Интервью Вольфганга Акунова Моск. радио 26. 9
ИНТЕРВЬЮ ВОЛЬФГАНГА АКУНОВА МОСКОВСКОМУ РАДИО 26.9.2014 ГОДА
OFFEN GESAGT: KRIEGSPROPAGANDA UND PATRIOTISCHE STIMMUNG IM ERSTEN WELTKRIEG
STIMME RUSSLANDS Der Historiker, Schriftsteller und Publizist Wolfgang Akunow ueber die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg war der erste industriell gefuehrte Massenkrieg und der erste "totale" Krieg der Menschheitsgeschichte. Niemals zuvor kaempften Armeen in solch gigantischen Groessenordnungen gegeneinander, und niemals zuvor war die Zivilbevoelkerung derart direkt ins Kriegsgeschehen einbezogen.
Krieg der Postkarten
Sie wurden in grossen Auflagen gedruckt, waren sehr populaer, kosteten wenig und wurden zu Propagandazwecken genutzt.
„Auf einer ist z.B. die Entente Cordiale (russische Ausgabe), also das gro;e Buendnis der drei Grossmaechte Russland, England, oder, genauer gesagt, das Britische Reich, und Frankreich zu sehen. In Gestalt von drei schoenen jungen Frauen, in antiker militanter Kleidung, wobei Frankreich, die sogenannte Marianne, die phrygische Muetze traegt, Russland die Krone des Monomachos, also die Muetze des Monomachos, die alte Krone der russischen Zaren, und England, traditionsgemaess, den Helm der Athene, der Goettin Athene oder Minerva, wie die Roemer sagen, aber zugleich den Helm der Herrscherin ueber alle Weltmeere. Wenn wir ueber die Geschichte der bildhaften Kriegs- und Anti-Kriegspropaganda reden, sollten wir wissen, dass es schon vorher, vor dem Ersten Weltkrieg, Perioden gegeben hat, als solche Karikaturen weit verbreitet waren. Das waren die Zeiten der Franzoesischen Republik, der Grossen Franzoesischen Revolution Ende des 18. und Anfang des 19. Jhs. und dann spaeter die daraus erwachsenen Napoleonischen Kriege. Da wurden zahlreiche Karikaturen produziert, auf beiden Seiten, wo die Gegner, einerseits Frankreich und spaeter seine Verbuendeten, und andererseits die Heilige Allianz und ueberhaupt die Gegner Frankreichs verteufelt wurden. Sie wurden gegenseitig dargestellt als Scheusale, als Teufel usw...
Diese drei Damen tragen die drei Symbole der christlichen Triade, und zwar Glaube, Hoffnung und Liebe. Russland haelt in der rechten Hand emporgehoben das Kreuz als Symbol fuer Glauben, England den Anker, einerseits ein Sinnbild der Hoffnung, andererseits eine direkte Andeutung auf die weltmeerbeherrschende Rolle Englands; und Frankreich das Herz, also die Liebe. Der Sinn dieses Bildes ist: die Entente verteidigt die christlichen Ur- und Grundwerte...
Als Pendant liegt hier vor uns eine deutsche Postkarte, die ist nicht im christlichen Sinn, sozusagen, ausgelegt, sondern eher im deutsch-voelkischen, wie es damals hiess. Zwei wehrhafte Maenner, ein Infanterist mit Pickelhaube und geschultertem Gewehr und ein Matrose (die Marine, die Kriegsmarine war ja das Lieblingskind vom Kaiser Wilhelm dem Zweiten. Von ihm kommt der bekannte Spruch: „die deutsche Zukunft liegt im Wasser“...
bildhaft...
Da wurden viele Witze gemacht, „die deutsche Zukunft liegt im Eimer“ usw., aber das war das Haetschelkind, die junge deutsche Marine, die schnell aufgebaut wurde und der britischen Marine, der Weltmeere-Beherrscherin, erfolgreich Parole bieten konnte. Diese beiden Recken bewachen die deutsche Eiche. Darauf steht geschrieben, in Fraktur, oder, wie es damals hiess, in neudeutscher Schrift „Wir Deutsche fuerchten Gott und sonst nichts auf der Welt“. Das ist ein Spruch, einer der kernigen Sprueche vom Kaiser Wilhelm dem Zweiten. Unten ist der deutsche Reichsadler dargestellt. Hier wird auch Bezug auf Gott genommen. Aber die christliche Symbolik ist als solche nicht praesent, abgesehen von dem kleinen Kreuz auf der deutschen Kaiserkrone...
Kinder, Kinder- und Bilderbuecher zu Zwecken der Kriegspropaganda auf beiden Seiten missbraucht.
„Und natuerlich wurden die Vertreter der Entente auf jede Art und Weise von der deutschen Seite verteufelt. Oder Wilhelm als der leibhaftige Teufel dargestellt. Z. B. als Kind hatte ich noch zu Hause in meinem bescheidenen Bestand, der von den Grosseltern und Urgrosseltern geerbt worden ist, mehrere Postkarten. Wie ich mich jetzt entsinnen kann, war dort dargestellt, uebrigens durch den bekannten russischen Kuenstler Iwan Bilibin (er war sehr bekannt und liess sich auch zur Kriegshetze-Zwecken missbrauchen) Kaiser Wilhelm als der Antichrist, gestuetzt auf sein Schwert, zu seiner Rechten steht der Teufel, zu seiner Linken steht der Tod mit der Sense, ja, der Sensenmann, und rundherum brennende Haeuser, brennende Staedte, und Sprueche aus der Offenbarung Johannis, aus der Apokalypse, die Bezug auf Kaiser Wilhelm den Zweiten als den Antichristen nehmen, oder zumindest auf einen Vorgaenger des Antichristen. Oder es wurde z. B. der tuerkische Sultan als Massenmoerder dargestellt. Es wurde Bezug auf den Massenmord genommen, der tuerkischerseits begangen worden ist, ab 1915, an der christlichen Bevoelkerung, in erster Linie an den Armeniern, aber auch an den Griechen. Und dies wurde auch als Zeichen des Antichrist, des Feindes des christlichen Glaubens, ausgemalt, und Deutschland wurde verunglimpft, und Oesterreich, dass sie sich, angeblich christliche Maechte, mit dem Feind der Christenheit, mit dem Islam verbuendet haben. Das wurde auch vor allen Dingen auf russischer Seite ausgespielt, weniger auf Seiten der Entente, die sozusagen weniger christlich gepraegt war, obwohl sie sich auch auf christliche Symbole und Werte berief. Und in Deutschland war der Spruch „Gott strafe England“ verbreitet. Es war gemeint, Gott wuerde an deutscher Seite kaempfen. Es faellt mir sogar noch eine Postkarte ein, wo die deutschen Herrscher vom Erzengel Michael angefuehrt werden, der sein Flammenschwert zueckt, mit dem deutschen Reichsadler auf dem Brustpanzer, und ueberhaupt wurde sehr stark der alte Glaube ausgespielt, der noch aus dem Mittelalter kommt: der Erzengel Michael sei der Vorkaempfer der deutschen Ritterschaft.
Bei der Psychologischen Kriegfuehrung spielten zum Beispiel sogenannte Maueranschlaege eine wichtige Rolle, sowohl bei den Mittelmaechten als auch bei der Entente und ihren Alliierten. So beteiligten sich in Deutschland zahlreiche Kuenstler, u. a. Walter Trier, Louis Oppenheim und Paul Brockmueller, aber auch He3inrich Zille, an der Gestaltung zahlreicher Plakate.
„Die damaligen Zeiten waren durch imperiales Bewusstsein gepraegt. Das war die Zeit, wo die Welt schon aufgeteilt schien, fuer aufsteigende Grossmaechte, die sozusagen zur Aufteilung des Kuchens zu spaet gekommen waren, erweckte es den Schein der Ungerechtigkeit, einer ungerechten Verteilung der Welt. Dementsprechend wurde weit und breit das Sendungsbewusstsein jeder Nation gepredigt. In der Tuerkei, im Osmanischen Reich, das traditionell nicht nationalistisch war, sondern eher islamisch-khalifatisch schon damals. Sie betrachteten sich als Nachkommen der arabischen Khalife, der Nachkommen des Propheten Mohammed, die quasi den Islam als Weltreligion fuer alle verbreiteten und hueteten. Das heisst, die Nationalitaet spielte im Islam nie eine bedeutende Rolle. Der Glaube spielte die wichtigste Rolle. Daraus erklaert sich z. B. der Umstand, dass heute wir Nachrichten haben, aus Syrien, aus dem Irak, dass Europaer zu Tausenden zum Islam konvertiert sind und auf Seiten dieser Islamisten kaempfen. Fuer den Islam spielte die Nationalitaet nie eine entscheidende Rolle, wie eigentlich auch fuer das Christentum...“
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Teil 2
Auf emotionaler Ebene wurde Angst vor und Zorn auf den potentiellen Gegner geweckt, patriotische und nationalistische Gefuehle wurden als gruppendynamisch wirksame Motivation aufgerufen und Heldentum (einschliesslich Heldentod) wurden als Tugend dargestellt. Auf rationaler Ebene wurde mit der im Interesse von Staat und Volk unausweichlichen Notwendigkeit des Waffenganges argumentiert.
Presse
„Einerseits wurde ungehindert Kriegshetze betrieben. Es wurden die wildesten Beschuldigungen einander an den Kopf geschleudert: z. B. die russischen Kosaken wurden in der deutschen Presse als eine Art Menschenfresser dargestellt. Andererseits wurden in der franzoesischen Presse oder der britischen Presse die deutschen Soldaten verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt, sie haetten angeblich den belgischen (Belgien war im Ersten Weltkrieg durch die deutsche Armee besetzt) Kindern mit Vorliebe angeblich die Haende abgehackt und angeblich so viele Haende abgeliefert, wie es nur ging, um angeblich dafuer von den Vorgesetzten belohnt zu werden. Andererseits haben die Deutschen die Franzosen beschuldigt, die starke Kolonialtruppen in ihrem Armeebestand hatten, dass diese franzoesischen Neger, wie es damals so hiess, den deutschen Soldaten die Zaehne ausreissen und Halsketten daraus machen. Die Franzosen beschuldigten die Deutschen, dass die angeblich franzoesische katholische Pfarrer an Glocken binden und damit die Glocken laeuten lassen. Das war eine absolut bizarre und bloede Beschuldigung, denn es ist klar, dass eine solche Glocke nicht schlagen wird, aber trotzdem wurde sie verbreitet...
Spaeter, also 10 Jahre nach dem Krieg, haben sie sich offiziell dafuer entschuldigt. Aber trotzdem wurde, soviel ich weiss, keiner der Journalisten oder Presseleute, die das verbreitet haben, irgendwie bestraft oder zu Klage gezogen.
Zensur
Die Zensur setzte in einem grossen Umfang ein. Vorher hatte es auch Zensur gegeben. Aber die Zensur vor dem Krieg war in den meisten Laendern wie z. B. Russland nachwirkend. Das heisst, etwas erschien im Buch oder in einer Zeitschrift, oder Zeitung, und wenn dort etwas stand, das nach der Meinung der Herrschenden nicht veroeffentlicht werden musste, wurde die Auflage eingezogen. Aber vorgreifende Zensur hatte es nicht gegeben. Und diesmal also war es anders. Jetzt mussten also alle Zeitungs-, Presseberichte und Buecher erst mal dem Zensor vorgelegt werden, bevor sie erst mal erscheinen durften. Das war ein Novum, ein absolutes Novum, eine solche Zensur. Und natuerlich hatten auf einmal sehr viele Leute die Schere im Kopf. Mussten zehnmal denken, ob sie etwas zu Papier bringen oder nicht...
...genau wie heute...
Es ist natuerlich immer schwer, historische Vergleiche zu ziehen, weil jeder historische Vergleich immer hinkt, sozusagen...
Das vielleicht beruehmteste Buch ;ber den Ersten Weltkrieg, aber meiner Meinung nach ueber die Armee ueberhaupt, sind die „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk im Weltkrieg“, also des tschechischen Schriftstellers (und Anarchisten uebrigens, der spaeter zum Kommunisten geworden ist, aber bereits in russischer Kriegsgefangenschaft) Jaroslav Haschek. Und da ist z. B. die Rede von vielen Auswuechsen zu Beginn, auch von der Zensur. Z. B. in einer Kneipe in Prag, das war damals also eine Stadt, die mit ganz Boehmen zu den oesterreichischen Kronlaendern, Erblanden gehoerte, spielen die Stammg;ste Karten, und einer schmeisst seinen Trumpf auf den Tisch und sagt: „Siebenmal, wie in Sarajevo!“ (Gemeint sind die sieben Kugeln, die den Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gattin getroffen haben). Und dafuer wurde er von Geheimdienstlern sofort abgefuehrt – wegen feindlicher Propaganda. Oder die Hausmeisterin von Schwejk, der spaeter zur Armee kam, wurde auch der feindlichen Propaganda im Krieg und hochverraeterischer Umtriebe beschuldigt und er kam ins Lager...
Wie gelingt es Politikern, die Bevoelkerung dazu zu bringen, einen Krieg geschlossen zu unterstuetzen? Warum kaempfen Menschen weiter, nachdem die nationale Euphorie verflogen und der Krieg unpopulaer geworden ist?
Es haengt sehr Vieles von dem Unterbewusstsein, von dem kollektiven Unbewussten ab. Einerseits gibt es immer einen Schlag von Menschen, einen gewissen Prozentsatz, die sich gerade im Frieden nicht zurechtfinden koennen. Bekannt ist die Figur des Partisanen Tichon Schtscherbaty in „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi. Also Menschen, die zu Friedenszeiten mit Vorliebe zu Straftaetern werden, zu Moerdern, zu Kriminellen usw., das heisst, denen der angeborene Trieb zu Mord oder zu Totschlag einfach nicht auszutreiben ist. Sie suchen nur moegliche Kriegsherde, um dahin zu reisen und dort zu kaempfen, wie die Soeldner z.B., bekannt sind Faelle von Soeldnern in Afrika und woanders. Sie verdienen eigentlich zwar Geld, aber sie koennten dieses Geld, ohne ihr eigenes Leben zu riskieren, auch woanders verdienen. Trotzdem treibt es sie von einem Kriegsherd zum anderen. Das ist ein Menschentyp, der immer fuer den Krieg reif ist. Ausserdem ist natuerlich die Erziehung in der Schule, wenn das Kind von klein auf im Geist erzogen wird, dass sein Land von Feinden umstellt ist, das sogenannte Festungsdenken. Dann ist man eben veranlasst zu kaempfen. Spaeter, nachdem im Krieg vielleicht Kriegsverbrechen begangen worden sind und der Mann an der Front das selber gesehen hat und weiss, dann hat er Angst um die eigenen Hinterbliebenen oder die Familie zu Hause, dass sie zum Opfer der Rache der Sieger fallen wird, falls er den Krieg verliert, auf seiner Seite den Krieg verliert. Das koennte eine Rolle spielen. Ausserdem koennte es vielleicht eine Art Unbehagen am grauen Alltag sein, fuer die Anfangsperiode des Krieges. Man meint, der Krieg koennte eine laeuternde Rolle im Leben der Menschen spielen. Diese Stimmung wird als Bellizismus bezeichnet. Die Vorstellung von dem, dass der Krieg etwas Positives mit sich bringen kann, z. B. neue Arbeitsplaetze schaffen, die menschlichen Charaktere veredeln und staehlen kann. Obwohl auch der Pazifismus nach dem Ersten Weltkrieg weit verbreitet war. Erich Maria Remarque, oder Aldington, oder Henri Barbusse, oder Hemingway... Aber andererseits hat es sehr viele Schriftsteller gegeben, vornehmlich auch in Deutschland, die sich gerne an den Krieg erinnerten, an die Kameradschaft. Auch bei Erich Maria Remarque klingt es in den „Drei Kameraden“, dass im Bereich der persoenlichen Beziehungen der Menschen die Kriegszeit die beste war, weil im Frieden der Mensch vereinzelt, individualisiert ist, und dort, in den Schuetzengraeben, ist natuerlich die Kameradschaft das laeuternde Element gewesen usw. Also es ist eine sehr komplexe Frage, um sie so auf einen Schlag zu beantworten. Aber natuerlich spielt auch die bewusste Kriegshetze eine wichtige Rolle...
Normalerweise spricht man ueber einen Krieg wie ueber einen Wettkampf zwischen Rivalen. Man kann den Krieg als einen Konflikt zwischen Jenen, die in diesem Krieg einen edlen und notwendigen Kreuzzug sehen und Jenen, die ihn schlicht f;r eine verr;ckte Sache halten.
Obwohl es immer natuerlich vernuenftige Menschen gibt, die versuchen, an den alten Spruch zu erinnern, ein russisches Sprichwort besagt: ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Streit...
Wir haben ueber die Geschichte gesprochen, aber ueber die Gegenwart nachgedacht
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