auch nicht? So schlimm bin ich auch net. Im 21. Jahrhundert!
Beim Badischen Schachverband.
Ich zeige, was ich kann! Ich soll es schaffen. Ich zeige, was ich auf dem Buckel hab’. Das ist natürlich nicht viel, aber ich muss auch das – sogar das! – zeigen können! Ich muss es schaffen!
7. Sc6 8. Lb5 Sxd2 9. Lxd2 Dd5
Ab und zu, glaube ich, bin ich taktisch gar net so schwach. Und wenn der Gegner von Anfang an alles auf Taktik setzt, bin ich bereit, auch auf dem Bereich etwas zu zeigen.
10. De2 0-0-0
Wer hat die lange Rochade erfunden? Darüber im nächsten Buch, okay?
11. c4!!
Mann, im 21. Jahrhundert wird Opa locker badischer Meister! In Ottenau schon auf jeden Fall!
11. ... De6 12. Sg5 De8 13. Lxc6 Dxc6 14. Sxf7 Txd2!!
Manchmal bin ich auf mich ganz stolz! Der Zug ist einfach fantastisch! Plötzlich hat Weiss keine Chance!
Im Zelt wird es auf einmal still.
In der Steppe auch.
Nur der Wind weint irgendwo oben. Aber auch ganz leise.
Nur jetzt bemerke ich viele Leute, die das Zelt befüllen. Einige heulen, einige beten und wispern etwas, andere – aber ganz wenige – beneiden mich offensichtlich: 72 schöne Weiber, alles Jungfrauen, schon nach der ersten Partie gegen den Grossen Chan!
Unglaublich! Unglaublich!
Nur jetzt verstehe ich, was ich tue! Ist es aber schon zu spät? Im 21. Jahrhundert bin ich
verheiratet. Ja! Und wie sagen die Schwaben: glücklich verheiratet.
Aber als ein waschechter Gelbfüssler weiss ich ganz genau, vom Kindergarten schon:
Ein einziges Weib ist schon zu viel! Und der Grosse Chan schenkt mir, wenn ich nicht verliere, 72 von denen!
Mann, bin ich wahnsinnig?
Ich bekomme riesige Kopfschmerzen. Ich bin wahnsinnig!
15. Dxd2 Da4
Diesen Zug kann ich mir nicht erklären.
Mit 15. ... De8 und später b6 und a5 kann ich noch auf Gewinn spielen.
Aber, aber.
Das Leben ist so schön und so kurz.
Und nicht vergessen: 72 schöne junge Damen für mich alleine?!
Mann! Schon eine Ehefrau im 21. Jahrhundert macht mich oft verrückt.
Da helfen schon keine mit Gold beladenen Kamele und ein schnelles Pferd! Das Pferd kann vielleicht noch nützlich sein. Aber wie lange?
Warum hat niemand bis heut’ gegen den Grossen Chan gewonnen? Sind das Rätsel und die Antwort so einfach?!
16. Dd8 matt.
24



Der Grosse Chan schliesst die Augen.
Das Volk im Zelt schreit auf! Der Turgut Chongor gibt mir einen schrecklichen Schups! Die
Zelt ist voll von lachenden, kichernden und triumphierenden Menschen. Alle wollen dem Grossen Chan zeigen, wie gescheit und weise er ist! Alle beschimpfen und bespucken mich! Ein dreckiger Kerl schüttelt mir auf den Kopf eine weisse Flüssigkeit aus dem Schüssel raus.
Die Menge stöhnt vor Begeisterung.
- Kumys! Kumys! – schreit die Menge, - Kumys macht gescheit, macht gescheit! – Und sie lachen und kichern bis zum Umfallen! Und die ganze Steppe da draussen macht dasselbe, wie ich hören kann.
Jetzt kapiere ich es auch – ich lache und kichere auch.
Ich bin so dumm!
Wie ein kleiner Löwe, höre ich. Wie ein kleiner Löwe!
Ich bin so dumm!
Der Grosse Chan öffnet ein Auge.
Es wird still.
Der Grosse Chan öffnet das zweite Auge.
Alle verlassen die Zelt. Es wird ganz still im Zelt und in der Steppe.
Er sagt nichts. Er guckt mich an.
Seine Augen sind unglaublich blau. Solch’ schönen blauen Augen bei einem Asiaten hab’ ich noch nie gesehen!
- Wer bist du? Woher kommst du? – Fragt er mich. – Ich hab’ deinen zehnten Zug gesehen
 und akzeptiert. Aber so spielt niemand in der Steppe und schon niemand unter dem Hohen
 Himmel! Sogar die Süd-Chinesen nicht! Sag’s mir! Wer bist du?
Ich erzähle ihm die Wahrheit, wie ich das begreife.
Er schweigt.
Und schliesst die Augen.
Der Turgut Dschangar bringt ein neues Brett.
Und einen Kelch vom weissen Getränk, das, wie die meinen, gescheit machen kann.
Diese Wilden nennen das Getränk „Kumys“.
Ich trinke davon sogar zwei.
Dschangar guckt mich sehr zufrieden an und lacht.
Und es geht los.
Die zweite Partie gegen Tschingis-Chan am 17. August 1220.
25

Weiss zieht und gewinnt

Amüsante Stellung, gell?
Aber sie war auf dem Brett an einem kalten Abend im August 1220 in einer asiatischen Steppe am Ufer eines Flusses, der für immer in der Geschichte blieb.
Darüber aber später.
Und mehr noch, Mensch Leser, – ich hatte Schwarz! Drehen Sie bitte das Brett!

Tschingis-Chan – Autor, 17.08.1220
1.b4
Also, nicht vergessen – ich habe Schwarz.
1. ... e5 2.b5
Das hab’ ich schon gesehen und das irgendwie erwartet. Ehrlich gesagt, ich weiss net, wie die Leute im 12. Jahrhundert spielen und denken. Und mehr noch – das interessiert mich überhaupt nicht. Na ja, warum auch immer. Wenn ich schon in Sibirien im 20. Jahrhundert geboren wurde, was kann für mich im 12. Jahrhundert interessant sein?
2. ... d5 3.b6!!
Das werde ich nie und niemals kapieren! Grausames Leben, grausames Schach, keine Hoffnung, keine Chance. Fürchterlicher Gestank, dürftiges Zelt, schmutzige Steppe.
Schach vom feinsten ...
Ich gucke den Opa nicht an. Ich kenne den schon: im 21. Jahrhundert hätte er keine Chance
gegen mich. Mensch, ich hab von dem viele Bücher gelesen, das beste war vom Historiker Raschid Ad-Din. Und diesen Abend am Fluss Pjandsch wollte ich eigentlich nie erleben. So
weit gehen meine Träume nicht. Ich bin doch kein Träumer.
Ehrlich. Ich bin glücklich verheiratet.
So sagen die Säckel aus Pforzheim.
Sie kennen solche schon, gell?
Mann, sind die bös’ am Brett!
Aber jetzt mache ich meinen Zug. Ich hab’ keine Wahl. Ich spiele es einfach. Egal in welcher Zeit oder Jahrhundert! Ich hab’ Mut und Intelligenz! Ich hab’ Zeug!
Ich bin ein bescheidener Gelbfüssler.
Das macht mich stolz und stark!
Der Fluss der Zeit fliesst weiter. Auch im 12. Jahrhundert.
Aber der heisst dort Pjandsch. Er heisst dort so, mindestens am 17. August 1220.
Ich bin dran. Ich mache meinen Zug.
Lebt wohl!

Sehen Sie, lieber Leser, diese Zeilen schreibe ich schon im 21. Jahrhundert. Das Leben ist doch so dämlich und arrogant.
Ach, Sie wissen schon!
Meine Frau hat mir eben gedroht, das Buch zu löschen, wenn ich nicht sofort zum Laden gehe und Kartoffel nicht kaufe! Ich willige ein.
Karlsruhe-Waldstadt, „Penny-Markt“ in der Schneidemüller-Strasse, heiss und stickig. Wo sind die wunderschönen 72 Jungfrauen?! O weh!

Aber die Varianten sind einfach verblüffend:
A) 3. ... cb 4. Sc3
1. ... cb 2. Sc3 d4 3.Sb5 a6 4.Sa3 Le6 5.Sf3 e4 6.Sg1 Sf6 7.c3 Lc5 8.f4 Kf8 9.Sc2 dc 10.a3 Sg4 11.Sh3 cd+ 12.Dxd2 Dxd2+ 13.Lxd2 Kg8 14.Sg5 e3 15.Lb4 Ld7 16.Se4 Lf5 17.Sxc5 bc 18.Td1 Sc6 19.Td5 Lxc2 20.Lxc5 Sf6 (0-1).
B) 3. … cb 4. Sf3
1. … cb 2. Sf3 Sc6 3.Lb2 Ld6 4.Sc3 Sf6 5.Sb5 0-0 6.Sxd6 Dxd6 7.a3 Lf5 8.e3 Tfc8 9.Lb5 Dc5 10.Lxc6 Dxc6 11.Sxe5 Dxc2 12.Dxc2 Txc2 13.Lc3 Se4 14.Sf3 Sxc3 15.Sd4 Tb2 16.Sxf5 Sb1 17.0-0 Sxd2 18.Tfc1 Td8 19.Tc7 Kf8 20.Td1 Ta2 21.h3 g6 22.Sh6 f5 23.Sf7 Te8 24.Sg5 Te7 25.Sxh7+ Kf7 (½-½).
C) 3. … cb 4. d4
1. … cb 2. d4 e4 3.Lf4 Lb4+ 4.c3 Ld6 5.Lxd6 Dxd6 6.e3 Sf6 7.c4 Le6 8.Sd2 0-0 9.Se2 dc 10.Sc3 Da3 11.Dc1 Dxc1+ 12.Txc1 Tc8 13.Scxe4 Sxe4 14.Sxe4 a6 15.Le2 Kf8 16.Lf3 Ke7 17.Sc3 Tc7 18.Ke2 Kd6 19.Thd1 b5 20.Se4+ Kd7 21.Sc5+ Kc8 22.Le4 Sd7 23.Sxd7 Lxd7
24.Lxh7 g6 25.Lg8 Lf5 26.d5 Td7 27.Kf3 Kc7 28.g4 Lxg4+ 29.Kxg4 Txg8 30.Td2 Tgd8 31.e4 f5+ 32.Kf4 fe 33.Kxe4 Te7+ 34.Kf4 Kd6 35.Kg5 Te5+ 36.Kxg6 Tg8+ 37.Kh6 Te4 38.f4 Ke7 39.Kh7 Kf7 40.Tg2 Txg2 41.h4 Tg7+ 42.Kh6 Te8 43.Txc4 Th8 matt.

Also, der Grosse Chan kann gegen mich nur remisieren!

Ich überlege mir das alles wieder und wieder.
In der Steppe ist es ganz still.
Aber ich riskiere etwas anderes. Werde ich das bedauern?
3. ... ab
Heute hätte ich natürlich c5 gezogen. Aber im 12. Jahrhundert spiele ich amüsanter.
4.c3 Sc6 5.d4 ed 6.cd Lf5
Wenn ich mich nicht irre, wurden die Eröffnungsgrundlagen viele Jahrhunderte später festgelegt. Und zwar, viel - viel westlicher von diesem Zelt an einem Fluss namens Pjandsch in Zentral-Asien.
7.e3 Sb4 8.Sa3 Txa3 9.Lxa3 Sc2+ 10.Ke2 Lxa3 11.Tb1? Da8 12.g4 Da6+
Sehr trocken gespielt, gell? Auf 12. ... Lxg4+ folgt einfach 13. f3!
13.Kf3 Le4+ 14.Kg3 Ld6+ 15.f4 Da3 16.Tb3 Dxa2 17.Tc3 Sf6 18.g5 Sh5+ 19.Dxh5 g6 20.De2 Ke7
Da war ich mir schon fast sicher – Opa schafft es nicht! Diese Stellung kann Weiss nur verlieren. Seine katastrophalen Eröffnungszüge haben mich verblüfft.
Nur am nächsten Tag werde ich seine Eröffnung verstehen und nochmals erleben.
Aber am nächsten Tag spielen wir kein Schach!
21.Lg2 Sb4 22.Lxe4 de 23.h4 h6 24.Dxa2 Sxa2 25.Tc2 Sb4 26.Tch2!! Sd5 27.Kf2 c5
Es sieht so aus, als ich meine wunderbare Stellung vermasselte. Einige schwache Züge gemacht und ich muss schon über ein Unentschieden träumen. Aber ich bekomme solchen Eindruck: technisch und taktisch ist der Grosse Chan ganz okay!
28.Se2 Ke6 29.Th3!
Mensch! Ist Opa technisch perfekt!
29. ... c4 30.Sg3 f5 31.gf Sxf6 32.Tb1 Sg4+ 33.Ke2 Kd5 34.h5 g5 35.fg c3 36.Sf5 hg 37.Sxd6 Kxd6 38.Txb6+ Kc7 39.Tb3!! Kd6 40.Tg3 Sf6 41.Tb6+ Ke7 42.Txb7+ Ke6 43.Txg5 Sxh5 44.Kd1!!
Einfach Grossmeister-Niveau, gell?!
44. ... Sf6 45.Te5+ Kd6 46.Tb6+!!
Ich mache noch einige Züge. Entschuldigung!
47...Kd7 48.Txf6 Th2 49.Txe4 Ta2 50.Te5 Td2+ 51.Kc1 Kd8 52.Tc6 Kd7 53.Txc3 Tf2 54.e4 Te2 55.Tc2 Te3 56.Kd2 Ta3 57.Tec5 Ta6 58.Ke3 Kd6 59.e5+ Ke6 60.Tc6+ Txc6 61.Txc6+ Kd7 62.d5 Kd8 63.Td6+ Ke8 64.Te6+ Kd8 65.Ta6 Kd7 66.e6+ Ke7 67.Ta7+ Kf6 68.Tf7+ Kg6 69.d6 Kh5 70.d7 Kh6 71.e7 Kg5 72.e8D Kh4 73.d8D+ Kg3 74.Dg5+ Kh3 75.Th7 matt.
26
 

Als ich meine Niederlage endlich bei dieser Stellung gestehe, guckt er mich an.
Wir sitzen ganz alleine im Zelt.
– Du weisst doch, was morgen geschieht, ja? – Fragt er mich ganz leise.
Ich nicke, denn ich kann noch daran erinnern, was ich über die fürchterliche Schlacht am Ufer von Pjandsch am 18. August 1220 alles gelesen habe.
– Was bringt mir der neue Tag?
– Du wirst der Sieger sein, der Grosse Chan! – Ist meine Antwort.
Er schliesst die Augen für eine Minute, öffnet sie dann wieder und sagt leise:
– Und jetzt sag’ mir die Wahrheit!
Mir wird es heiss und kalt. Ich habe gelesen, was die Mongole mit den Idioten machten, die die schlechten Nachrichten mitbrachten. Mir wird es sehr heiss und unglaublich kalt.
Und was die mit den Lügner machten, weiss ich auch.
Grosse Wahl hab’ ich nicht.
– Sag’s mir!
– Du wirst der Sieger sein, der Grosse Chan! Aber ich weiss nicht, wie viele von deinen
 Turguten morgen Abend den Sieg feiern werden.
Tschingis-Chan schliesst die Augen und schweigt. Ich sage auch nichts. Ich habe schon zu viel gesagt. Morgen wird der Grosse Chan seine Leibgarde – den Korps der Turguten – in den letzten Augenblick selbst in die Schlacht führen müssen. So erzählt über die grausame Schlacht am 18. August 1220 am Ufer von Pjandsch der alte arabische Historiker Raschid Ad-Din.
Tschingis-Chan schweigt.
Dann öffnet er die Augen, schaut mich an und sagt ganz leise:
– Ich wurde im Land der Franken geboren. Ich erinnere mich an die steinige Burg an der
 Murg und die grosse Fahne an hohem Turm. Ich war noch ein ganz kleiner Junge, als ich
 beim Kreuzzug von Sarazenen gefangengenommen und in Bagdad als kleiner Sklave nach
 Osten verkauft worden war. Weisst du, meine Mutter nannte mich Johannes. Die Mongole
 nannten mich Temutschin – kleiner Löwe, die Chinesen nannten mich Tschingis-Chan, das
 bedeutet Löwe-Chan.
Er schliesst die Augen und schweigt.
Ein junger Turgut bringt das neue Schachbrett und verschwindet.
Der andere Turgut bringt mir etwas Kumys und wir spielen die letzte Partie.
Die Turguten hinter dem Zelt singen ein Lied über den Hohen Ewig Blauen Himmel und den zärtlichen Frühling in der Steppe:
„Nüdla, nüüdla, nüdla, nüüdla, jamaran uhan uga, nüüüüüdlaaaa ...“
Draussen ist es schon dunkel und der Wind bringt zu uns die kalte Luft vom Fluss.
Ich trinke Kumys.
Ich weiss nicht, wo ich die Sprache gelernt habe.
Der Fluss heisst Pjandsch.
Er heisst so mindestens am späten Abend vom 17. August 1220.

Tschingis-Chan – Autor, 17.08.1220:
1.c4
Ich bin müde.
1. ... Sf6 2.c5 d6 3.c6 Sxc6 4.d4 e6?! 5.e3 Le7 6.Lb5 Ld7 7.Sf3 Sb4 8.Lxd7+ Dxd7 9.0-0
Der Grosse Chan rochiert! Amüsant, gell?
9. … c5 10.Db3 0-0 11.Ld2 Sc6 12.dc d5 13.Tc1 Se4 14.Db5 Dc7 15.a3 a6 16.Db6 Dxb6 17.cb Tac8 18.Sc3 Sxd2 19.Sxd2 Se5 20.Se2 Txc1+ 21.Txc1 Sc6 22.Sb3 e5 23.Sc3 d4!
Der Zug hat mich etwas überrascht! Der Opa hatte doch morgen eine bittere Schlacht gehabt! Und trotzdem macht er so was! Mensch, ich verstehe die Welt nicht, oder genauer gesagt – manche Leute aus dem Tal der Murg!
24.Sa4 Lg5 25.Te1 de 26.fe Tc8 27.Sbc5 Sd8 28.Kf2 Le7 29.Td1 Kf8 30.b4 Ke8 31.Td5 f6!!
Klar! Plötzlich träume ich wieder über den sagenhaften Preis!
32.Kf3 Tc6 33.g4 Ld6 34.Se4 Sf7 35.h3 Le7 36.h4 Sd8 37.Ke2!!
Der Zug ist eine Unterschrift unter dem Urteil! Jetzt habe ich keinen Zweifel mehr!! Und das macht mich echt bös!
37. ... Sf7 38.Sec5 Sd8 39.Kd3 Lxc5 40.bc Sf7 41.Sb2 Tc8 42.Sc4!!
Solche Springertaktik hab’ ich bei Paul Keres 700 Jahre später (!) gesehen. Mensch, hat er auch Kumys getrunken?! Wahnsinn ...
42. ... Ke7!!
Ich gebe nie auf – ich bin kein Säckel!
43.e4 Ke6 44.h5 Tg8 45.Sd6 Sxd6 46.Txd6+ Ke7 47.Kc4 Tb8 48.h6 Tg8 49.Kd5 gh 50.Te6+ Kf7 51.Kd6 Td8+ 52.Kc7 Td3
Voila! Wo ist die schreckliche Leibgarde des Grossen Chans? Wo sind alle diesen Turguten? Ich werde sie zerfleischen! Voila!
53.Td6 Tc3 54.Kxb7 Txc5 55.Ka7 Tc8 56.b7 Tc7 57.Kxa6
Entschuldigung! Ich spiele wie der kleine Bobby Fischer – bis zum Umfallen!
58. ...Txb7 59. Kxb7 Ke7 60. Kc6 f5 61. gf h5 62. Th6 h4 63.Txh7+ Kf8 64. Kd6 h3 65. Ke6 Kg8 66. Txh3 Kf8 67. f6 Kg8 68. Th4 Kf8 69.Th8 matt.
27


Ich muss zugeben, Opa ist gar nicht so schlimm. Er guckt mich an. Er lächelt und sagt etwas über den Grossen Gott des Krieges Ssulde, den ich morgen früh treffen werde.
Weiter ist alles sehr brüchig und teilweise unglaubhaft.

Chongor erklärt mir, was ich zu tun habe. Er sagt, zurückschauen darf ich nicht.
Ein Säbel in der Hand. Ich reite ganz alleine nach vorne, wo mich eine schwarze Wand der gegnerischen Reiter mit Erstauen und Entsetzen erwartet. Die kalte Sonne scheint mir plötzlich ganz hell in die Augen, und ich schaue zurück. Dort, einige hundert Meter hinter mir rennen mir zuerst zehn, dann hundert, dann tausend Reiter nach, und dann bricht die ganze steinige Wüste zusammen – der erste Korps der mongolischen Armee – der Korps der Choschuten rennt wie ein Wirbelwind in die Schlacht. Und nur ein Gedanke bohrt sich mir in den Kopf – ich erinnere mich an das letzte Lachen von Chongor und begreife auf einmal: Der war einfach neidisch. Verdammt! Er war einfach neidisch!! Er war neidisch! Und ganz vorne erkenne ich schon den Feuerhengst des Grossen Gottes des Krieges Ssulde ...
Die kalte Sonne scheint mir in die Augen ...

Das alles könnte man als einen Traum oder Alptraum bezeichnen.
Ich weiss es schon nicht genau, was es war. Ich glaube selbst nicht daran.
Das wäre einfach lächerlich!
Aber dann habe ich einmal eine Meldung in meiner Mailbox entdeckt. Ich machte natürlich
„Reply“ – die Antwort vom Server war trocken und fast unhöflich: „The following addresses
had permanent fatal errors“. Merkwürdig, gell?
Aber den Brief von Johannes habe ich noch.
Sonst werden Sie mir, lieber Leser, nicht glauben, gell?
Auf einem westmongolischen Dialekt aus dem 12. Jahrhundert heisst es buchstäblich:

Mende, Borissa! Tschi mahoir kesja schaturanga nadlavdn. Bi ter naadsn zage sanjar sanschanav. Öndr hur ordschana, bitschkin garsn gasyr saahn ünurta. Ashende bi mel odnaf usnde bi sehn garsn usnase unyr avir san küunde bolna, holun sjalkn i san havr. Bi sachn bjanav. Zasn haaljad uga keftnja gasirdere, sen narn garhla zasn haaljad hurtschana. Usna öre sanuf mana nadsn schaturanga, tschi sanar naadutsch. Ikar keldschi tschatschkof. Aldasi irsntschi bi medschanaf, alderen jowhar baantschi bi medschanaf. Bi saachn sandschanaf tschini baasn zagtschi. Tschi jovhla usunde Murg, saachnar kele mini gaserigi. Bi gasran üsadgof. Tengir üslsngo.
Handschanaf saanar naadsn schaturanga, tschamde handschanaf saanar natschitschi. Usna ore bitschanaf saasndr ügmüd. Tschi naadnatsch oda san kewer. San bjaadscha. Tschini kokschn kjun Johannes.

Ins Tal der Murg komme ich über die 5. Autobahn Richtung Basel. Bei Rastatt geht es raus und dann Richtung Gaggenau. Und ich bin schon drin. Irgendwo hier stand vor Tausend Jahren eine grosse Burg, wo ein Junge als Sohn eines badischen Ritters geboren wurde. Viele langen Jahre später nannten ihn Mongole – „Temutschin – Kleiner Löwe“, Chinesen – „Tschingis-Chan – Löwe-Chan“, Asiaten nannten ihn „Kah-Chan – der Grosse Chan und Erschütterer des Universums“, die Franken – „König Johannes“.
Er erzählte mir darüber selbst an einem kalten Abend an einem Fluss in Zentral-Asien.
Vor 800 Jahren.
Und Schach spielte er auch ganz ordentlich.

Aber vielleicht war das alles nur ein böser Traum ...


Ðåöåíçèè
Áîðÿêà, âîò è íàñòóïèë ñàìûé ñêó÷íûé ïðàçäíèê íà ñâåòå....

Ïðèíîøó ñîáîëåçíîâàíèÿ....

Íàòàëüÿ Ñòîëÿðîâà   23.02.2012 10:32     Çàÿâèòü î íàðóøåíèè
Íà ýòî ïðîèçâåäåíèå íàïèñàíî 8 ðåöåíçèé, çäåñü îòîáðàæàåòñÿ ïîñëåäíÿÿ, îñòàëüíûå - â ïîëíîì ñïèñêå.