Die groesste Luege

   RLD

   I.Russland: Eurasien oder Europa?
 
   Die groesste Luege unserer Zeit ist in den Augen aller wahrer russischer Patrioten zweifellos die Luege, die Begriffe „Sowjetisch” und  “Russisch” waeren sinn- inhalts- und wesensgleich. Das Sowjetische bedient sich natuerlich nach wie vor so mancher Attribute des Russischen, um letzteres fuer seine Ziele und Zwecke zu missbrauchen. Dabei handelt es sich eigentlich um ein wohlbekanntes Phaenomen, da ein Raeuber oder Moerder nach begangenem Raubueberfall oder Mord die Sachen seines Opfers nicht verkauft, sondern anzieht. Aehnlicherweise haben sich die Sowjetkommunisten seinerzeit, mitten im Zweiten Weltkrieg, verhalten, als der Unwille der durch den internationalistischen Kommunismus unterjochten Voelker der Sowjetunion klar geworden war, ihr Leben auf dem Schlachtfeld fuer die “proletarische Weltrevolution” und die “Kommunistische Internationale”  hinzuopfern. Da entsannen sich die damaligen Sowjetmachthaber im verzweifelten Versuch, sich an den letzten Strohhalm zu klammern, das von ihnen beherrschte Reich sei nicht etwa “das Vaterland der Werkt;tigen der ganzen Welt” und nicht der “Stab der Weltrevolution”, sondern eben das altehrwuerdige Muetterchen Russland. Nicht von ungefaehr hie; es in einem Vers der leider allzu frueh verstorbenen russischen Denkers und Dichters Sergej Danilko, Stalin sei Hitler deswegen ueberlegen gewesen, weil Hitler ein Fanatiker und ein Sklave seiner Ideen, Stalin jedoch ein „kreativer (dito: opportunistischer) Marxist” gewesen sei. Der opportunistische Sowjetkommunismus hat  die geraubten Kleider des von ihm meuchlings ermordeten historischen Russlands angezogen. Zur Zeit gibt es in Russland leider Gottes  immer noch viel zu viele sogenannte „Ideologen des russischen Patriotismus”, die die gro;e Luege von der angeblichen Identitaet des Sowjetischen mit dem Russischen durch ihre Reden und Schriften zu untermauern versuchen und es mitunter sogar schaffen, dies zur recht ertraeglichen Erwerbsquelle zu machen. Infolge dieses bedauernswerten Umstandes sind im heutigen russischen Volksbewusstsein „alle Koordinatensysteme durcheinander gebracht, alle Weltanschauungsstrukturen verzerrt”. Diese an sich absolut richtige Einschaetzung stammt von Herrn Prof. Dr. Alexander Dugin, dieser namhafte und immer noch recht einflussreiche russische Ideologe entlarvt jedoch durch die Aufstellung dieser These in erster Linie sich selbst, weil gerade seinen Schriften die „alle Weltanschauungs-Koordinatensysteme  durcheinanderbringende”  Unfaehigkeit zutiefst eigen ist, zwischen dem „Russischen” und dem „Sowjetischen” zu unterscheiden. Wenn Herr Prof. Dr. Dugin voller Pathos ;ber das „nordische Euroasiatische Paradies” redet oder auch schreibt, wundert man sich ;ber den hochgelehrten Philosophen, der anscheinend ganz vergessen hat, dass Unvereinbares sich einfach nicht vereinen laesst. Entweder „nordisch” oder “eurasiatisch” bzw.- „eurasianistisch“, entweder Russland oder Sowdepien (so hie; n;mlich der bolschewistische Sowjetstaat in den ersten Jahren nach dem Oktoberumsturz 1917 und so wurde er noch lange von seinen ideologischen und politischen Rivalen bezeichnet), entweder Weisser Zar oder vielfarbiges Durcheinander (da moechte man unwillkuerlich Herrn Prof. Dr. Dugin an folgende klare These seines einstigen Lehrers und Meisters Jewgenij Golowin erinnern: “Stoesst euren gluehenden Nordismus tief in Sowdepiens Hirn!”). Wir nehmen uebrigens den casus Dugini nicht etwa aus persoenlicher Voreingenommenheit gegen diesen namhaften Denker (und dazu noch unseren Ordensbruder in St. Johannis) unter die Lupe, sondern ganz im Gegenteil. Herr Prof. Dr. Dugin unterscheidet sich von den meisten heutigen russischen „national gesinnten Intellektuellen” merklich durch seinen beachtenswert hohen Bildungs- und Wissensstand. Umso trister erscheinen vor diesem Hintergrund z. B. solche von ihm entwickelten Thesen: „Aus uns wurden die Innereien unserer nationalen Seele zusammen mit den Aprioria ausgesch;ttet, in denen unser Nationalbewusstsein, unser Nationales Unbewusstes existiert. Fuer die Architekten der „Neuen Weltordnung” sind wir die Bevoelkerung eines ”Reiches des Boesen”, d.h., simpler ausgedr;ckt, „Unmenschen”, „Eurasiens Daemonen”. Um der Errichtung des marktwirtschaftlichen Weltparadieses Willen machen sie uns zum Exorzismus-Gegenstand.  „Out, demon, out” –  schreit, hysterisch possenreisserisch, ein protestantischer Prediger zu den Klaengen einer leichtsinnigen MTV-Rap-Melodie.  „Out, Russian, out”. Es waere laecherlich, diesem Ansturm, dieser Endaggression irgendeinen Fetzen unserer Vergangenheit, irgendeine individuelle Phantasmogorie, irgendeinen laengst voellig ausgesch;pften, vergammelten, ;berlebten Dogmatismus entgegenstellen zu wollen (Àëåêñàíäð Äóãèí. “Ïðèãîâîðåííàÿ Ðîäèíà”, d.h. Alexander Dugin “Die verurteilte Heimat”, vgl. z. B.: http: //www.zavtra.ru/cgi/veil/data/zavtra/00/318/22.html). Es ist zwar mit viel „Elan’, mit viel „Leidenschaft”, viel „Pathos”, viel „Schmerz”, ja sogar „Hysterie” geschrieben, wobei jedoch alle Akzente vollkommen falsch gesetzt worden sind… Wer sind z.B. diese „wir”? Herr Prof. Dr. Dugin positioniert sich als „Altglaeubigen”, jedem authentischen Altglaeubigen war indessen jegliche theologisierte Darstellung des „Westens” als Reich des Absoluten Boesen vollkommen fremd und keineswegs f;r die wahren russischen Altglaeubigen kennzeichnend, die wir aus Russlands Geschichte kennen. In ihrem Fall war alles gerade umgekehrt: Fuer die wahren russischen Altglaeubigen konzentrierte sich „die Finsternis” nicht im Westen, sondern, ganz im Gegenteil, im „Osten”.  Es sollte allein der Hinweis darauf gen;gen, dass die „Belokrinizkaja” Altglaeubigen-Hierarchie  sich selbst lange Zeit als „oesterreichisch” bezeichnete, da; ihr Klerus und ihre Gemeinde es ganz offensichtlich vorzogen, Untertanen des “andersglaeubigen” oesterreichischen Kaisers, statt Untertanen des “rechtglaeubigen” Kaisers aller Russen zu sein, weil ihre Glaubensfreiheit in Oesterreich unangetastet blieb, im Russischen Zarenreich  jedoch lange Zeit unterdrueckt wurde. Oder ein anderes markantes Beispiel dieser Art: Im Verlauf des gesamten XVIII. Jahrhunderts suchten die in Russland von der offiziellen „nikonianischen“ Orthodoxen Kirche, die unter Patriarch Nikon und Zar Alexius eingefuehrt und unter Peter dem Grossen, Sohn und Nachfolger des Zaren Alexius, in einen festen Bestandteil des Staatsapparate verwandelt wurde, Glaubensverfolgungen ausgesetzten  russischen Popowzen-Altgl;ubigen-Gemeinden  beharrlich nach M;glichkeiten, ihre urspruengliche, vollstaendige, dreiteilige Hierarche (Diakonen-Priester-Bischoefe) wiederherzustellen. Eines der Projekte dieser Wiederstellung wurde durch keinen Geringeren als Koenig  Friedrich den Grossen von Preussen (einen durch und durch „westlichen” Potentaten) unterst;tzt. Die Popowzen-Hierarchie wurde zwar nicht in vollem Umfang wiederhegestellt, doch das Beispiel der „Filipponen” („Filippowzen”), die in Preu;en Asyl und Glaubensfreiheit „nach eigener Facon” (um mit Friedrich dem Grossen zu sprechen) finden konnten, spricht in dieser Hinsicht Baende. Nat;rlich lie;e sich darauf erwidern, der preu;ische Koenig haette sich dabei von rein politischem Kalkuel leiten lassen, doch selbst wenn Letzteres tatsaechlich der Fall sein sollte, w;rde dies gar nichts an der beiderseitigen  grundsaetzlichen  positiven Komplimentaritaet zwischen dem „andersglaeubigen” Koenig von Preussen und den russischen Altglaeubigen aendern. Doch noch viel schaerfer und radikaler wurden die erwaehnten Kontroversen zwischen der „Finsternis im Osten” und dem „Licht im Westen” nach dem bolschewistischen Oktoberumsturz 1917 und der Errichtung der Sowjetherrschaft ;ber Russland. Die Sowjetmacht (uebrigens, die einzige Staatsmacht und Regierungsform, die nach der Wende in Russland von der Russisch-Orthodoxen Kirche heiliggesprochenen Allerheiligsten Patriarchen Tichon 1918 gebannt wurde, dieser Kirchenbann bleibt immer noch in Kraft), war die (vom kurzen Vorspiel w;hrend der Jakobinerdiktatur in Frankreich abgesehen) erste wahrhaftig zynisch-offene antichristliche Staatsmacht, eine offen gotteslaesterliche Autokratie, die nicht nur dem christlichen Glauben, sondern dem Glauben an Gott schlechthin ganz unverhohlen den Kampf angesagt hatte. Ohne Anerkennung dieses Hauptmerkmals der „Sowjetmacht” verliert das „Problem des Kommunismus” jegliche Bedeutung. Betrachtet man den bolschewistischen Kommunismus lediglich als eine der schlimmsten und grausamsten (oder selbst als die schlimmste  und grausamste) Diktaturformen, sehen wir in ihrem Fall keine besondere „geistige Krise der Menschheit” und ueberhaupt kein neues geistiges Problem. In diesem Fall w;rde es wohl gen;gen, das Kommunismus-Phaenomen lediglich aus politischer, wirtschaftlicher, militaerischer oder “utilitaer-moralischer” Sicht (als eine Art „nur etwas schlimmere Version des zaristischen oder panslawistischen Imperialismus”, als „rotes Zarentum” und desgleichen) zu betrachten, wie es von der ueberwiegenden Mehrheit der Erdbewohner inklusive Politiker betrachtet und beurteilt wurde (ja, zum Teil auch heute noch betrachtet wird). Die finstere mystische Macht des Bolschewismus war bei weitem nicht jedermann im Westen klar – im Unterschied zu den russischen Emigranten, die nach verlorenem B;rgerkrieg 1917-1922 im Westen Zuflucht gesucht und auch gefunden haben. F;r diese war das gottlose Sowdepien, der „Rote Osten” wahrhaftig „das Reich des Boesen”, von sowjetischen „Unmenschen” und „Eurasiens Daemonen” (um mit Herrn Prof. Dr. Dugin zu sprechen)  unterjocht, der Westen jedoch ein Ort, wo sich die (Weisse) Russische Armee, der frei gebliebene Teil der (nicht nur, aber auch) Russisch-Orthodoxen Kirche erhalten konnten, wo gewisse Ueberreste des alten, vom Bolschewismus verschonten, historischen Russlands Zuflucht und Asyl gefunden haben.  Ein Ort, der, obgleich zum Teil ebenfalls von den M;chten  der Finsternis erfa;t, dennoch genuegend Kraft aufzubringen wusste, um dem sowietischen Antichristen Paroli bieten zu k;nnen. Alles wie in Tolkiens genialen nordisch-christlichen Utopie „Der Herr der Ringe”:  Mordor, das Reich der Finsternis, liegt im Osten,  der Westen, obgleich teilweise den M;chten der Finsternis unterlegen, bringt auserwaehlte mutige und kampfentschlossene Maenner zur Finsternis-Bekaempfung auf, und der wahre Herrscher kommt aus dem Norden...wie die historischen Normannen bzw. Waraeger, aus dem Norden nach Russland kamen, um das erste russische Herrscherhaus der Rurikiden zu gruenden (was 2013 in der Russischen Foederation nach jahrzehntelanger Dominanz des offiziell als „die einzig wahre Lehre“ anerknnten sowjetischen „Antinormannismus” endlich als historischer Fakt  anerkannt und durch die Errichtung eines Denkmals f;r den Begruender des russischen Staates Fuerst Rurik sozusagen offiziell best;tigt wurde),  Daher ist es nicht der Klang einer leichtsinnigen MTV-Rap-Melodie, sondern die gestrenge Stimme des wahren christlichen Russlands, die zu den Klaengen der (nicht nur, aber auch) echten russischen Altglaeubigen-Kirchenges;nge machtvoll ertoent: “Out, demon, out! Out, soviet, out! Out, Eurasian, out! Out, demon, out!” Hebe dich hinweg, Sowjet! Hebe dich hinweg, Satan!  Wir sehen nur zu gut, das der authentische Alte Glaube mit dem, wenn auch kunstvoll, jedoch durch und durch stilisierten „Alte Glaube” in Herrn Prof. Dr. Dugins Stil, in Wirklichkeit gar nichts zu tun hat. Das gilt jedoch auch fuer alle anderen, im Lager der heutigen russischen „Nationalpatrioten” weit verbreiteten und immer wieder unternommenen Versuche,  “irgendeinen Fetzen unserer Vergangenheit, irgendeine individuelle Phantasmogorie, irgendeinen l;ngst voellig ausgeschoepften, vergammelten, ueberlebten Dogmatismus” zu einer Art altneuer Fetische hoch zu stilisieren. Historisch zaehlten die russischen Monarchisten stets zu den konsequentesten und unversoehnlichsten Feinden der Sowjetmacht. Heute sind wir jedoch Augenzeugen eines h;chst seltsamen Ph;nomens: sehr viele moderne russische “Monarchisten” verhalten sich gegen;ber der Sowjetvergangenheit leider Gottes mehr als wohlwollend. Nicht genug damit! Wenn man den „Theorien” so mancher, mit Verlaub zu sagen, „Monarchisten” Glauben schenken w;rde, h;tte es keinen „besseren russischen Zaren” gegeben als Genossen Dshugaschwili, dito Stalin, dessen Herrschaftsperiode die wahre „Bluetezeit der russischen Volksmonarchie” gewesen sei. Historisch waren die Begriffe „Faschist” oder „Nationalsozialist” gleichbedeutend mit den Begriffen „extremer Antikommunist” und „konsequenter Sowjetfeind”. Heute sind wie jedoch Augenzeugen von sogenannten „Russischen Maerschen” oder anderen Aufmaerschen dieser Art, da sogenannte „russische Faschisten” neben rote Flaggen hissenden Linksradikalen zu den Klaengen von „Katjuscha” und anderen Sowjetliedern munter mitmarschieren, den „Roten Ersten Mai” und andere Feste aus Sowjetzeiten begeistert mitfeiern.  Solange es so weitergeht, wird die Situation in Russland und in den Koepfen seiner Buerger nur verworrener werden. Selbstverstaendlich ist bei weitem nicht alles so schwarz und finster, wie es vielleicht anmutet,  sondern es gibt zum Glueck auch gewisse Lichtpunkte. So wurde  z.B. im Alexandergarten vor der Moskauer Kremlmauer  sogar der Obelisk in seiner usrpruenglichen Form wiederhergetsellt, in der er 1913 zum 300jaehrigen Jubilaeum des Zarenhauses Romanow errichtet worden war. Die Bolschewisten haben diesen Obelisk naemlich seinerzeit verunstaltet, den Heiligen Georg als Drachent;ter durch die kommunistische Weltrevolutions-Parole „Proletarier aller L;nder, vereinigt euch”, die Namen der groessten Herrscher Russlands durch die Namen bekannter Soyialisten und Kommunisten ersetzt. Nunmehr ist alles wieder so, wie es vor dem Oktoberumsturz 1917 war. Das Staatswappen der Russischen F;deration ist der allerdings etwas abge;nderte dreifach gekroente Doppeladler des Russischen Kaiserreiches mit dem Drachenbezwinger St. Georg auf dem Brustschild. Und dennoch herrschen in allzu vielen Koepfen immer noch vollkommen verzerrte Vorstellungen ueber Russlands angebliche historische Zugehoerigkeit zu „Eurasien“ und nicht zu Europa. Die Absurditaet und historische Unwahrheit dieser  von den alten und neuen Fahnentr;gern des sowjetischen Kulturbolschewismus gepredigten Vorstellungen laesst sich am Beispiel einer derart hervorragenden Persoenlichkeit der russischen Geschichte entlarven, wie  der Zar und Grossfuerst von Moskau Iwan IV, der, neben Peter dem Gro;ssen, vom sowjetkommuistischen und eurasianistischen  Agitprop nur zu gern f;r sich beansprucht und instrumentalisiert wurde und immer noch wird.

   II. Zar Iwan der Gestrenge als nordischer Herrscher

   F;r russische Traditionalisten unserer Generation steht die ZugehOErigkeit des weiSSen (sowohl im rassischen als auch im ideologischen Sinn) Russlands zu Europa au;er jedem Zweifel. RuSSland war nie Europas Feind, sondern es bildete ganz im Gegenteil stets Europas Schild und Vorhut; indem es die Angriffe der euroasiatischen Steppe abwehrte und danach die Speerspitze von Europas Drang nach Osten in Richtung Wolga, Sibirien,  Kaukasus, Fernost und Zentralasien bildete. Die Herrschaft des ersten gekr;nten russischen Zaren Iwan des Gestrengen (traditionell, jedoch dadurch nicht minder falsch ins Deutsche als „der Schreckliche“ uebersetzt), war in erster Linie durch Russlands UEbergang vom passiver Abwehr der Steppenvoelker-Angriffe zur aktiven Offensive gegen Eurasiens Vorposten  an der Wolga sowie in Sibirien (Unterwerfung der tatarischen Chanate von Kasan, Astrachan und Sibirien) gekennzeichnet. In die Regierungszeit Iwan des Gestrengen fiel jedoch ein weiteres, nicht minder wichtiges, Ereignis, das theoretisch gegen unsere Behauptung ;ber Russlands Europa-Zugehoerigkeit verwendet werden koennte. Gemeint ist der von Iwan gefuehrte Livlaendische Krieg (1558-1583). Waehrend die Feldz;ge der russischen Heere gegen die Chanate von Kasan und Astrachen als eine Art Russische Reconquista bezeichnet und der Beseitigung des letzten moslemischen Staates auf westeurop;ischem Boden, des Emirats von Granada, durch die vereinigten Kronen von Aragon und Kastilien, 1492 , gleichgesetzt werden k;nnten, erscheinen die Feldz;ge Iwan des Gestrengen im Baltikum als eine Art russischer Wettlauf zum Meer. Wenn wir uns lediglich auf die Betrachtung der aeusseren Seite jener Ereignisse beschraenken, laufen wir Gefahr, ihren tieferen Charakter zu missverstehen. Daher kann und darf der Livlaendische Krieg von uns auf keinen Fall als blosser Eroberungskrieg betrachtet werden, der mit Russlands Niederlage endete. Ganz im Gegenteil! Wenn wir diesen anscheinend verlorenen Krieg etwas genauer betrachten, kommen wir zu einer ganzen Reihe paradoxer Schl;sse. F;r die russischen Europaeer war jener Feldzug Iwan des Gestrengen im Baltikum nicht etwa ein „Krieg des Heiligen Russlands gegen den gottlosen Westen“ geschweige denn ein „euroasiatischer Drang nach Westen“, sondern ein risikoreiches, wahnsinnig kuehnes Unternehmen zwecks Durchbruchs der jahrhundertelangen, widernat;rlichen Blockade, welche Russland von der Ostsee abschnitt, von wo Russlands normannische Begruender seinerzeit gekommen waren  Es war daher kein Wunder, dass ausgerechnet Zar Iwan zum Anreger dieses „Wettlaufs zum Meer“ werden sollte, der vorher, im Verlauf seiner siegreichen Feldzuege gegen Kasan und Astrachan, die tatarische Gefahr beseitigt hatte, die sich an den Ufern des f;r das russische Selbstbewusstsein nicht minder  wichtigen Flusses Wolga eingenistet hat. Unabh;ngig vom Ausgang des blutigen Livlaendischen Krieges, sollten wir nicht die darin erlittenen militaerischen Niederlagen, sondern dessen brillante Paradoxa in Erinnerung behalten. Es waren Zeiten, in denen Ru;lands einige Jahre lang zum Schutzherrn des Koenigreiches Livland werden und alle Voraussetzungen f;r das Wiederbeleben der Ordenstraditionen schaffen sollte (die, wie wir sehen werden, auch auf den Boden Russlands in Form des von Iwan gegruendeten Opritschnina-Ordens   verpflanzt wurden). Zeiten, in denen das nordisch-russische Herrscherhaus der Rurikiden mit dem Haus Habsburg um den polnischen Thron wetteiferte und sogar auf den englischen Thron Anspruch erhob, in denen russische Kaperschiffe in der Ostsee kreuzten, in denen es zum ersten, nach langer tatarischer Herrschaft ;ber Russland, erspriesslichen russisch-deutschen  Kulturaustausch kam. Zeiten, die die zu den Feldz;gen im Westen parallel verlaufende Ost-Conquista sah, die Eroberung Sibiriens (Zar Iwans Landnahme-Aktivitaeten in der oestlichen Hemisphaere hatten den gleichen faustischen Ursprung wie die Aktivitaeten des Heiligen Roemischen Reiches desHabsburger Kaisers Karl V. in der westlichen Hemisphaere, auf dem lateinamerikanischen Kontinent). All diese Besonderheiten verleihen der russischen Teilnahme am Livlaendischen Krieg Merkmale, die f;r das skandinavisch-germanische geopolitische Feld kennzeichnend waren. Die russische Gesellschaft fand Geschmack an typisch germanischer Reichs-Mythologie (was u.a. im Wortlaut der Schreiben des russischen Zaren an den roemisch-deutschen Kaiser Ausdruck fand). Mit der Idee des Zarenordens (Opritschnina) gewappnet, bot sie sowohl den islamischen Horden des Tuerkischen Reiches und dessen Vasallenstaaten (Kasan, Astrachan, Krim, Nogaj) als auch der schleichenden Politik des polnischen „Sarmatiens“ die Stirn, welches das Litauische Russland bereits einverleibt hatte. Der Klischee-Vorstellung von der staendigen Isolierung des Moskauer Russlands zuwider, pflegte dieses stets politische und kulturelle Kontakte zu West- und Nordeuropa. Denn Russland war nicht ein Nachfolgestaat der mongolisch-tatarischen Goldenen Horde, wie es die kommunistisch-euroasiatischen Propagandisten des „Sowjet-Russentums“ behaupten, sondern ein typisches nordeuropaeisches, nordisches Land.
   
   Diese leider zu oft umstrittene und bestrittene, jedoch im Grunde unbestreitbare historische Wahrheit laesst sich durch folgende Thesen belegen.

    1.Die deutsche Ordenstradition und die Opritschnina.

    Der allmaehliche Verlust der Selbstaendigkeit des Deutschen Ordens nach der Niederlage des Ordensheeres und dessen Verbuendeten in der Schlacht von Tannenberg gegen das verbuendete polnisch-litauisch-tatarische Heer 1410 sowie das Uebergreifen der Reformation auf die Ordensgebiete in Preussen und Livland markierte den irreversiblen Verfall der initiatischen Traditionen des Baltikums. Der Rittertyp wurde durch den Buergertyp ersetzt. Zur gleichen Zeit erstarkten aber im vom tatarischen Joch befreiten Russland gegenlaeufige Prozesse und erwachte das Interesse f;r geistliche Ritterorden. Zar Iwan der Gestrenge ergriff die ersten entsprechenden Massnahmen. Bereits in der Erklaerung des Sachsen Hans Schlitte 1547 wurde auf die  feste Absicht des Moskauer Grossfuersten hingewiesen, in Russland einen Moenchsritterorden zu stiften. I.A. Rudolfis Sammelband „Kuriose Heraldik“ (1718) enthaelt Angaben ;ber die Stiftung eines Ordens des Himmlischen Kreuzes durch Iwan den Gestrengen 1557 (d.h. zehn Jahre vor der Opritschnina-Gruendung). Das Zeichen dieses ersten russischen Ritterordens war ein Kreuz mit einer perlenbesetzten Rose im Herzst;ck. Dies beweist die Kenntnisse des Zaren auf dem Gebiet der mittelalterlichen Wappenkunde. Einen scheinbar unerwarteten Anstoss zur Gruendung der ersten bekannten initiatischen Struktur in Ru;land - der besagten Opritschnina – gab der fuer Russland anfangs erfolgreiche Verlauf des Livlaendischen Krieges.  Gegen 1558 bildete der im Verfall befindliche livlaendische Zweig des Deutschen Ordens keine nennenswerte Kriegsmacht mehr.  Er driftete immer staerker in Richtung Polen-Litauens, das den preussischen Ordenszweig bereits unterworfen hatte. Die russische Invasion fuehrte zu einer unerwarteten Wende in der historischen Entwicklung, die den „Export“ der ritterlichen Ordenstradition nach Russland erm;glichte. Gerade Zar Iwans ritterliche Weltanschauung spielte eine bedeutende, wenn nicht entscheidende, Rolle, in seiner Beguenstigung nach Ru;land gebrachter livlaendischer Kriegsgefangener inklusive Johann Taube und   Elert Kruse, die 1564-1571 am Hof des russischen Selbstherrschers weilten. Die 1565, mitten im Livjaendischen Krieg, gegr;ndete Opritschnina bestand zu einem beachtlichen Teil aus Deutschen, insbesondere aus ehemaligen Rittern der livlaendischen Filiale des Deutschen Ordens, wie z.B. Johann Taube („Iwan Tuv“ russischer Quellen), Elert Kruse, Heinrich Staden, Albert Schlichting, Juergen Ferensbach („Jurij Franzbeck“ russischer Quellen, die  die russische Reiterei in der Schlacht bei Molodi gegen die osmanischen Tuerken und Tataren befehligte) u.a.m. Nicht minder wichtig erscheint die Tatsache, da; die Bezeichnung der Opritschnina als M;nchsritterorden ausgerechnet von deren deutschen Mitgliedern hervorgehoben wurde. So hinterlie;en z.B. Taube und Kruse, die von Zar Iwan zwecks Verhandlungen zu Kaiser Maximilian geschickt wurden und, nach der Abschaffung der Opritschnina, nach Polen-Litauen entkamen, nach ihrer Flucht die Beschreibung nicht nur ihres Opritschnina-Dienstes, sondern auch die Geschichte, die Satzung und die Praxis des Opritschnina-Ordens. Die Rolle dessen Hochmeisters spielte der Zar bzw. Grossfuerst von Moskau und ganz Russland Iwan der Gestrenge selbst. Ihm unterstand in der Ordens-Hierarchie   der Paraekklesiarchos Maljuta Skur(l)atow-Belskij. Die Anzahl der Opritschnina-Ritterbrueder war genau bestimmt: zuerst 500, danach die „naechsten 1000“. Den Komtureien bzw. Kommenden westlicher Moenchsritterorden entsprachen die „Opritschnina-Hoefe“. Ein solcher „Opritschnna-Hof“ wurde direkt gegenueber dem Moskauer Kreml, in der heutigen Bersenjewskaja-Uferstrasse, errichtet. Es war eine regelrechte Ordensburg, von starken schwarz angestrichenen Ziegelsteinmauern und Wehrtuermen umgeben,  mit schwarzen Doppeladlern an den Turmspitzen, zaehnefletschenden  heraldischen Loewen an den Torfluegeln und zahlreichen Feuerschlangen (d.h. Geschuetzen). Nach den bei Ausgrabungen einer anderen starken Opritschnina-Ordensburg, die sich in der Alexandrowskaja-Vorstadt befand, gemqchten Funden yu urteilen, waren die Komtureien-Daecher des Zarenordens mit schwarzen Ziegeln bedeckt. In diesen Ordensburgen wurde die Elite des Russischen Zarenreiches erzogen, die vom Zaren alias Hochmeister den schwierigen Auftrag erhielt, „den Verrat aus dem Reiche zu fegen“. Daraus resultierte die seltsame und d;ster anmutende Symbolik der russischen Ordensritter. Ihr Ordenshabit bestand aus einem schwarzen kuttenartigen Waffenrock mit Kapuze aus grobem Tuch, der waehrend des Waffendienstes ;ber dem Kettenhemd getragen wurde.  Am Sattel trugen sie kunstvoll praeparierte bzw. aus Metall gegossene Hundekoepfe und Besen. Diese Hundekoepfe koennten auf den zum neuen Leben erweckten  Archetypus des Wolfes hinweisen, doch auch der unmittelbare, „h;ndische“ Inhalt dieses Attributs besagt recht viel. In der indoarischen und iranischen Mythologie figurieren Geister in Hundegestalt, die nach der Schlacht vom Himmel niederfahren und die Kriegerwunden lecken, um sie zu heilen. Auch im Zoroastrismus, Zarathustras Glaubenslehre, hat der Hund sakrale Funktionen.  Der christliche Dominikanerorden, dessen Symbolik der Opritschnina-Symbolik nicht unaehnlich ist, wurde von seinen Mitgliedern stets als Orden der Hunde Gottes (domini canes) bezeichnet. Zu den wichtigsten Elementen der Opritschnina-Heraldik gehoerte auch das Bildnis des Einhorns auf dem Siegel des Zarenordens. Die mystisch sensible russische Folklore  bezeichnete die schwarze  russische Moenchsritterschaft nicht blo; als Leibgarde des Zaren, sondern  als seine geheimnisvolle Gefolgschaft von Auserwaehlten, die aus dem Jenseits zwecks „grosser Saeuberung“ gekommen ist. Die eschatologischen Ansichten des aufs nahe Weltenende bedachten Zaren, die auch auf seine Gefolgschaft ausgedehnt wurden, foerderten die Festigung der mittelalterlichen Stimmungen unter den Opritschnina-Ordensmitgliedern, die sich zur Bekaempfung nicht nur der inneren, sondern auch der aeusseren Feinde berufen fuehlten, und zwar: dem Islamismus im Sueden und dem Jesuitismus im Westen. Dieser Kampf machte die Opritschnina-Ritter mit deren Hochmeister und Zaren an der Spitze zu Nachfolgern der deutschen Kreuzfahrer-Kaiser, die der paepstlichen Tyrannei widerstanden und ihre Ritterheere selbstaendig zur Befreiung des Heiligen Landes un Grabes anfuehrten. Das russische Volksgedaechtnis verewigte Zar Iwan den Gestrengen in dem gleichen ehren- und ehrfurchtsvollen Status des „schlummernden bzw.  schlafenden Herrschers“, in dem das deutsche Volksgedaechtnis Kaiser Friedrich Barbarossa verewigt hat. Um sich davon zu ueberzeugen, genuegt es, sich mit dem Inhalt des „Liedes vom Tod Iwan des Gestrengen“ vertraut zu machen, wo im Grab des Zaren zu seinem Haupt Kreuz und Krone liegen, zu seinen Fuessen jedoch sein scharfes Schwert).  Um in den Opritschnina-Orden aufgenommen zu werden, unterlag der Anae;rter bzw. Bewerber einer strengen Auslese, in deren Rahmen seine Abstammung, Verwandtschaft, die Namen all seiner Freunde und Bekannten aufs Schaerfste untersucht wurden; eine fuer alle Moenchs- und Ritterorden selbstverstaendliche Routine, die nur die Edelsten zuliess.

     Zar Iwan der Gestrenge kann mit Fug und Recht als Begruender einer ganz besonderen, „gotischen“, Stroemung  innerhalb der russischen Aesthetik gelten. Die unter seinem Zepter aus russischem Boden  geschossenen schwarzen Ordensburgen, seine schwarzgekleidete Moenchsritterschaft mit der Bekaempfung der Reaktion in Inland und zahlreicher aeusserer Feinde als  Ziel und Auftrag  fuegten sich nahtlos in die geistige Atmosphaere jener vom Gefuehl des nahenden Weltenendes durchdrungenen  Epoche ein. Bei aller Vielfalt und Widerspruechlichkeit der Beurteilung Zar Iwan des Gestrengen muessen sich russische Konservative  bei der Einsch;tzung dieser schillernden Persoenlichkeit vom Stellenwert deren real-historischer Gestalt, und nicht etwa vom Kulturbolschewismus sowjetischer Filmemacher ueber Ian als eine Art Stalins Vorfahr leiten lassen.

     2.Russland und Europa.

     Russlands aussenpolitische Zielsetzungen unter Zar Iwan dem Gestrengen erscheinen im Lichte der erstaunlichen Offenheit besonders interessant, mit der der Moskowiter Zar Russlands Recht auf einen seiner wuerdigen Platz in Europa als pares inter pares begruendete.  Der  Sachse Heinrich Schlitte, der 1547 von Iwan dem Gestrengen zur Anwerbung  westlicher Fachleute ins Ausland gesandt  (und dort verhaftet) wurde,  unterbreitete dem roemisch-deutschen Kaiser Karl V. im Namen des Zaren eine Botschaft, worin vom russischen Monarchen  betont wurde, die Russen waeren „der gleichen Wurzel und Abstammung mit den Germanen“. Der englische Gesandte am Moskowiter Zarenhof, Giles Fletcher, zufolge, hielt Iwan der Gestrenge seine Vorfahren f;r Germanen bzw. Deutsche (Germans). Dem Deutschen G. Schulz, Augenzeuge der im Juni 1570 abgeschlossenen Verhandlungen Iwan des Gestrengen mit dem daenischen Herzog Magnus, Koenig des vom Zarenreich abhaengigen Livlands,  erklaerte Iwan in Anwesenheit der Bojaren-Duma (seines Staatsrats) und ausl;ndischer Gesandter, er w;re „germanischer Abstammung und s;chsischen Blutes“. 1566 teilte der aus Ru;land heimgekehrte Deutsche H. Pissping, mit, der Zar waere der Meinung, da; sein „Geschlecht von bayerischen Herrschern abstammt“, und dass der Name der russischen Bojaren „Baiuwaren“, d.h. „Bayern“, bedeutet. Dem namhaften russischen Historiker Nikolaj Karamsin zufolge  haetten die livlaendischen Edelleute Taube und Kruse,  Iwans „Guenstlinge“, die Revaler Buergerschaft 1569  zu ;berreden versucht, dem Zaren ihre Stadt zu ;bergeben, da; „dieser die Deutschen liebt und selber dem Haus Bayern entstammt“. Anderseits sorgten Russlands militaerische Erfolge auch in den deutschen Teilstaaten erhoehtes Interesse f;r den neuen Akteur auf der internationalen Arena. 1567-68 wurde in Deutschland viel ;ber Moskaus Erfolge geredet. Manche neigten zur Auffassung, bald w;rde das groesste Kaiserreich der Wet entstehen: sollte sich der Moskowiter Zar Revals bemaechtigen, w;rde er festen Fuss mitten im Ostseegebiet, auf den Inseln Gotland und Bornholm,  fassen, und Deutschland viel gefaehrlicher werden, als der tuerkische Sultan. Andere vertraten jedoch den Standpunkt, es waere f;r die Deutschen von Vorteil, direkte Beziehungen zu Moskau herzustellen und dieses als  Verbuendeten im Tuerkenkrieg zu gewinnen. Der Kaufmann Veith Saeng aus Bayern, der wie viele Andere  lange in Moskau gelebt hatte, versuchte seine Landsleute durch die Beschreibung des  maechtigen Zarenreiches zu begeistern und sie zum Abschluss eines beiderseitig nuetzlichen Vertrags mit den Moskowitern zu ueberzeugen. Er verwies auf das zahlreiche Heer und die vortreffliche Artillerie des Zaren, auf  seinen reichen Staatsschatz, bestand auf der Herstellung einer direkten Postverbindung  zwischen Moskau und Deutschland, und rief dazu auf, den Reiseverkehr zwischen Ru;land und dem Reich zu erleichtern. Die Russen waeren ausserordentlich begabt und aufnahmefaehig, seit der Besetzung Narvas auch auf dem Gebiet der Seefahrt recht bewandert. Man sollte sie nur mit Mitteln versehen, Wissenschaft und Technik zu erlernen. Die Ostseekueste galt als des Zaren „Erbland“, was auch aus amtlichen Urkunden jener Zeiten hervorgeht. So wurde dem russischen Zaren kraft eines 1552 mit Daenemark abgeschlossenen Vertrags das Recht des freien Handels in allen Staedten des daenischen Koenigreichs nicht nur bezueglich der Kaufleute aus Handelsstaedten des russischen Kernlandes wie Nowgorod, Pleskau u.a.m., sondern auch f;r „Deutsche meines (d.h. Zar Iwans - W.A.) Erblandes (Livlands – W.A.)„ zugestanden. Zwecks Wiederherstellung des Ordenserbes gewaehrte Russland 1570  dem zum Koenigreich erklaerten Livland Selbstaendigkeit und einen eigenen Koenig germanischen Blutes – den bereits erwaehnten daenischen Prinzen Magnus aus dem Hause Oldenburg, Zar Iwans Schwiegersohn. Um seinen dem Zaren geschworenen Treueeid noch fester zu verankern, ging Koenig Magnus eine ihn mit Russland  nicht  nur dynastisch, sondern auch matrimonial verbindende Ehe ein, indem er Maria Starizkaja, Angeh;rige des russischen Uradels, heiratete, die zur Koenigin Livlands gekroent wurde (der selbst auf ihrem Grabstein in Russland eingemei;elt wurde).

   Gleichzeitig mit der nordisch-germanischen Schicht des russischen Selbstbewusstseins wurde unter Iwan dem Gestrengen auch dessen roemische Schicht aktualisiert. Zar Iwan betrachtete sich nicht nur als Sprîss der normannischen Rurikiden, sondern zugleich auch als Nachkomme der alten Roemer. Bei der Erstellung des Zaren-Stammbaumes wurde auf die im 16. Jahrhundert verbreitete Sage von der roemischen Auswanderung ins Baltikum zurueckgegriffen, wo Prussus, Bruder des Kaisers Augustus, vor seinen Feinden Rettung gesucht haben sollte. Die 1576 in Koeln veroeffentlichte kurze Genealogie der Grossfuersten von Moskau, auf Grund von Auszuegen aus dereneigenen handschriftlichen Chroniken erstellt, berichtete von der Ankunft eines ehrbaren Mannes vom Geschlecht des roemischen Kaisers Augustus, namens Fuerst Rurik,  von den Deutschen, von den Preussen, her, nach Ru;land. Foglich stoerte die Aureole des alten roemischen Kaiserreiches die russischen Aristokraten nicht im geringsten Masse daran, sich als nordischen Uradel, als Fuersten germanischen Blutes, zu betrachten. In der damaligen russischen bildenden Kunst finden sich immer wieder Motive,  die im katholisch-protestantischen, durch den Rahmen rationalistischer Dogmen eingeengten Wesen eindeutig als „ketzerisch“ abgelehnt werden w;rden. Russische K;nstler schm;ckten die Freskomalereien der Moskauer Epiphanias-Kathedrale, Hauskirche der russischen Zaren, mit Bildnissen der „Heiden“ Aristoteles, Plato, Vergil und Homer, die der Gottesh;user des Neuen Erloeserklosters mit den Bildnissen von Orpheus, Ptolemaios, Plutarch, Homer und Plato usw. Diese Hinwendung russischer Kuenstler zu den Kulturschaetzen der Antike verlief parallel zum verstaerkten Interesse zur russischen Thematik in der westeuropaeischen Kunst und Literatur. Es sei nur auf William Shakespeares St;ck „Wintermaerchen“, deren Heldin sich eine „russische Kaisertochter“ nennt, oder auf Thomas Lodge St;ck „Margarethe von Amerika“ hingewiesen, die vom Schicksal einer „Tochter des Moskauer Koenigs“ handelt.  Fast den gleichen Inhalt hat auch Robert Greens Novelle „Pandosto“.  Russen und Russland werden auch in mehreren weiteren Werken der damaligen englischen Literatur erwaehnt.

   3.Der Hauptrivale Russlands im Livlaendischen Krieg war Polen, schon vorher durch die offene Unterstuetzung der protobolschewistischen Hussiten in dessen Kampf gegen das traditionelle Europa belastet (obwohl in erster Linie deutschfeindlich, fuegte das Hussitentum auch den Tschechen selbst einen schweren Schaden zu)  in Personalunion mit dem Grossfuerstentum Litauen - letzteres war damals bereits laengst auf dem Weg, sich aus einem ehemals russisch-litauischen Staat in ein „Reich der positiven Diskriminierung (der christlich-orthodoxen Russen) zu verwandeln. Der letzte Kriegsabschnitt wurde f;r das traditionelle Europa zur entscheidenden Schlacht. Darin kaempften die Polen und Litauer als offene Vasallen der Osmanischen Pforte, die es nach der schweren Niederlage des  tuerkisch-tatarischen Heeres in der erwaehnten Schlacht bei Molodji,  vorzog, die Taktik zu veraendern und nunmehr Polen-Litauen im tuerkischen Interesse gegen Russland weiter kaempfen zu lassen. Waehrend Moskau und Wien um die polnische Thronfolge wetteiferten, schickte der Sultan eine 120 000 Mann starke Streitmacht mit seinem Strohmann - dem „polnischen Thronanwaerter“  Istvan bzw. Stefan Batory, F;rst des tuerkischen Vasallenstaates Siebenbuergen, im Tross nach Polen marschieren. Die polnisch-litauische „Adelsnation“ wurde vor die Wahl gestellt, entweder den ihr voellig unbekannten Siebenbuerger Fuersten von Istanbuls Gnaden zum Koenig zu kueren oder alle Schrecken einer neuen Asiateninvasion ;ber sich ergehen zu lassen. Die Szlachta waehlte Batory zum Koenig und Grossfuersten der staerksten Grossmacht Mittel- und Osteuropas.  Als Kanonenfutter des islamischen Grossreichs missbraucht, vermochten es die Polen und Litauer, die Truppen Zar Iwan des Gestrengen aus so gut wie allen Staedten des Litauischen Russlands und des Baltikums (mit schwedischer Hilfe) zu vertreiben. Die Einnahme Pleskaus war Stefan Batory jedoch misslungen. Mit dieser gluecklichen Note endete der verlustreiche und von Russland verlorene  Livlaendische Krieg: die moslemisch-katholische Internationale hat im Endeffekt die russischen Normannennachkomen daran gehindert, sich den Zugang zur Ostsee zu verschaffen, von wo ihre nordgermanischen Vorfahren, die waraegischen Rurikiden, einst gekommen waren.  Erst Zar Peter dem Grossen war es beschieden, diesen Auftrag zu erfuellen. Dies war jedoch nicht nur en gro;es Glueck, sondern auch ein fast ebenso grosses Unglueck f;r Russland. Denn Zar Iwan der Gestrenge wollte und koennte, im Unterschied zu Zar Peter dem Grossen, Russlands Aufnahme in den Schoss der europaeischen Zivilisation erreichen, ohne  Kopfsteuer, ohne hinsichtlich ihrer Methoden beinahe stalinistische Bauvorhaben in der Newamuendung, ohne Unterjochung der Kirche und ohne religioese Verfolgung  der sogenannten „Altglaeubigen“- mindestens eines Drittens des russischen Volkes, der sich mit der unter Peter endgueltig verankerten Amts- und Staatskirche, mit dieser zu Grunde liegendem klerikalen Antimonarchismus, nie und nimmer abgefunden hat.

    4. In den Jahren des Livlaendischen Krieges sahen die Gewaesser des „Waraegersees“, wie die Ostsee seit alters her in Russland hie;, nach langer Unterbrechung wieder Kriegsschiffe mit russischen Flaggen an den Masten.  Nach der Eroberung Narvas und anderer Ostseehaefen verwirklichte Iwan der Gestrenge den uralten Traum von einer russischen Flotte, ohne die der nordische bzw. nordeuropaeische geopolitische Raum unvollkommen geblieben waere. Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang folgende historische Tatsache. Zum ersten russischen Flottenfuehrer ernannte Zar Iwan einen Nordgermanen, den Kaper Carsten Rohde  der vom Moskowiter Autokraten mit dem ihm uebertragenen Kommando  ueber das russische Ostseegeschwader (einschliesslich mehrerer in ehemals hanseatischen Haefen erworbener Kriegsschiffe) einen Schutz- bzw. Kaperbrief erhielt, der ihn dazu berechtigte, „…dem Brief unserer Majest;t gemaess sich der Feinde mit Gewalt zu bem;chtigen, deren Schiffe mit Feuer und Schwert zu bekriegen, zu entern und zu vernichten…“ Die Schiffsmannschaften bestanden groesstenteils aus Russen (meistens Archangelsker Pomoren), doch auch aus Skandinaviern (wie z.B. der bekannte norwegische Pirat Hans Dietrichsen).  Bemerkenswerterweise k;mpfte dieses im Zeitalter der Europ;ischen Renaissance entstandene  russische Geschwader unter der roten Fahne, der historischen Farbe der Wenden, Balten und Skandinavier (vgl. die Staatsflaggen Lettlands, Daenemarks und Norwegens, die Weiss und Rot in verschiedenen Variationen kombinieren). Die Person des „Seehelden“ Carsten Rohde  erscheint uns  ziemlich raetselhaft.  Als sein Geburtsland gilt Dithmarschen, eine Art norddeutsche  Bauern- bzw. Seeraeuberrepublik, deren Bewohner ihre Unabhaengigkeit  in der Schlacht bei Hemmingstedt 1500 gegen die Truppen der daenisch-schwedischen Kalmarer Union zu behaupten vermochten. Unter dem Kommando des kampferfahrenen Admirals Carsten Rohde gelang es der russischen Ostseeflotte, jahrelang polnische und schwedische Handelsschiffe zu kapern und feindliche Kriegsschiffe erfolgreich zu bekaempfen, bis Rohde infolge der Zuspitzung der vorher freundschaftlichen russisch-daenischen Beziehungen in Daenemark interniert wurde.

5.Alle Versuche, Zar Iwan den Gestrengen als „euroasiatischen“ oder vielmehr „protosowjetischen“ Herrscher darzustellen, sollten mit der gleichen Ironie betrachtet werden, wie das „Meisterwerk“ des sowjetischen Filmemachers Sergej Eisenstein, dessen in Stalins Auftrag gedrehter Film „Iwan der Schreckliche“ nichts anderes als eine Art sowjetisch-euroasiatische Verleumdung  der russischen Geschichte, des in seinen Urspruengen  nordeuropaeischen russischen Volkes und eines der groessten Zaren in der Geschichte Russlands  zu betrachten ist.
               
 


Ðåöåíçèè