Der grosse skorpion und die kleine loewin. Daccord

Auszug

5. Kapitel (Nr. 5 von 14)

D’accord*



Die Zeit verging und die beiden Freunde, der Skorpion und die Loewin, wurden ernster und erwachsener.

Eines Tages, als sie sich laenger nicht gesehen haben, schickte die Loewin einen Boten zum Skorpion. Er sollte Folgendes ausrichten:

„Ich moechte, dass wir fuer immer und ewig in Kontakt bleiben, egal was kommt. Kannst Du das erwidern?“

Die Antwort kam abends als die Loewin fast eingeschlafen war und lautete: „Ich bin damit total d’accord*“.

„Warum auf einmal in Franzoesisch?“, dachte sie sich und wurde hellwach.

„Und was genau meint er damit?“, fragte die Spielloewin ihre „Gegenseite“, die Vernuenftige Loewin.
 
„Sicherlich, genau das Gleiche, wonach wir ihn gefragt haben“, wusste dieses Mal die schlaue Haelfte der Loewin direkt ihre Antwort. „Dass wir fuer immer Freunde bleiben, egal, was kommt. Also lebenslang.“

„Ist das sein JA??!!“, sprang die Spielloewin gluecklich herum, „und warum hat er denn so ewig lang dafuer gebraucht…?“

„Weil unsere Frage mit dem Wort „erwidern“ fuer die meisten sehr verwirrend waere…“

„Das Wort verstehe ich bis jetzt nicht! Aber Du liessest Dich auf kein anderes ein…“

„Weil nur „erwidern“ haargenau beschreibt, was wir wissen wollten“, sagte die Vernuenftige Loewin nachdenklich. „In dem Fall hiess es, „derselben Meinung zu sein“. Und mein Skorpi versteht mich immer, deshalb lautete seine Antwort „ich bin damit einverstanden“. Er braucht manchmal ein bisschen, aber danach weiss er genau, was ich meine. Also, dann hat er auch heute geantwortet, sobald er sich sicher war, dass er meine Frage richtig verstanden hatte.“

Fairerweise sollte an der Stelle erwaehnt werden, dass die Loewin sich grundsaetzlich nur selten klar ausdruecken konnte, besonders, wenn es um etwas persoenliches ging. Aber der Skorpion konnte genau das, was der Fuchs im Maerchen „Der kleine Prinz“ von Antoine Saint-Exupery feststellte: „Wenn du jemanden verstehen willst, achte nicht auf sein Reden“. So wusste Skorpi magischerweise meistens, was seine Freundin dachte, ohne ihr dabei zuzuhoeren oder sogar ohne sie zu sehen.

Das Selbstgespraech lief aber weiter.

„Ich bin wieder so beruehrt von ihm“, seufzte die Vernuenftige Loewin, „jeder war bisher fuer mich zu wenig und ich war fuer jeden zu viel, weil ich zu einzigartig und stark bin…!“

„…Und niemand konnte auf Dauer meine Streiche aushalten…!“, stimmte ihr die Spielloewin zu.

„…Oder unsere 100 Launen verstehen“, nickte die Chefin. 

„Und Skorpi ist nun bereit, egal was kommt, in unserem Leben zu bleiben – wie mutig“, schmunzelte die Spielloewin, „das heisst, ich muss mich nicht mehr allzu sehr zurueckhalten.“

„Hattest du das je?“, hob die Vernuenftige Loewin ihre Ohren ganz hoch, „ich bin echt froh, dass du den Skorpion mit deinen verrueckten Streichen nicht verschreckt hast! Aber zum Glueck jetzt muss ich mir deswegen keine Sorgen mehr machen, er hat’s ja versprochen…“

„Und Du warst immer pflegeleicht?! Wegen Dir haette ich ihn so oft verlieren koennen!“

„Was soll der Quatsch?“

„„Ich werde warten, bis du Zeit hast, selber zu mir zu kommen“ – wer war das? Ich?“, regte sich die Kleine fuerchterlich auf, „Du hast das immer wieder zu ihm gesagt und dann mussten wir alle wegen Dir Monate lang warten! Und ich musste nur hoffen, dass Skorpi mich nicht vergisst!“

„Wenn er genau so viel Lust haette mit dir zu spielen, wie du, haette er einfach ein einziges Mal zu uns kommen sollen, fang das Thema lieber nicht an!“, bruellte die Vernuenftige Loewin zurueck.

„Das hat doch keinen Sinn, weil wir hier keinen Sand haben! Und Skorpi ist einfach zu nett, um zu sagen, dass es bei ihm besser ausgestattet ist als bei uns…“, die Spielloewin liess sich nicht ueberzeugen, „und unsere Hoehle aufzuraeumen bis du damit zufrieden bist dauert laenger als der Weg in die Wueste, schon vergessen?“

„Lass es gut sein, ich will ihn auch fuers Leben, egal, was kommt“, sagte die Chefin, „und egal, was er uns nicht erzaehlen wollte... Hat er wirklich „JA“ gesagt?“

„Soll etwas zurueck ausgerichtet werden?“, fragte hoeflich der noch wartende Boten-Vogel als Bestaetigung auf die eben von der Loewin gedachte Frage.

Tja, nachdem die Loewin sich vorher schon mal getraut hat, sowas aus ihrem Herzen auszusprechen und Skorpi zu senden, war sie zu ueberwaeltigt, um wieder etwas in Worte zu fassen.

„Richte dem Skorpion einfach meinen Herzenskuss aus, bitte“, sagte sie dem Boten und ging schlafen.
 
***

Als die Loewin an naechsten Morgen wach wurde, warteten auf sie bereits zwei von Skorpis Briefvoegeln, trauten sich aber nicht, sie beim Schlafen zu stoeren.

Der erste kam wohl noch mitten in der Nacht und brachte ebenfalls einen Herzenskuss von Skorpi zurueck.

Der zweite Bote brachte einen ganzen Satz mit, der lautete: „Auf jeden Fall“.
 
„Auf jeden was? Ist das eine Antwort? Ich habe doch gar keine Frage gestellt“, dachte erst die Loewin. Dann erinnerte sie sich an die gestrige Auseinandersetzung ihrer beiden Haelften, und an die „d’accord-Nachricht“ und an ihren Vorschlag „ewig in Kontakt zu bleiben“.

„Hilfe, habe ich ihn das echt gefragt…?!“, schuettelte sie ihren Kopf, „Und er antwortet nochmal, damit es wirklich sackt? Damit ich mich auch heute an meine Aussage erinnere? Wie tiefgruendig, aufregend und schoen…“,  die Loewin ging ganz kurz in sich hinein, um zu schauen, ob ihre beiden Haelften damit einverstanden waren oder ob es wieder Meinungsunterschiede gab. Scheinbar waren sich alle einig, da sich niemand meldete.

Somit konnte die Loewin einheitlich weiter vorgehen und sie fuehlte ploetzlich in das Universum hinein und sah ihren Freund Skorpion, der genau auf sie schaute.

„Hey“, sagte sie zu ihm, erfreut und verwundert.

„Hey“, antwortete Skorpi.

„Siehst Du mich auch grad?“

„Na klar.“

„Hast Du heute auf meine Fragen geantwortet, die ich gestern nur gedacht habe?“

„Lass uns das testen“, schlug Skorpi vor, „stelle mir Deine Fragen jetzt nochmal.“

„Hast Du mich gestern verstanden?“, fing die Loewin mit ihrer ersten Frage an.

„Auf jeden Fall.“

„Hast Du das Wort „erwidern“ richtig verstanden?“, fuhr die Vernuenftige Loewin fort.

„Auf jeden Fall“, sagte Skorpi extra hoeflich, da er die serioese Dame schnell erkannte.

„Also, willst Du das Gleiche, wie ich?“

„Auf jeden Fall.“

„Schaffst Du das, egal, was kommt, mein Freund zu bleiben?“, die Spielloewin musste es fuer sich auch klaeren.

„Auf jeden Fall, Maus“, sagte Skorpi sehr ernst, zeigte aber, dass er die Kleine auch erkannt hatte.

Das war schon fast zu viel. Die Loewin kam wieder zu sich und nahm die zwitschernde gruene Wiese um sich herum wahr. „Auch wenn das nur ein Zufall war, er hat damit auf alle meine Fragen geantwortet… Er hatte aber selber auch welche. Und diese hoere ich ganz deutlich:“

„Bist Du Dir sicher, liebe Loewin, dass Du mich fuer Dein Leben als Freund willst? Ob wohl Du mich gar nicht wirklich kennst?“

„Ich kenne Dich besser als Du denkst und als Du dich selber kennst. Und ja, ich bin mir sicher.“

„Wie verstehst Du mich, ohne dass mein Koerper bei Dir ist?“

„Weiss ich nicht, aber wir reden doch gerade“, laechelte die Loewin Skorpi an.
 
„Deine Nachricht von gestern war sehr wichtig. Magst Du mich denn wirklich so sehr, dass Du es fuer die Zukunft in Worten festhalten wolltest?“

„Auf jeden Fall“, antwortete die Loewin ihm gedanklich mit seinem eigenen Spruch.

Und dann, um sicher zu stellen, dass der echte Skorpi dies auch ganz klar mitbekam, rief sie den Briefvogel zu: „Richte dem Skorpion Folgendes von mir bitte aus: “Das ist so und das bleibt so“.“

Der Vogel flog fort und ploetzlich wurde es der Loewin klar, dass sie gerade etwas sehr Wichtiges versprochen hatte.

Und das fuehlte sich sehr gut an. Und als sie schwimmen ging, nahm sie Skorpi gedanklich mit und zeigte ihm, wie sie tauchte und planschte und wie die Sonne sich auf dem Wasser in Herzform reflektierte.

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*d’accord, uebersetzt aus dem Franzoesischen, heisst „einverstanden"


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