Karl und Lark

Im Park auf einer kleinen Bank sa;, neben seiner Oma, ein kleiner Junge namens Karl. Er langweilte sich. Er hatte schlechte Laune: denn gerade war seine Mitsch;lerin Lili vorbeigekommen und hatte mit spitzem Zungenschlag gesagt:
„Kar-lik! Deine Gro;mutter f;hrt dich wohl spazieren?“, und war hochn;-sig weitergegangen. Das war ihm t;chtig auf den Zahn gegangen: Karlik, in rus-sischer Sprache „Zwerg“, spielte darauf an, dass er in seiner Klasse der kleinste war und zu Hause – „Karluscha“, wie die Kr;he aus der Fernsehsendung „Gute Nacht, ihr Kleinen“.
„Karluscha, geh; spazieren. Bewegung tut dir gut. Nur geh nicht zu weit“, sagte seine Oma, ohne den Blick von ihrem Buch zu wenden.
Karl schaute sich um und sah ein kleines H;ndchen, das einen Rosen-busch anbellte. Er stand auf, doch seine Oma warnte ihn:
„Vorsicht! Wenn es auch klein scheint, das kleine Tier ist doch ein richti-ger Hund!“ Rundherum war niemand zu sehen, und als Karl sich dem Rosen-busch n;herte, lief das H;ndchen erschrocken davon. Da erblickte er an der Spitze eines stacheligen Zweiges einen winzig kleinen gr;nen Grash;pfer.
„Danke sehr!“, h;rte Karl jemanden sagen. Er schaute sich nach allen Sei-ten um.
„Ich bin wohl eingeschlummert und kam dabei fast ums Leben!“
Karl verstand, dass dieser kleine glupsch;ugige Grash;pfer ihm f;r seine Rettung vor dem Hund, der ihn anscheinend ziemlich erschreckt hatte, dankte. Er kniete sich nieder, streckte die Hand aus, und der langbeinige Grash;pfer mit den nach hinten geknickten Knien lie; sich auf seiner Handfl;che nieder.
„Ich erlaube mir, mich vorzustellen, Lark. Einfach Lark.“
„Karl, einfach Karl“, antwortete der Junge mit trauriger Stimme.
„Welch‘ ein sch;ner Name! Beinah wie meiner!“
„Aber mir kommt er nicht so vor“, erwiderte Karl und lie; den Kopf h;n-gen.
„Ach was! In deinem Namen sp;rt man St;rke und Macht! Ich m;chte mich bei dir f;r meine Rettung bedanken.“
„Aber wer bist du denn eigentlich?“, fragte Karl erstaunt.
„Ich bin ein Bewohner des magischen Landes „Senzia“, aus dem Sternbild „Zwillinge“.  Bei uns dort ist alles doppelt, wie eine Widerspiegelung. Sogar alle Kinder kommen als Zwillinge zur Welt. Ich habe auch einen Zwillingsbruder mit Namen Ralk. Er ist zwei Minuten ;lter als ich. Er verst;;t niemals gegen die Ge-setze des Landes und verl;sst nicht dessen Grenzen. Ich jedoch mache tolle Streiche, und wenn etwas schief geht, kann ich jederzeit meinen Bruder rufen, und er rettet mich. Und wie steht es bei euch mit Streichen?“
„Im Allgemeinen gibt es bei uns Regeln und Verbote: Man soll keinen L;rm machen, sich nicht pr;geln, schreien, mit Wasser begie;en, Hunde und M;dchen reizen, ;ber den Rasen laufen, man soll den Erwachsenen gehorchen, die J;ngeren nicht beleidigen und noch viel anderes.“
„Uh-uh-uh, dann herrscht bei euch also ein ewiges „Nicht d;rfen“?“, wunderte sich Lark, „doch: wie kann ich dir danken?“
„Ah schon gut, lassen wir das!“
„Und was machen wir jetzt?“
„Keine Ahnung! Abhauen ist nicht m;glich, siehst du – da sitzt meine Oma…“, und er nickte in ihre Richtung.
„Pass auf! Ich kann W;nsche erf;llen!“, sagte Lark und breitete seine kleinen Fl;gel aus. Sie bestanden aus sehr, sehr d;nnen, schillernden N;delchen. An deren Enden blitzten winzig kleine, bunte K;gelchen.
„Wau!“, Karl staunte nicht schlecht.
„Meine Fl;gel sind zwar klein, aber f;r ein paar fr;hliche Streiche reichen meine Kr;fte allemal“, und Lark setzte sich freudig auf Karls Schulter. „Aber gib acht! F;r jeden Wunsch, den du f;r dich ;u;erst, werden meine Zauberkr;fte aufgebraucht. Doch wenn du etwas f;r andere Menschen w;nschst, nehmen meine Kr;fte zu. Aber du darfst mich nicht alleine lassen, denn sonst verlieren meine Fl;gel ihre Zauberkr;fte. Daher brauche ich immer die Unterst;tzung meines Zwillingsbruders. Aber f;r kurze Zeit kannst auch du seine Rolle ;ber-nehmen. Verstanden?“
Karl h;rte ihm gebannt zu, nickte und schaute seine Oma an: Wie wird sie auf so eine Bekanntschaft reagieren?
„Nun los, ;u;ere deinen ersten Wunsch!“, rief Lark, bereit f;r ein gro;es Abenteuer.
„Und was soll mit meiner Oma werden?“
„Los! Einen Wunsch! Ich kann doch nicht selbst etwas w;nschen und das dann auch noch ausf;hren. Du bist dran. W;hrend wir unterwegs sind, kann deine Oma ja schlafen.“
Karl glaubte zwar nicht an Wunder, wollte sich aber auf das angebotene Abenteuer einlassen und dachte sich: „Oma, du bist m;de. Schlafe ein Weilchen, w;hrend ich nicht da bin.“ Und siehe da:  ihr Kopf senkte sich. Als Karl sich n;-herte und bemerkte, dass seine Gro;mutter eingenickt war, jubelte er in seinem Inneren:
„Es hat geklappt! Du bist ja wirklich ein Zauberer!“
„Nicht so laut! Du weckst sie sonst noch auf“, fl;sterte Lark. „Lass uns aufbrechen!“ Karl lief h;pfend die Allee entlang, w;hrend neben ihm sein klei-ner Freund, der Magier, flatterte.
„Lark, wenn ich Pepsi m;chte, bekomme ich sie dann wirklich?“ Sogleich hatte er eine Dose mit dem gew;nschten Getr;nk in seiner Hand.
„Danke sehr! Kannst du denn auch ein Eis herbeizaubern?“ Sofort konnte er an einem wunderbaren Eis am Stiel lecken. „Wenn das so einfach ist, dann f;lle doch bitte unseren K;hlschrank zu Hause mit Eis!“, sagte Karl ganz beseelt. Ein Fl;gelschlag, das Funkeln der kleinen K;gelchen und…
„Fertig!“, freute sich Lark, der seinem Retter unbedingt noch und noch ei-nen Gefallen tun wollte.
Am Rand des Weges lag ein St;ckchen Brot, und neben ihm h;pften ein Sp;tzchen und eine Kr;he. Das Sp;tzchen m;hte sich tapfer, aber die Kr;he war einfach st;rker. Sie verscheuchte den Kleinen von dem Leckerbissen.
„Lark, kannst du den Spatzen gr;;er als die Kr;he machen?“  Und wieder erschien das Funkeln der K;gelchen an den Fl;geln des Grash;pfers –   und prompt war Karls Wunsch in Erf;llung gegangen. Die Freunde lachten die Kr;-he aus und zogen weiter. Pl;tzlich blieb Karl stehen. Vor ihnen ging Lili mit ei-nem kleinen Pudel an der Leine.
„Lark, mach mich unsichtbar und verwandle den kleinen Pudel in eine Bulldogge!“   
Pl;tzlich zog irgendjemand an Lilis Z;pfen. Sie drehte sich um und sah an ihrer Leine eine Bulldogge, die sie anknurrte, die gro;e Schnauze weit aufgeris-sen. Das M;dchen lie; die Leine los und lief erschrocken davon, prallte mit einer alten Frau zusammen, die zur;ckschreckte und dabei den M;llbeh;lter umstie;. Alle erschraken, doch von irgendwo h;rte man das Lachen der beiden unsicht-baren Schlingel. Zufrieden ;ber ihren Streich, liefen sie unbehelligt weiter. Karl, immer noch unsichtbar, n;herte sich einem Verkaufstisch mit B;chern und be-gann, ein Buch nach dem anderen emporzuheben um so den alten Antiquariats-h;ndler zu erschrecken. Seine Aktentasche schwebte pl;tzlich in der Luft und leerte ihren Inhalt neben dem B;chertisch aus. Der alte Mann bekreuzigte sich, als ob er einen b;sen Geist s;he. Und von irgendwo erschallte wieder dieses kindliche Lachen.
„Nun lass uns als unsichtbare Gestalten in einen Laden gehen. Das wird lustig!“
„Nein, Karl! Du hast wohl die Bedingungen vergessen: ich verliere meine Kr;fte.“
„Na, dann mach meine Verwandlung doch einfach r;ckg;ngig…!“
Die beiden gingen die Allee entlang. Karl versuchte, sich einen Wunsch f;r ei-nen anderen Menschen auszudenken, aber das war f;r ihn gar nicht so einfach. Er ging auf ein paar Passanten zu und bat sie darum, einen Wunsch zu ;u;ern. Aber alle l;chelten misstrauisch und gingen weiter. Nur eine Frau antwortete auf Karls Frage: „Was m;chten Sie jetzt gerade am liebsten tun?“ mit den Worten:  „Ich bin so m;de. Ich sehne mich nach Urlaub.“  „Wohin m;chten Sie denn rei-sen?“, fragte Karl, erfreut ;ber seinen ersten Erfolg.
„Egal wohin, sogar zum Nordpol w;rde ich fahren“, scherzte sie und schon war sie verschwunden.
„Was hast du getan? Hast du sie tats;chlich zum Nordpol geschickt?“
„Klar doch! Ihr Wunsch war mir Befehl! Aber sag:  was ist denn eigent-lich ein Nordpol?“
„Oh Gott! Lark, hol sie zur;ck! Der Nordpol ist doch der n;rdlichste Teil der Erde; dort ist es sogar im Sommer furchtbar kalt, und die Frau hat doch nicht einmal einen Mantel!“
„Das h;ttest du mir vorhersagen und mich warnen sollen!“ Und pl;tzlich war die Frau wieder da. Sie ging weiter, als w;re nichts geschehen.
„Na, dann gib Lili auch den Pudel zur;ck und sammle die Unterlagen des Antiquariatsbesitzers wieder ein und lege sie zur;ck in seine Aktentasche.“
„Gut, aber dies sind blo; Fehlerkorrekturen!“.
„Ach, ja! Na dann lass doch meinen Papa ein zusammenklappendes Ta-schenmesser kaufen.“
„Und f;r wen, hat er keins?“
„Na, ja, er... er besitzt schon eins“, murmelte Karl.
„Nein, nein, der Wunsch muss f;r einen anderen sein…und mach endlich schneller!“
„Hab noch ein bisschen Geduld! Ich... ich denke nach. So, ich hab;s: In Tante Maries Garten hat der Wind alle Gladiolen umgeknickt. Ich m;chte, dass sie wieder geradestehen und bl;hen!“ Karl bemerkte, dass die K;gelchen auf Larks Fl;geln langsam wieder einen matten Schimmer bekamen.
„Na, mach schon weiter!“
„Ich m;chte, ich m;chte…“, Karl sah auf einmal einen Jungen mit einer dicken Backe auf sie zukommen. „Ich m;chte, dass ihm sein Zahn nicht mehr weh tut.“ Schon im n;chsten Augenblick schwoll die Backe des Jungen ab und er konnte wieder l;cheln. Lark war zufrieden.
„Karl, noch ein solcher Wunsch und ich bin wieder voll bei Kr;ften!“
„Lebst du denn auf Kosten der anderen?“
„Nein, das kann man so nicht sagen! Nur dann, wenn sich einer etwas f;r einen anderen w;nscht!“
„Und wenn der Wunsch schlecht ist, wirst du ihn dann dennoch erf;llen?“
„Ja – sieh doch:  Ich habe ja die Frau zum Nordpol geschickt.“
„Aha! Daran denken, ob etwas gut oder schlecht ist, soll derjenige, der den Wunsch ;u;ert?  Du aber handelst dann nur wie ein Roboter, stimmt das so?“
„Nein, so ist es auch wieder nicht. Wir Grash;pfer lernen in der Zauber-schule verschiedene Arten Magie. Heute habe ich etwas Neues erfahren und ich werde mich k;nftig mehr bem;hen!“
„Prima! Bei euch kann man sogar das Zaubern lernen?“

Auf einer Bank sa;en drei Teenager und klimperten abwechselnd auf ei-ner Gitarre. Dabei stritten sie sich, wer als n;chster dran w;re.
„Lark, kannst du bitte jedem eine Gitarre schenken, so dass sie nicht ewig herumstreiten m;ssen?“
Wieder folgte auf Karls Wunsch hin ein kurzer Schlag mit Larks Fl;geln, dann sah man kurz das Funkeln der K;gelchen aufleuchten und schon war es vollbracht.
„Super! Wenn wir doch auf irgendeinem Fest erscheinen k;nnten, dann w;rden wir dort alle zum Staunen bringen.“
 Umgehend landeten sie in einer gro;en Sporthalle, in der ein Sch;ler-wettbewerb mit Sackh;pfen stattfand. Karl erinnerte sich, dass er vor Kurzem bei einer solchen Veranstaltung den letzten Platz belegt hatte, und fl;sterte sei-nem Freund zu:
„Lark, schenk allen ein Kaugummi! Und ich –  ich will so gerne der Sie-ger sein!“
Im Nu umzingelten ihn all seine Klassenkameraden. „Hurra! Karlik hat gewonnen! Lassen wir ihn hochleben, Jungs!“, schrien alle ringsumher und tru-gen ihn in die Mitte des Raumes.
Lark, der von der Menge in eine Ecke weggepustet wurde, kam mit M;he wie-der zu sich und kroch mit letzter Kraft unter einen Stuhl, damit er nicht totge-trampelt werde. Die Zeit verging, aber Karl kam in seinem Siegestaumel nicht zu seinem einsamen, nun ganz schwach gewordenen kleinen Freund zur;ck. Lark f;hlte sich so schlecht, dass es Not war, seinen Zwillingsbruder um Hilfe zu ru-fen. Aus seinem Versteck heraus be;ugte er, wie Karl auf das Siegerpodest trat und der Schulleiter ihm die Ehrenurkunde ;berreichte. Larks Fl;gel aber wurden schlaff, die K;gelchen verloren ihren Glanz, und sein Atem wurde schw;cher und schw;cher. Des ungeachtet dachte der Grash;pfer daran, wie Karl wohl oh-ne seine Hilfe aus dieser Situation herauskommen k;nnte.
„Ah, was f;r ein s;;er kleiner Gr;ner!“, h;rte er die ihm schon bekannte Stimme Lilis.
Sie platzierte den Grash;pfer auf ihrer kleinen Handfl;che, aber sein ganz schwaches K;pfchen senkte sich. Lili hauchte Lark vorsichtig an, doch er   konnte nur mit M;he seine Augen ;ffnen und ganz leise fl;stern:
„Bitte, sprich mir nach: „Ich will, dass Ralk, der ;ltere Bruder von Lark, sofort herbeifliegt!“ Und seine Augen schlossen sich.
 
 Lili konnte vor lauter Staunen nicht sofort reagieren, dann aber fl;sterte sie schlie;lich den erbetenen Satz und schrie laut:
„Schaut mal alle her! Ein sterbender Grash;pfer, der sprechen kann!“  Sie bedeckte ihn mit ihrer anderen Handfl;che.
Als Karl diese Worte h;rte, erinnerte er sich blitzschnell an seinen Freund. Er lief herbei und sah Lark auf Lilis Schulter sitzen. Er streckte seine Hand nach ihm aus. Aber der Grash;pfer schlug nur mit seinen kleinen Fl;geln, w;hrend scharfe Nadelchen in Karls Hand stachen.
„Lark, was soll das denn? Ich bin;s doch, Karl!“
„Wo finde ich hier meinen Bruder Lark?“ So erschallte pl;tzlich eine harte hohe Stimme.
Karl verstand, dass mit Lark ein Ungl;ck passiert war und er seinen Zwil-lingsbruder zu sich gerufen hatte. Lili ;ffnete ihre Hand, Ralk eilte rasch herbei und betastete seinen Bruder. Der aber r;hrte sich nicht. Auf einmal aber blitzte es in Ralks kleinen Fl;geln. Viele winzig kleine Feuerchen leuchteten auf, un-z;hlige Nadelchen und K;gelchen erstrahlten. Da bemerkte Karl, wie sich end-lich die Augen seines kleinen gr;nen Freundes wieder langsam ;ffneten.
„W;nsch dir etwas!“, forderte der langsam ins Leben zur;ckkehrende Grash;pfer Karl auf, „Beeil dich!“
„Ich will, dass Lark lebt“, fl;sterte Karl einen letzten Wunsch.
„Und ich m;chte, dass alles wieder seine alte Ordnung bekommt. Lark, verzeih mir bitte!“
Schon im n;chsten Augenblick sa; Karl wieder im Park auf der kleinen Bank und schlummerte. Seine Oma klappte das Buch zu und sprach:
„Karl, lass uns nach Hause gehen?“ Sie brach mit Karl auf und schritt die Allee entlang. „Was einem nicht alles im Traum erscheint“, dachte der Junge.
Als er nach Hause kam, h;rte er seine Mutter rufen:
„Sieh mal da! Wer hat uns denn nur so viel Eis gekauft?“
Karl war starr vor Verwunderung.
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;bertragen aus dem Russischen von Heinrich Rahn und Katharina Kucharenko
06-2013


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