в сборнике Die russische Frau sch n und r tselhaft

Die russische Frau: sch;n und r;tselhaft
Aus dem Russischen von Katharina Kucharenko, Helene Abrams

Gegenw;rtige Literatur Russland


Das Buch beinhaltet die besten der ausgew;hlten Werke des Wettbewerbs "Die russische Frau: sch;n und r;tselhaft" (Verlag "Deutsche aus Russland" zusammen mit der Redaktion der Internetzeitschrift "Switok" und „Forum Russische Kultur“, G;tersloh in Deutschland 2010, 2011)


 Аljona Chubarova

Wenn es mehr Fragen gibt als Antworten; wenn die Tr;ume umfangreicher sind als die Wirklichkeit; wenn alles Erdachte pl;tzlich auflebt und zum Schicksal wird, geht es wohl nicht anders, als Schriftstellerin oder Schauspielerin zu werden. Und wenn au;erdem noch zu einer Regisseurin… und bei all dem eine Frau zu bleiben? Ich gebe ehrlich zu, es ist nicht einfach, im Gegenteil: ;beraus schwierig. Aber es ist alles so, als w;re diese Wahl nicht von mir pers;nlich getroffen, und falls doch, dann lange bevor ich auf diese Welt kam.

Es sind sechs Gedichtb;nde von mir erschienen und f;nf Theaterst;cke – Sammelb;nde, eine Reihe von Publikationen in den Medien, Theaterauff;hrungen, Auftritte… Aber auch heute noch habe ich das Gef;hl, das Allerwichtigste noch nicht gesagt zu haben! Genau so, wie es mir vor vielen, vielen Jahren erging, als ich mich zum ersten Mal traute, meine Aufzeichnungen  ;ffentlich  vorzutragen. Aber kann man das Allerwichtigste ;berhaupt aufschreiben, auff;hren, spielen? Das Wichtigste bleibt immer zwischen den Zeilen verborgen, in den Tr;nen, die sich hinter einem L;cheln verbergen, in der Schw;che, die sich hinter der St;rke versteckt, im ewigen "Vergib und hab; Erbarmen!", das im allt;glichen Leben verschmilzt.
Ich mag Menschen und Stille. Aber die Menschen k;nnen nicht schweigen, und der Stille fehlt die Menschlichkeit…
Wahrscheinlich deswegen mag ich so sehr die Magie von "Pause" w;hrend der Auff;hrung im Theater.
Ich lebe in Moskau, wo ich auch geboren wurde. Ich besitze zwei Hochschulabschlusse, bin P;dagogin und Regisseurin. Das hilft mir bei der st;ndigen Fortbildung, denn ohne sie ist es schwer, in der heutigen Welt zu ;berleben.

Ich bin Mitglied:
 
im Schriftstellerverband in Moskau,
in der Literaturvereinigung "Mossalit",
im internationalen Autorenverband "Neuer Zeitgenosse",
in der Union der Theaterwirkenden Russlands,
und bin K;nstlerische Leiterin im Moskauer Theater "Kom;diant".
Aber ich glaube fest daran, dass diese ;u;erlichen Merkmale nicht von Bedeutung sind.
 

Ein Brief, wie ihre Liebe lang
(Fragment)
Deutsch von K. Kucharenko

Ein Ehemann ist immer eine Herausforderung. Besteht man sie, so hat man eine Chance, dass aus ihm ein einigerma;en guter Kamerad wird – wenn er ;lter geworden ist.
Ein Geliebter dagegen ist jederzeit ein Beistand, sogar ein Gewinn. Wenn du es richtig machst, wird er sp;ter, nachdem die Leidenschaft erloschen ist, zu einem guten Freund.
Aber ein Ehemann und ein Geliebter in ein und derselben Person – das kommt sehr selten vor, und trotzdem gibt es so etwas, als die gro;e Ausnahme …
Und es gibt schlie;lich den Allerliebsten, den man nicht lieben darf… Das ist Beistand und Herausforderung zugleich, sozusagen in einer einzigen Verpackung. Zum Freund wird er niemals. Aber er bleibt die sch;nste, die vitalste Erinnerung, die man freilich am besten vergessen sollte.

All dies wird sie sp;ter aufschreiben, mehrere Jahre danach, aber damals…

Sie tanzte auf dem Seil ganz oben im Zirkuszelt und sp;rte, dass das d;nne Sicherheitsseil jeden Moment rei;en k;nnte, sie wusste sogar Bescheid, dass er rei;en werde.- Es muss rei;en! Sie hatte unbeschreibbare Angst, die Furcht fesselte ihre Beine, schn;rte ihr die Luft ab, Schauder liefen ihr den R;cken hinunter. Auf einmal war das Halteseil verschwunden, gerissen, gel;st. Ganz pl;tzlich wurde ihr klar, dass sie sich nur noch auf sich selbst verlassen konnte, und die Angst war verschwunden.
Im echten Zirkusleben mag es da oben anders vorgehen, aber hier in ihrem Traum war es genau so.

Inna ;ffnete die Augen. Ein fremdes Zimmer, ein ungew;hnlicher Blick aus dem Fenster, anders als in der Stadt. Ach ja, sie erinnerte sich…
Gestern war sie von zu Hause weggegangen. Merkw;rdig, mit ihrem Mann war sie nun f;nfzehn Jahre lang zusammen, und seit wenigstens zehn davon wollte sie sich von ihm trennen, hatte aber immer wieder den ersehnten Augenblick, in die Freiheit zur;ckzukehren, verschoben. Doch gestern pl;tzlich …
Und auch wiederum gar nicht so pl;tzlich. In den letzten Monaten war ein anderer Mann f;r sie zu ihrem Ein und Alles geworden – zu ihrer Luft zum Atmen, zu ihrem Brot zum Leben, ja zu ihrem Weltall. So etwas passiert den Frauen, die ;ber lange Jahre Achtung, ja Ehrfurcht angesichts ihrer Ehe bewahren, ihrem Mann treu bleiben und tief in ihrem Inneren von wahrer Liebe tr;umen. Es geschieht den Frauen, die nie aufh;ren, M;dchen zu sein, die durch die M;rchen von Prinzen und Prinzessinnen gepr;gt sind.

Andrej wurde f;r Inna zu Allem. Und doch konnte er ganz pl;tzlich zu Nichts werden. Eine alte, banale Geschichte, die sich tausendfach bei M;nnern und Frauen wiederholt. Jedes Mal wird sie so gelebt, als gesch;he sie zum ersten Mal und als g;be es auf der ganzen Welt nur diese Zwei alleine.

Am Anfang bemerkte ihr Mann nichts, denn sie waren sich schon l;ngst einander fremd. Sie lebten unter einem Dach, l;sten ihre tagt;glichen Probleme gemeinsam, versuchten trotz der steigenden Preise ;ber Wasser zu bleiben, zogen Nastja gro;, ihr kr;nkliches M;dchen mit den gro;en Augen und  einem schwierigen Charakter. Eines Tages war ihm aufgefallen, dass seine Frau sch;ner geworden war, dass ihre Augen gl;nzten, dass sie so vor sich hin l;chelte, vertieft in ihm unerschlie;bare Gedanken. Dabei erschien sie ihm so jung, wie damals, vor f;nfzehn Jahren, als sie sich kennen gelernt hatten. Er brauchte nur eins und zwei zusammenzuz;hlen, um zu begreifen, dass seine Inna, die Frau, die all die Jahre alleine ihm geh;rt hatte, sich rasend schnell von ihm entfernt hatte, in eine unbekannte Welt. 

Gestern hatte sie ihr Handy versehentlich in der K;che liegen lassen. Wom;glich hatte er ihre SMS gelesen, obwohl es nicht seine Art war, ihr nachzuspionieren. Das lag wohl an seiner guten Erziehung, oder es fehlte ihm einfach die Neugierde. Vielleicht war es auch etwas ganz anderes – jedenfalls nicht unbedingt das Telefon, aber gleich, nachdem sie zu Hause war, sich umgezogen hatte und in die K;che gekommen war, fragte er sie ohne Umschweife: "Liebst du ihn?"
Die Frage ;berraschte sie, ja ;berrumpelte sie f;rmlich. Aber sie kannte Hunderte von Varianten, wie sie zu antworten, richtig zu antworten hatte, um die Spannung zu lindern und die Illusion einer stabilen und intakten Familie zu bewahren. Sie wusste es. Es war ihr schon immer gelungen, diplomatisch Frieden in der Familie zu schaffen… Sie hatte es schon mehrmals getan, aber…
Auf einmal war ihr nicht mehr danach! Wenn schon ihr wahres Gl;ck unerreichbar zu sein schien, dann wollte sie am liebsten gar nichts. Statt einer plausiblen, diplomatischen Ausrede erwiderte sie mit fester Stimme: "Ja!" So ein einfaches kurzes Wort. Als ob sie auf die Frage "M;chtest du Kaffee?" oder "Nimmst du eine Dusche?", geantwortet h;tte. Ein einfaches Wort… Es war, als w;re sie in ein Eisloch gesprungen, ins kalte Wasser, mit scharfen, auf der Haut brennenden Eissplittern. "Ja" – ein kleines kurzes Wort! Wie wertlos, wie unscheinbar waren danach alle anderen Worte! Welch wahnwitzig unterschiedliche Bedeutung dieses eine Wort haben konnte:  "Ja" – auf die Frage "Liebst du mich?" und "Ja!" – als Antwort auf die Frage "Liebst du einen anderen?"

In der Ferne rumpelte eine Stra;enbahn. Das f;hrte sie in die Wirklichkeit zur;ck. "Ja!" – ein einziges Wort anstelle eines ganzen Haufens von Erkl;rungen. Doch sie sp;rte weder Reue noch Angst, sie f;hlte sich blo; erleichtert. Wie wunderbar, dass sie von nun an  ihre Sehnsucht, ihn wieder zu sehen oder auf einen Anruf von ihm zu warten, einen Brief von ihm zu empfangen, nun  nicht mehr verbergen musste… Briefe! Wie w;rden seine Briefe sie hier erreichen?

Hier gibt es kein Internet, hier auf einer alten Datscha, die ihrer Freundin geh;rt. Das Plumpsklo ist drau;en, das Dach tropft, bis zur Stadt braucht man mit zigmal Umsteigen mehr als drei Stunden. Viel zu umst;ndlich, um t;glich zur Arbeit zu fahren. F;r eine Mietwohnung in der Stadt fehlt ihr das Geld. Und der Andere, ihr Geliebter, lebt in seiner Familie, mit seinen eigenen Problemen. "Alle gl;cklichen Familien ;hneln sich in ihrem Gl;ck, alle ungl;cklichen…" Na ja, Leo Nikolajewitsch, (Tolstoi), all das haben Sie in ihren B;chern ja schon beschrieben… Aber sich wie Anna Karenina vor den Zug zu werfen, kam f;r Inna nicht in Frage… Doch wie soll es weiter gehen?

Sie schloss wieder die Augen und empfand keinerlei Lust aufzuwachen. Sie w;rde so gerne den Traum zu Ende tr;umen, in dem eine kleine silbern gl;nzende Figur unter dem Zirkusdach ohne Sicherheitsseil tanzt. Aber der Traum war beendet. Sie h;rte in sich hinein. Keine Angst, keine Verzweiflung, nur Sehnsucht nach Andrej. Das f;hlte sich wie kalte Normalit;t an, ein Gef;hl, an das sie sich schon l;ngst gew;hnt hatte.

Eigentlich sollte sie langsam unter der Decke hervorkommen, den Teekessel finden – und irgendwie ein neues Leben beginnen. Auf dem Hof heulte ein Hund. So ein Mist, wie unpassend! Die letzten Traumfetzen stoben davon. Es ist h;chste Zeit, aus dem warmen Bett zu springen. Ja. Wieder dieses "Ja", aber ein "Ja" ist besser als ein "Nein"! Schon  deswegen, weil "Ja" in anderen Sprachen ziemlich unterschiedlich klingt, und das "Nein" sich in allen Sprachen sehr ;hnlich anh;rt, wie ein nasales "N-N-N-N", wie ein unausgesprochenes St;hnen. St;hnen-n-n… N-n-nein. Schon deswegen ist ein "Ja" besser. "Nein" h;rt sich nach St;hnen an.
Da erinnerte sie sich an den Tag, an dem ihr auf dem Heimweg nach der Arbeit Stra;enmusikanten begegneten. Es waren junge Leute, etwas beschwipst, aber sehr energisch. Es regnete, und sie hatten nicht viele Zuschauer, was die Artisten aber kaum st;rte. Sie spielten leidenschaftlich ihr Konzert. Als Inna sich der Band n;herte, konnte sie den Text des Liedes verstehen. Es war so einfach, dass sie es sofort behielt:
"Du magst Pralinen und Sex,
aber darum geht es nicht,
darum geht es aber nicht,
denn vor allem liebst du mich!"
Danach folgte etwas wie "La-la", "Na-na" und andere Empfindungsw;rter und dann wieder der Kehrreim, den sie in allen m;glichen Variationen wiederholten. Das Lied wiederholte und wiederholte sich, ja es erschien ihr beinahe unendlich, und die jungen Musiker wirkten aufs Publikum fast wie Schamanen, die  alte Geister anriefen, so viel Leidenschaft steckte in den dreieinhalb Zeilen! Obwohl, das muss man zugeben, ihr Inhalt einem hohen Literaturgeschmack gar nicht entsprach. Aber bei diesen jungen Musikanten klang es nicht geschmacklos, im Gegenteil: das Lied r;hrte die Zuh;rer an, und, in diesen einfachen Worten steckte eine sehr echte Wahrheit. Eine Wahrheit, die man lange Jahre in sich tr;gt und die dann pl;tzlich durch die Stra;enmusikanten lebendig wird..
"Ein geliebter Mensch, den man nicht lieben darf – ist die sch;nste Erinnerung, die man vergessen soll!" Genau diesen Satz wird sie ihm gleich schicken, aber nicht per E-Mail, sondern auf einem Blatt Papier mit einem einfachen Kugelschreiber geschrieben, in einem Briefumschlag. Bis zum n;chsten Bahnhof zu Fu; oder per Anhalter. Dort h;ngt ein alter verrosteter blauer Postkasten – wie ein Relikt des letzten Jahrhunderts, wie ein Vogelh;uschen an der Ecke beim Ticketschalter, und schon sein Anblick erinnert an das Lied "Briefe, meine Briefe zur Post trag` ich selbst…" Ja, sie wird den Brief per Post abschicken, genau so, wie sie in ihrer Pionierzeit Briefe an ihre Freunde geschrieben hat, deren Antwort einige Wochen oder auch Monate sp;ter kamen.
Aber spielt f;r sie Zeit ;berhaupt noch eine Rolle, zumal ihr vom Leben nur Erinnerungen geblieben sind?



Redaktion – Svetlana Felde, Leverkusen, Heinrich Dick, Oerlinghausen

© Nadeschda Belenjkaja, Margarita Borzowa, Grigori Saltup, Alexandr Ilichevski, Ljubava Malyscheva, Аljona Chubarova, Tatjana Kadnikova
 
© Katharina Kucharenko, Lippstadt, Helene Abrams, Warendorf
 „Forum Russische Kultur“, G;tersloh
© Verlag „Deutsche aus Russland“, Oerlinghausen
Korrektur: Dr. Ulrich Engelen, G;tersloh
Satz: Gerhard Friesen
©Titelbild – Fotos von Borislava Avzen, Wuppertal, Alexej Kusnezov, Stuttgart
© Illustrationen von – Ilgar Schejdajev, Paderborn

ISBN 978-3-9813849-9-4
Bestellnummer: D-DS-002

Sind die russischen Frauen besser als die deutschen oder die eines anderen europ;ischen Landes? - Wer so denkt, der kann  dieses  Buch sofort zur Seite legen. Aber  als Frauen eines Volkes, des russischen n;mlich, sind sie etwas ganz Besonderes.  Gute und schwere Zeiten, die Russland ;ber viele Jahrhunderte hinweg erlebt hat,  haben ganz besonders seine Frauen, die russischen Frauen gepr;gt. Die Zeit ist immer ein Werkzeug. – Es formt  den Charakter. Die russischen Frauen sind offen, talentiert, mutig… Sie k;mpfen f;r ihre Kinder, f;r das Gl;ck und f;r die Liebe. Und wie  alle Frauen auf der ganzen Welt sind sie sch;n und r;tselhaft.

    


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