Teil 16 Die Vorladung

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haben, und du kannst keine Auskunft bekommen.

                " VORLADUNG

Sie werden ins Polizei-Revier am kommenden Dienstag um zehn Uhr
vorgeladen. Bitte bringen Sie Ihren Personalausweis mit."

In der DDR dolmetschte meine Mutter als beeidigte Dolmetscherin
mitunter auch in der Polizei. Aber diese Vorladung war kein
Dolmetscherauftrag.
Sie rief im Polizei-Revier an. Eine Frau war am Apparat. Sie
erklaerte, dass sie nichts davon wisse, Frau Morgenstern wird
alles am Dienstag erfahren.

Wie leicht wird einem Buerger die Wartezeit von 5 Tagen in Ungewissheit zugemutet!
- Sie haben Computer in Ihrer Dienststelle, bitte sehen Sie nach!
Warum werde ich vorgeladen?
- Wegen Verdacht eines Betrugs,- antwortete die Polizistin gelangweilt.
- Wer hat mich angezeigt?
- Ihr Mann.

Am Montag rief meine Mutter den zustaendigen Mitarbeiter an:
- Ich bin gehbehindert und Sie haben den hohen Treppeaufgang. Ich kann nicht kommen.

Er vereinbarte mit ihr einen Hausbesuch. Er brachte alle Unterlagen mit und nahm Platz am unseren runden Tisch.
- Sie wurden angezeigt, die Rente Ihres Mannes gepfaendet zu
haben.
- ?! Aber mein Mann ist kein Rentner!

In dem Augenblick sah meine Mutter das Aktenzeichen des Strafgerichts auf der Beschuldigung.
- Moment mal, dass ist doch keine polizeiliche Anzeige!
- Die Anwaeltin von Ihrem Mann war in der Staatsanwaltschaft.
Die Staatsanwaeltin S. reagierte sofort und versah die Beschuldigung mit diesem Aktenzeichen. Danach kam die Sache zu
uns. Nach meinem Gespraech mit Ihnen geht die Sache sofort ans
Strafgericht. Jetzt will ich Protokoll aufnehmen. Ihr Mann war
heute bei mir.
- Was hat er gesagt?
- Nichts. Seine Anwaeltin hat alles arrangiert. Er kann nichts hinzufuegen.

Aus dem Tagebuch meiner Mutter:
" Ich erzaehlte ihm ueber die misslungene Grundsicherung und ueber die Vorsprache in der Rentenversicherungsanstalt des Gatten, wo mir versichert wurde, dass er kein Rentner ist. Danach
hegte ich die Hoffnung, dass ich im Wege einer aussergerichtlichen Einigung den Unterhalt bekomme. Zu diesem Thema habe ich in der Zeitung meinen Beitrag "Gleichheitsprinzip
herstellen" veroeffentlicht. Der Bundestag beschaeftigt sich mit
diesem Problem. Ich zeigte ihm die Zeitung.

            " GLEICHHEITSPRINZIP HERSTELLEN
Thema: Altersversorgung. 650 000 Rentner bekommen Grundsicherung.

In der Zeit leeren sozialen Kassen ist es falsch, diejenigen
beduerftigen Rentner und Rentnerinnen versorgen zu wollen, die
nach der Vereinigung, zwischen dem 2.10.1990 und dem 31.12.1991,
schon nach dem BRD-Recht, aber ohne Versorgungsausgleich ,
geschieden worden sind. Der Versorgungsausgleich trat bei uns am 31.12.1991 in Kraft. Es haengt nur mit der damaligen ueberbelasteten organisatorischen Zeit zusammen. In der BRD gab es, bzw. gibt es den Versorgungsausgleich seit 1977.
Es spricht nichts dagegen, dass durch einen einfachen Verwaltungsakt das Gleichheitsprinzip rueckwirkend zum 2.10. 1990 hergestellt wird. Diese Entscheidung wuerde die Grundsicherungsaemter wesentlich entlasten. Was sagt unser
Justizminister dazu?
Frau Morgenstern "

Der Minister sagte dazu nichts. Wirklich schade. Denn es werden
noch einige Jahre Maertyrium vergehen, bis meine Mutter eine
wichtige Entdeckung im Einigungsvertrag machen wird. Aber der Minister als Jurist haette das gleich am Anfang sagen koennen...
muessen!
 
Denn durch diese Ungerechtigkeit plagten sich einige tausend
DDR- Frauen, die ueber Nacht  am 3.10.1991 arbeitslos und mittellos wurden.
Ich weiss nicht, was sie dagegen unternahmen. Aber meine Mutter

versuchte gegen die Betruegerein vorzugehen und wurde nun
durch die praktizierende Betruegerin Vack wegen Betrugs
angeklagt.Die Meisterleistung war: die Vack hat gleich das Aktenzeichen geschenkt bekommen!

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                PROBLEM MIT DER WOHNUNG

Gleichzeitig bedrueckten andere Sorgen.Die Wohnung meiner Mutter war mit Schimmelpilz befallen. Drei Jahre lang beschwerte sie sich in der Genossenschaft. Ihre
Beschwerden wurden missachtet. Es gab Ausreden, dass sie weder
heizen, noch lueften kann.

Ueberall, wo die Mieter sich beschwerten, wurden sie ignoriert
und fuer dumm verkauft. Das war die neue "Betreuungskultur":
IGNORIERE UND HERRSCHE! Wenn es dem Fussvolk nicht gefaellt,
bestrafe es durch Mieterhoehung! Wenn ihm das auch nicht gefaellt, soll es sich Anwalt nehmen!

In der Wohnung der Nachbarin waren zwei Waende nass und zwei weitere schwarz verschimmelt.
Eines Tages schob die Mutter die Gardine zur Seite und erschreckte! Auf dem Fensterbrett sass eine weise Maus!

Die Mutter lief zu Nachbarin, die eine Katze hatte. Zu dritt
kamen sie in die Wohnung zurueck, doch die Katze fand keinen
gefallen an der "Maus" : das war ein mausegrosser Schimmelpilz!

Die Frauen riefen sofort den Hygienedienst an.

                "HYGIENEGUTACHTEN
Ausmass der Schaeden:
- Schimmelbildung am Fenster im Wohnraum; Fenster ist defekt; Reparatur dringend erforderlich.
- Pilzbefall von aussen nach innen.
In der eingesandter Probe wurden durch die Landesuntersuchungsanstalt massenhaft Schimmelpilzsporen nachgewiesen.

Bei Zimmertemperatur wuchsen Penicillin sp.,der Schwaerzepilz Cladosporium herbarum und der Sprosspilz/ Hefe Cfndida guilliermondii.
Bei 37 Grad wuchsen vereinzelt Aspergillus niger und massenhaft der Sprosspilz/ Hefe Candida guilliermondii.

Die Sporen dieser Pilze zeigen in unterschiedlicher Haufigkeit allergisierende Wirkung. Sie koennen als ausloesender Faktor bei Astma bronchiale und seinen Vorstufen eine Rolle spielen.

Einige Schimmelpilze koennen sich sekundaer auf Wunden ansiedeln. Zahlreiche Arten bilden Mykotoxine, die zu Schaeden an den Schleimhauten und der Lunge sowie zu Stoerungen des Immunsystems ( damit Wegbahnung fuer Infekte) fuehren koennen.

Der bei 37 Grad gewachsene Aspergillus niger kann im vorgeschaedigten Organismus selbst Krankheitserreger sein und verdient daher besondere Beachtung.
Eine gesundheitliche Gefaerdung der Mieterin kann nicht ausgeschlossen werden.

In erster Linie ist der vorhandene Schimmelbefall snellmoeglichst zu entfernen. Desweiteren ist darauf zu achten, dass der WOhn- und Schlafraum mehrmals reichlich gelueftet wird (Querlueftung). Auch sollte die Reparatur des defekten Fensters in kuerzester Zeit erfolgen.
Abteilungsleiter Hygienedienst Dipl.-Med. L. "

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Der Schimmelpilzbefall ist nach dem Einbauen "neuer" Fenster mit
den Holzrahmen und der Waermedaemmung aus Kunststoff aufgetaucht.
Ausserdem die Fenstergroesse war zu klein ausgefallen. Der
Objektingenieur schob  Zeitung unter dem Fensterrahmen durch, und
die Zeitung fiel auf die Strasse.

Das war die allererste Wohnungsbesichtigung nach dreijahrigen
Beschwerden an die Wohnungsgenossenschaft. Auf dem Fensterbrett
sammelte sich drei Jahre das Regenwasser an der Stelle, wo die
Zeitung durchrutschte, aber die gleichgueltigen Weiber am Telefon kannten nur eine Antwort:" Sie muessen richtig lueften und heizen".

Gegen die Leute sind wir machtlos, aber die haben uns in der Hand.
Laut Gesetz kuerzte die Mutter ihre Miete um 10%. Und das war
ein Minimum! Daraufhin verklagte sie ein 23-jaehriger Sachbearbeiter im Gericht.

                GUTACHTEN

"In o.g. Wohnung kommt es im Wohnzimmer zu sehr starken Zugerscheinungen. Bei der durchgefuehrten Ortsbesichtigung mussten wir feststellen, dass zwischen dem Fensterrahmen und der zur Verbreitung des Fensterrahmens anliegenden Aufdopplung ein Luftspalt von 2 mm Breite zu erkennen ist. Dabei ist nachteilig festzustellen, dass zwischen Fensterrahmen und Aufdopplung keine Verbindung besteht und der Luftspalt durchgaengig ist. Dadurch kommt es zu Einregenschaden und den o.g. Zugerscheinungen.

Leiter Bautechnik W.     Bauleiter D. "

Diese ueberlagerten Fenster in Holzrahmen sowie auch anderes Baumaterial lagen irgendwo in Baden- Wuerttemberg im Freien laengere Zeit, bis sie an uns abgestossen wurden. Da war schon der Wurm drin! O, pardon! Da war schon der Schimmelpilz drin! Mit uns kann man das machen.

Auf den bereits hohen Quadratmeterpreis wurde alljaehrliche Mieterhoehung um 1 DM pro Quadratmeter vertragsgemaess aufgeschlagen. Obwohl gravierende Maengel zum Vorschein kamen und obwohl naturgemaess Holzfenster und Waermedaemmungen sich jedes Jahr abnutzen und altern, hat ein westdeutscher Abzocker  sein unlogisches Gesetz in Kraft gesetzt.

Diese verkehrte Logik, richtiger gesagt, Antilogik, herrschte nun in allen Instanzen.

Ich hatte einen Freund, der in einer ruhigen Strasse wohnte. Dann ist eine Bank ins Erdgeschoss unter seinem Balkon eingezogen. Von da an kamen Tag und Nacht dutzende von Fahrzeugen aller Kaliber und Lautstaerke zum Geldautomaten.

Die Kraftfahrer hinterliessen Berge von Muell und Zigarettenkippen. Die Mieter fragten in der Bank an, ob die Bank fuer die Sauberung ihres Parkplatzes verantwortlich waere? Die Antwort lautete:
- Das ist nicht unser Parkplatz. Das ist ueberhaupt kein Parkplatz.

Danach erstatteten die Mieter Anzeige im neu gegruendeten Ordnungsamt. Sie forderten ein Parkverbotsschild vor der Bank. Im Ordnungsamt trafen sie auf einen alten ungepflegten arroganten Mann, der sich im Licht seiner Machtposition sonnte.
- Gibt es in der Strasse das Parkproblem?- fragte er rhetorisch und antwortete:
- Nein! In Ihrer Strasse gibt es gar kein Parkplatzproblem, deshalb werden wir das Parken vor Ihren Balkonen nicht verbieten!

Die Mieter schuettelten mit Kopf. Begreift er, was er sagt?
Gerade weil es dort kein Parkplatzproblem gab, musste man vor der Bank ein Parkverbotsschild aufstellen, um Ordnung und Sauberkeit zu schaffen.

Nach der Heaufung solcher Logikumbrueche in allen Aemtern werden wir zum Entschluss kommen, dass die Unlogik-Traeger auf den
speziellen Lehrgaengen  geschult wurden, einen unliebsamen Buerger kurzer Hand so vor den Kopf zu stossen, das er  aus dem Konzept faellt.

Danach wird er mit dem Kopf schuetteln, laut werden und uns Vogel zeigen. Als Folge zeigt ihn das Ordnungsamt in der Polizei an.
Unser Amt wird den Buerger schon so besiegen, dass er nicht noch
einmal kommt.
 
Als meine Mutter die Miete um 10% kuerzte und Reparaturen forderte, trat auf die Buehne ein genau so geschulter Sachbearbeiter und erhoehte ihre Betriebskosten, statt sie zu senken.

-4-

Seine Aufgabe war es, moeglichst mehr Geld von den Mietern zu erpressen. Mitunter wohnten in dem verschimmelten Haus 80- bis 95-jaehrige vermoegende Leute mit dicken Konten aufgrund der vor kurzem an sie ueberwiesenen Geldern fuer ihren Kampf an der Ostfront gegen Russland.

Er konnte denen willkuerlich die Vorauszahlungen fuer die Betriebskosten erhoehen- sie protestierten nicht dagegen.
Mit dem gleichen Betrug wollte er meine Mutter bestrafen. Sie hat widersprochen. Ihre Rente zockten bereits andere Betrueger kontinuierlich ab.

Sie war ein Kriegsopfer, das niemals entschaedigt wurde, und als Kriegswaise hatte sie keine Erbschaft in Aussicht .         
Als Kind hungerte sie. Im Sommer sammelte sie weggeworfene Pfirsichkerne auf der Strasse in ihrer Heimatstadt, zerschlug sie mit Stein und ass...

Und nun fast 60 Jahre nach dem Krieg bekam sie das Gefuehl, dass
man sie in diese "Steinzeit" zurueckdraengt.
Die Gerichtsunterlagen wurden ihr zugesandt. Sie hat die erforderliche Stellungnahme geschrieben.Sie beantragte das schriftliche Verfahren, um im Gericht nicht erscheinen zu muessen.

Sie stellte Antrag auf  Prozesskostenhilfe, die sofort bewilligt wurde. No pasaran! Sie wird fuer diesen Gerichtsprozess nicht
bezahlen! Der junge Emporkoemmling ohne Respekt und Manieren
hat sich geschnitten. Er will sie aus der Reserve locken, um eventuell das volle Programm mit dem "Vogel" zu provozieren.

Aber das waere unter ihrem Nieveau. Sie wird nicht unter seiner
Pfeife tanzen. Sie wird mit Abwesenheit glaenzen. Sie hat schon
gelernt, sich zu wehren. Er kann ihre Wohnung haben, aber sie - nicht! Die zustaendige Richterin rief sie an und bot ihr die Beiordnung eines Anwalts auf Staatskosten.

Sie beauftragte einen maechtigen bayrischen Anwalt. Aber er
hat die Sache seiner Praktikantin uebergeben. Die junge Frau
bereitete sich nicht vor. Sie sass einfach wie ein Moebelstueck im Gericht und hat die Sache verloren.

Danach erzaehlte sie es meiner Mutter per Telefon ohne jegliche
Hemmung!
- Und jetzt werde ich einen Brief an die Genossenschaft aufsetzen!- sagte sie irgendwie froehlich.
Sie wollte weiter im Geschaeft bleiben, damit das Honorar lauft.

- Nein!- antwortete  Mutter.- Ich entziehe Ihrem Chef meine
Vollmacht!
Dank der Prozesskostenhilfe musste sie nichts bezahlen, und die
Sache war fuer sie erledigt.

Sie wollte aus der verschimmelten Wohnung ausziehen.

...Seit dem unseligen Freitag, dem 13., hatte ich keinen Kontakt zu meiner Mutter. Ich war auch 23, wie der Sachbearbeiter und
die grobe Rechtspflegerin Koko, und ich wollte sie auch in die
Knie zwingen. Ich habe mich verrant. Die Gewissensbisse waren mir fremd.

Es klaffte ein Loch zwischen ihren moralischen Werten und der
Unmoral und Angriffslust meiner Generation. In den Massenmedien
lief die Propaganda gegen aeltere Menschen. Sie wurden als Abschaum und Rentnerschwaemme beschimpft, die angeblich auf Kosten der jungen Generation lebten.

Dass die Alten 45 Jahre berufstaetig waren und ihren Rentenbeitrag selbst eingezahlt haben, das hat uns niemand erklaert.

Meine Mutter hielt die Trennung nicht aus. Zu meinem 24. Geburtstag kam sie mit Geschenk in meine Firma und gratulierte
mir. Sie trug schwarze Brille, um ihr unsaegliches Leiden und Traenen zu verbergen. Am leibsten wuerde sie ein afganisches

Gewand mit einer vergitterten Kopfbedeckung tragen.Sie fragte mich, ob ich sie zum Abendbrot einladen wuerde. Sie hatte nichts zu essen. Ich bleib stumm und taub.

Die NEGATION der NEGATION in PERSON.

Danach hat die verheerende Ueberschwemmung unsere Stadt heimgesucht. Das Gerichtgebaude wurde ueberschwemmt, alle Termine ausgefallen. Acht Monate spaeter sendete Mutter mir ein
Fax: "Leibes Soehnchen, meine Wohnung wird zwangsgeraeumt. Bitte hole deine Buecher, Kasseten und Moebel ab."

Eine Woche verging. Sie hoffte, dass ich am Freitag komme. Am
Mittwoch um halb drei klingelte es von unten in ihrer Wohnung,
und eine weibliche Stimme sagte durch die Gegensprechanlage:

- IHR KIND IST VERBLUTET.
- Was ist passiert? Kommen Sie bitte hoch!
- Nichts. Nur verblutet,- antwortete die Frau gleichgueltig und verschwand.

Die Mutter verlor das Bewusstsein.   

http://www.proza.ru/2013/12/12/941    


               




 


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