Das Schwarzbrot

Das Schwarzbrot

An der K;stenlandschaft der C;te d’Azur herrscht ;blicherweise im Winter wundervolles Wetter. Wenn in n;rdlichen Breiten Schneest;rme fegen, in s;dlichen aber Vulkane ausbrechen, ist es hier stets sonnig und warm. Die Provence mit den steil aufragenden Felsen der Seealpen und mit ihren einzigartigen Mittelmeerstr;nden galt von jeher als einer der am meisten begl;ckenden Pl;tze der Erde.
Und in unserer Zeit streben an diesen m;rchenhaften Ort der Franz;sischen Riviera, der an das himmlische Paradies erinnert, Millionen Leidender. Sie wollen das milde Klima, die urspr;ngliche Sch;nheit der Natur und den Abwechslungsreichtum der subtropischen Pflanzenwelt genie;en. Viele Menschen verlieben sich, erstmals an die azurblaue K;ste S;dfrankreichs, gekommen, in diesen elysischen Landstrich.
Eben hier stehen die luxuri;sen Villen der reichsten und ber;hmtesten Bewohner des Planeten: Politiker, K;nstler, Kinostars, Aristokraten, Gesch;ftsleute. Abenteuerlustige aus aller Welt ziehen hierher, um sich dem Lebensstil der kosmopolitischen Boh;me anzuschlie;en und mit dem Schicksal zu spielen am Roulettetisch des Kasinos von Monte Carlo. Die Mehrzahl dieser Abenteurer verspielt allerdings das letzte Geld, jedoch kommen auch solche Gl;ckspilze vor, die Million;re werden.
Einer der derart vom Gl;ck Verw;hnten hie; Jean de Col;ne, jedenfalls war dies der Name, der in seinem Schweizer Pass stand. Er war vor Kurzem an die C;te d’Azur gezogen, zeichnete sich durch eine wohlgeordnete Lebensf;hrung aus, zahlte gewissenhaft seine Steuern und galt als achtbarer B;rger. Schwer zu sagen, wie er sein unermessliches Kapital erworben hatte, denn in der feinen Gesellschaft ist es un;blich, sich ;ber derartige Themen auszulassen.
An einem stillen, sorglosen Morgen trat unser Held aus der T;r einer prestigetr;chtigen Klinik in Nizza: ein hochgewachsener, schlanker Mann mittleren Alters. Jean de Col;ne sah gro;artig aus und war wie ein Dandy gekleidet: sein Haupt schm;ckte ein breitkrempiger Hut, sein gepflegtes Antlitz war hinter einer gro;en Sonnenbrille verborgen.
Jean stieg hinab zur Uferstra;e und setzte sich in ein an der Promenade des Anglais geparktes Automobil. Er blickte in den R;ckspiegel und war mit seinem Spiegelbild zufrieden – das Dutzend plastischer Operationen, das er in der letzten Zeit hatte durchf;hren lassen war nicht ergebnislos geblieben: Sein Aussehen hatte sich bis zur Unkenntlichkeit ver;ndert.
Heute war der letzte Tag des zu Ende gehenden Jahres, und Jean de Col;ne hatte viel zu tun. Eine Liste all dieser wichtigen Ma;nahmen hatte sein besorgter pers;nlicher Majordomus im Handschuhfach des neuen Jaguars hinterlassen.
Zuerst fuhr Jean zum Fris;r, danach lie; er sich Manik;re und Pedik;re machen, hiernach wiederum fuhr er zum Schneider, um seine neue, f;r ein festliches Bankett bestimmte Garderobe in Augenschein zu nehmen. Er war mit allen Sachen zufrieden: mit der d;nnen Leibw;sche, mit dem seidenen Hemd, mit dem streng geschnittenen Anzug und den Lackschuhen, haupts;chlich aber mit dem leichten Mantel aus sibirischem Zobel.
Als die Pakete mit dieser modischen Pracht ins Auto verladen worden waren, entschied Jean, ein wenig spazieren zu gehen. ;ber die Place Massena ging er durch die enge Rue de la Pr;fecture zur Altstadt. Um diese Tageszeit befand sich dort der belebteste Ort Nizzas, der Blumenmarkt.
Der Besuch des innerst;dtischen Marktes mit seinen Reihen von Verkaufsst;nden und seinen gem;tlichen Caf;s und Restaurants war f;r Jean schon lange zu einer angenehmen Tradition geworden. Er kam oft hierher, um sich der faszinierenden Atmosph;re der s;dlichen Stadt hinzugeben, den unvergleichlichen Duft der frischen Blumen einzuatmen, die einzigartigen franz;sischen K;sesorten zu genie;en, erstklassige R;ucherwaren zu probieren und die gro;z;gigen Gaben des Meeres.
Und dieses Mal konnte Jean de Col;ne sich nicht zur;ckhalten und kaufte von allem ein wenig. Danach setzte er sich an ein Tischlein eines der Caf;s und bestellte ein in kelchf;rmigem Glas serviertes dunkles Bier.
Gegen;ber dem Caf; spielte hingebungsvoll eine Jazzband. Die frohe Stimmung der Stra;enmusiker ;bertrug sich auf das werte Publikum, das die Strahlen der s;dlichen Sonne genoss und die mu;evolle Sorglosigkeit des Daseins. Jean gefiel es, sich in dieser farbenfrohen, aus Einheimischen, Touristen und l;rmenden Markth;ndlern bestehenden Menschenmenge zu befinden. Von der Seite betrachtet, erschienen ihm diese Leute absolut gl;cklich – freundlich, gutartig und mit dem Leben zufrieden. Jean de Col;ne w;nschte immer, Teil dieser mit allen G;tern des Lebens hinreichend gesegneten Gesellschaft zu werden, sich zu verlieren in der Atmosph;re von Bed;rfnislosigkeit, Ruhe und Harmonie. Doch konnte er sich niemals und nirgendwo vollst;ndig entspannen, da stets die unbewusste Vorahnung eines Ungl;cks sein sorgenvolles Herz umfing und eine furchtbare, bestialische Angst seine unruhige Seele frieren lie;.
Nachdem er das kalte Bier getrunken hatte, zahlte Jean beim Kellner und ging ohne Eile zur Promenade hinab. Er hatte nur noch zum Liegeplatz seiner Yacht zu fahren, um zu ;berpr;fen, ob alles vorbereitet w;re zum Neujahrsdinner. Heute Abend veranstaltete Jean de Col;ne einen festlichen Empfang zu Ehren eines engen Kreises seiner Freunde. Der Ort war nicht zuf;llig gew;hlt: Von der Seite des alten Hafens aus konnte man die Feuerwerkskaskaden entlang der gesamten azurblauen K;ste betrachten, und mitternachts sollte die gro;e Yacht dann Monaco ansteuern, wo sich der ganze Freundeskreis versammeln sollte, um an den Spieltischen des Kasinos Geld zu verschleudern.
Nach dem Besuch des Hafens kehrte Jean de Col;ne zu seiner Winterresidenz zur;ck, welche auf der Halbinsel der Milliard;re gelegen war. Es handelte sich um eine elegante Villa der Luxusklasse mit Blick auf die Engelsbucht und einem ausgedehnten Park, der im provenzalischen Stil gestaltet war. Zu dem Gel;nde dieses Anwesens geh;rten einige G;steh;user, ein Golfplatz und ein eigener Sandstrand ebenso wie ein Hubschrauberlandeplatz.
Im Hause war alles vorbereitet f;r den Empfang der G;ste.
Nachdem er dem Koch die unabdingbaren Anweisungen gegeben hatte, stieg Jean ins Arbeitszimmer hinauf und schloss die T;r hinter sich ab. Er fl;zte sich in den Sessel und stellte den Fernseher an. Als er den richtigen Fernsehkanal gefunden hatte, erstarrte Jean in Erwartung: Ihn interessierten die neuesten Nachrichten aus Russland.
Jean de Col;ne lauschte jedem Wort der Reportage aus Moskau nach...
Auf dem Bildschirm erschienen Bilder aus der Chronik j;ngerer Verbrechen – hier die Darstellung irgendeines Menschen in Armeeuniform mit durchschossenen Schl;fen und entstelltem Gesicht.
Dieses Schreckensbild wurde von folgendem Kommentar des Sprechers begleitet:
„Ein Jahr nach dem r;tselhaften Selbstmord von General Georgij Kolini;enko wurden emp;rende Machtmissbr;uche seitens der Obersten F;hrung des Generalstabs und des russischen Verteidigungsministeriums enth;llt. Durch die Ergebnisse, zu denen der Untersuchungsausschuss der Russischen F;deration gelangt ist, wurde erwiesen, dass der General pers;nlich beteiligt war an der Veruntreuung staatlicher Mittel in besonders gewaltigem Ausma;. Im Laufe vieler Jahre wurden Budgetgelder, die bestimmt waren zur Modernisierung der Landesverteidigung, auf Konten von Briefkastenfirmen in Westeuropa ;berwiesen. Auf diese Weise wurde die Staatskasse um astronomische Summen beraubt. Es ist bedauerlich, aber der Tod des Generals, der sich durch sein Handeln selbst entehrt hatte, hat den Prozess der Aufkl;rung einer Serie schwerstwiegender Dienstvergehen, die im System des Verteidigungsministeriums entdeckt wurden, erheblich erschwert...“
Unmittelbar nach diesen Worten schaltete Jean de Col;ne den Fernseher aus, erhob sich aus dem Sessel und ging auf die gro;e Terrasse hinaus. Von hier aus ;ffnete sich das wundervolle Panorama der gesamten K;stenlinie der C;te d’Azur und des Felsenkamms des unteren Gebirgsgesimses. Die erleuchteten Stra;en von Nizza versanken langsam im dichten Dunkel der Nacht, doch vor dem Hintergrund des dunkelroten Sonnenuntergangs tauchten schon die ersten leuchtenden Punkte des festt;glichen Feuerwerks auf.
Jean de Col;ne schritt zur Anrichte, auf der sich eine Flasche „Stoli;na;“, ein Glas eingelegte Heringe, Salzgurken und Zwiebeln befanden.
Jean schenkte sich ein volles Glas ein, bekreuzigte sich und sagte auf Russisch:
„Gott hab’ mich selig!“
Er sch;ttete mit gewohnter Bewegung den Inhalt des Glases in seine Kehle und atmete laut die Alkohold;nste aus, wonach er mit Wohlgefallen am von einem Laib Schwarzbrot abgeschnittenen Endst;ck roch und gen;sslich r;lpste.
; Ivan Gaudi 2012 – Publikationszeugnis (russischer Originaltext) Nr. 21201101130


Рецензии