Lose Bl tter Ñâîáîäíûå ëèñòêè

Lose Bl;tter.

Gepfl;ckt auf mennonitischem Boden
Von
Peter Harder.
In elektronische getippt von Leonard Rempel.

Inhalts Verzeichnis.
Vorwort des Verfassers     ……………… 1
Ein Abschnitt aus meinem Lehrerleben… 2
Sein bester Freund………………………  15
Treu Herz………………………………    18
Nimm, was dein ist……………………….27
Hans Klaas  ………………………………31
Ohne Geld………………………………  33
Enth;llungen eines Falschen………..……36
Wie die Alten singen……………………..42
Von der liebe……………………………  43
Vom Gl;ck……………………………… 45
Der Tag ist hin……………………………48

Vorwort.
Vorwort.
Dieses Buch, von meinen Uropa, habe ich zu meinem Gluck gefunden und bin unendlich froh das es ;berhaupt, noch gibt. In Buch beschreibt mein Uropa friedliche Leben Menschen in mennonitischen D;rfern. Beschreibt sich selbst, sein ber;hmter Vater Bernhard (Lehrer und Prediger), Onkel Isbrand und Gro;vater.    Dieses Buch ist einmalig. Nirgendwo gibt’s es solche   Buch in welcher kann man ;ber Leben Damaligen Mennoniten lesen. Das Buch hat ihm laufe 100 Jahre viel Schlimmeres ;berlebt.  Vernichtung von so Prachtvollen Bl;henden sauberen und vollen Leben mennonitischen D;rfern in der Ukraine. Erschossene und gestorbene von Hunger Leute. Selbst Buch hat mehrere Seiten verloren, aber trotzt dem hat die Atmosph;re von damaligen Zeit erhalten. In Buch werden viele Probleme erhoben, welche stehen von uns heute und werden auch in Zukunft stehen.    Das Buch war mit Gotischen Schrift geschrieben und ich habe es auf normale Schrift getippt. Das hab ich an Erinnerung auf meinen sehr geehrten und geliebten Uropa Peter Harder getan, damit andere Nachkommen und Leser dieses Buch ein kleines Blick  ins damalige Leben werfen k;nnen.
Leonard Rempel 10.01.2013




Wertes. Ich freue mich, dass Sie es auf den Markt gebracht haben und w;nsche Ihnen weitere Lust, Mut und Erfolg auf diesem Gebiete.
I. Zenian (Verfasser des Buches „Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“)schreibt :“es ist viel Streitens um Ohm Peter gewesen, ,-- diesen Mann, den H. mit so viel Liebe und so fein gezeichnet hat… ich bin durch die Schilderung dieses schlichten, treuen Arbeiters im Weinberge des Herrn direkt zu Tr;nen ger;hrt worden. Gebe Gott uns doch mehr solcher Ohm Peters, die um Christi willen auch eine „Kraj“ sein k;nnen, wie der Apostel Paulus sich nicht sch;mte, um Christi willen ein Narr zu sein. Es scheint mir, als l;ge des Verfassers Talent ganz besonders in der sein detaillierten Auffassung  und Zeichnung des Charakters. All seine Gestalten leben, Die lebenden Bilder sind es auch, die den „Schicksalen“  ihren feinen Reiz verleihen.“
Vorwort.
Nicht einen duftenden Blumenstrau; vermag ich dem Leser darzureichen, will ihm auch nicht von gro;en Leuten und ersch;tternden Ereignissen erz;hlen; es ist nur eine Handvoll loser Bl;tter, auf heimischem Boden gefunden und gepfl;ckt,  was dieses B;chlein bringt. Die vorliegenden kleinen Erz;hllungen sind nur zuf;llig entstanden. Sie sind dem Privatkonto entnommen, das ich mir f;r die Mu;estunden angelegt, in dem ich alles niederschreibe, was mich bewegt, bisweilen auch frei und frank meine Ansicht in verschiedenen unser Volk betreffenden Fragen verzeichne in dem gut Bewusstsein, dass jedes nach Vollendung in die stumme Mappe zu dem ;brigen wandern werde. Jedes Bl;ttchen will nun, da es schon ausfliegen soll,  etwas Kurzweiliges erz;hlen, aber auch—und das viel mehr—den Leser etwas ganz Ernsthaftes fragen; so Z. B.
1. Was gilt dir die Schule?
2. Was giltst du –deinem Volk?
3. „ „ deinen Kindern?
4. „ „ „deinem, Gesinde ?
5. ----was giltst du deiner Familie?
6. Was gilt dir –die Redlichkeit, das Verm;chtnis der Alten?
7. Was gilt dir –das Alte und das Neue im Volksleben?
8. Was gilt dir das Gebot des Herrn?
9. Was gilt dir—Geld und Gut?
10. M;chte ein passender Schl;ssel sein zur L;sung s;mtlicher Fragen.
Davlekanovo, im Jahre 1913.
Peter Harder. 


Ein Abschnitt aus meinem Lehrerleben.
Wie ich dazu kam.
Verwunderlich genug bleibt mir die Geschichte, wie ich eigentlich dazu kam, Lehrer zu werden, und ohne einen Spa; oder zwei ging’s auch nicht ab. Wenn ich nun von mir selbst etwas erz;hle, so rechtfertige ich das damit, dass zwischen heute und damals bereits an die 30 Jahre liegen, und zweitens, weil um mit Luther zu sprechen auf meine Person wenig Ehre dabei abfiel. Ich war ein f;nfzehnj;hriger zentraler von hohem Flug, dazu voller Streiche und Schnurren sondergleichen. Da fetzte ich mich in einer  Pause auf das Katheder, hing mir die von einem Lehrer vergessene Brille auf die Nase und hub an: „Jungen, das Lehrersein muss doch eigentlich ein gem;tliches Gesch;ft sein. Mit welcher Lust Z.B. w;rde ich euch alle, werte Freunde, der Reihe nach hier;ber Tisch ziehen! Wehren darf man sich ja bekanntlich nicht, denn solches w;re ein Versto; gegen unsere Schulregeln, der wenigstens zwei Stunden Karzer setzen K;nnte! Na, meine niedlichen Kolkrabenk;chlein und Auerochsen, um drei Jahre werden wir’s mal versuchen.“ „Du?!“ unterbrach mich hier ein Tischnachbar, der dicke David, von dem ich immer die Algebra aufgaben abschrieb,  „Eher wirst nach drei Jahren ein Schweinehirt sein!“ Das Examen kam, und ich-fiel durch. „Was nun?“ fragte der Vater betr;bt. „Ich mochte ins Gymnasium nach B.“, Bat ich kleinlaut und unsicher, denn das war seit langem mein Herzenswunsch gewesen, und der dicke David wollte auch das Gymnasium besuchen.  Der Vater lachte unter Tr;nen, hatte er doch immer nur kaum –Kaum satt zu machen, die der Herr ihm beschieden.  Ich kam zu einem Kr;mer in der Krim in die Lehre; statt der getr;umten silbernen Kn;pfe – Teerflecken am rock; statt des Schulzepters die Arschin in die Hand! Doch es kam noch besser, wie ihr sogleich h;ren sollt. Der erste Fr;hling in der Krim brachte mir einen Tort, an dem ich f;r mein Leben genug gehabt h;tte. Mein Prinzipal schickte mich hinaus, die Schweine zu h;ten, resp. An  die Freiheit auf dem Weideplatz zu gew;hnen. Ich widersetzte mich allen Ernstes. Der Herr Prinzipal aber lachte und meinte, es sei keine Schande und mache ungemein viel Spa;. Er selbst, der Schulze, der Schullehrer mit den Schulkindern, alle z;gen aus. Ich folgte ihm z;gernd auf die Stra;e, wo schon das ganze Dorf versammelt war, gro; und klein und noch kleiner, Lehrer samt Sch;lern, und mitten drin das grunzende, quiekende, borstige Heer. Ich trollte mit meinen Gedanken und mit meinem Hochmut allein hinter der fr;hlichen Gesellschaft her. „Wenn das der dicke David sehen sollte!“  kam mir wieder und wieder in den Sinn und trieb mir das Blut in die Wangen. Pl;tzlich entstand vor mir ein gro;es Get;mmel.“ Hol em! Hol! Schnapp sie sich Ihre Ohren und die Hinterbeine.“ Ich merkte bald, dass die zurufe mir galten. Ein gro;er Eber hatte sich durch die Reihen gebrochen und kam direkt auf mich zu gesprungen. Ich warf mich mit voller Wucht auf ihn und packte ihn bei den Borsten. Das wilde Tier aber wandte sich blitzschnell um. In der n;chsten Sekunde sa; ich auf seinem R;cken und Batz! Lag ich auch schon auf Erde. Ein donner;hnliches Gel;chter der Menge erfolgte. Scham und Wut trieben mir die Tr;nen  in die Augen. Mit fest aufeinandergebissenen Z;hnen und geballten F;usten lief ich  nach Hause. Schloss die T;r hinter mir ab und warf mich weinend auf mein hartes Lager.  „Der Dicke hat recht gehabt: ein Schweinehirt. Ein richtiger Schweinehirt ist geworden, ein Teer und Korinthenh;ndler; das ist’s! … doch, das bleib‘ ich nicht. nicht und tausendmal nicht! Ich wird‘ noch etwas! Es hat viele Wege, der und jener.. aber wie anfangen? Was tun?“ So wogte und wallte, fragte und trotzte es in meinem Innern wie in einer Meeresbrandung.. Tukarltscha, wo sich unser Kr;merladen befand, war nur ein kleines D;rflein mit ;u;erst anspruchslosen Bewohnern, und die benachbarten Tataren zogen mehr und mehr von uns weg nach Skarlosch, einem anderen deutschen Dorf, um ihre Eink;ufe dort zu machen. Die nat;rliche Folge davon war, dass sich mein Prinzipal endlich gen;tigt sah, seine Bude zu schlie;en  und zu verkaufen. Wo ich bleiben werde, und was aus mir werde, war ihm ja so gleichg;ltig, wie allen ;brigen Menschen auf der Erde; denn mein geliebter Vater war indessen schon heimgegangen. Eines Tages nun traten drei M;nner in den Laden. Der eine von ihnen war Ohm Isbrand, ein weitl;ufiger Onkel von mir. „Na, diesmal wirst es nicht erraten, wonach wir gekommen sind?“ sagte der Ohm wohlgelaunt. Auf meine frage, ob sie etwas zu kaufen w;nschten, fuhr er lachend fort: „Jawohl, und zwar dich wollen wir kaufen. Wir haben noch keinen Schullehrer und sind uns einig geworden, dich zu mieten; du wirst uns doch keinen Korb geben?“  Ich mag den Onkel doch wohl etwas verdutzt angeschaut haben, denn der Antrag kam mir zu unerwartet. Dann erkl;rte ich den M;nnern, dass ich vom Unterrichten ja ganz und gar nichts verst;nde, weil ich eben keine P;dagogik studiert h;tte. „Wenn du uns nicht gut genug w;rest“,
 Entgegneten  diese,  „so h;tte uns die Gemeinde nicht nach dir geschickt. Wir glauben sogar, falls du zusagst, werden wir den gelehrtesten Schulmeister auf hundert Wersten im Umkreis haben. Darum zier‘ dich nicht lang‘ und schlag ein! Wir zahlen dir einen guten Lohn; 100 Rubel f;r den Winter, und essen gehst rund! “ „Auch das noch, “ fiel ich entsetzt ein, „wie das Zuchtvieh von Haus zu Haus? Da tu ich’s erst recht nicht! Was w;rde der. Dicke dazu sagen?“ Biss ich rechtzeitig ab – „Rund geh‘ Ich nicht! Mietet euch, wen ihr  wollt!“ „Gei doch  nicht so dumm, Jung!“fuhr Ohm Isbrand heraus, „wei;t du doch nicht, was du redest! “Wenn wir erfahren, dass  der Schulmeister essen kommt, wird hergerichtet, was Zeug und Leber h;lt. Jedermann, mit Ungeduld auf Leckerbissen warten. ‘  auf den Tag, denn da gibt’s  immer was von Weizenmehl.“
 Ich aber hatte schon von dem Missgeschick eines angehenden Lehrers geh;rt, der „rundgegangen“  und ;berall mit Hirsegr;tze und Schinkenfleisch traktiert worden war: Sonntag, Montag und hinab bis Samstag jeden Mittag Hirsebrei und Schinkenfleisch. Als nun am Folgenden Sonntag wieder der Hirsebrei auf dem Tisch gedampft hatte, ist er davongegangen und hat sich als M;ller in einer Windm;hle vermietet. Endlich erbot sich Ohm Isbrand, mich f;r 30 Rubel  ;ber Winter in Pension zu nehmen, d. h. f;r die ganze Schulzeit.  Erst als sich die M;nner verabschiedet hatten, kam mir zu vollem Bewusstsein, was ich eigentlich angerichtet, und dass ich ja den Antrag durchaus nicht hatte annehmen wollen. Mir wurde angst und bange dar;ber; doch die Dreier Handgeld lagen in meiner Tasche, und ich blieb wohlbestallter Schulmeister von Jarkantau. Was nur der dicke David dazu gesagt H;tte? Wer hat nun recht, Dicker, ich oder du? So kam ich dazu.
2
Mein Regierungsantritt.
Stelle dir, geneigter Leser, die Schule deines Dorfes vor. Es ist ein stattlicher Bau auf hohem Fu;, von alten breitverzweigten Akazien umkr;nzt. An einem wirklichen Schulhause ist nichts schlottrig und lose, alles fest und sauber. Es hat hohe Fenster mit spiegelblanken Scheiben, durch welch Licht und Sonnenschein allzeit frei hin durchstreichen k;nnen. Da steht das Schulhaus und blickt die Reihe auf, die Reihe ab ;ber die Bauernh;user hinweg, als wollte was ihnen sagen; „Nicht wahr, ich bin doch weit wichtiger als ihr! Wohl liegt in meinem Dachbodenraum kein goldener Weizen aufgespeichert; wohl findest du auch in den Wohnr;umen meines Innern weder Silber noch Gold oder sonstige Sch;tze – doch ein Kleinod von gewaltiger Bedeutung berge ich: in mir sprudelt ein Quell, an dessen klarem Wasser kein B;rger ungesetzt vor;ber darf!“ und dem gesch;ftig Vor;bereilenden ruft das Schulhaus mahnend zu: „Halt doch ‚n Augenblick an, Wandersmann, und blicke in das frohe Treiben in der freundlichen Schulstube! Was d;nkt dir, wenn auch nur 5%  des hier gestreuten Samens keimf;hig sein sollte, d;rfte man da nicht falls der himmlische Vater zur Zeit Regen und Sonnenschein spendet auf eine gesegnete Ernte hoffen?“ Solches erz;hlt das Schulhaus und h;lt ungeheuerlich viel von sich, obzwar es allzeit in seinen R;umen viel Pfuschwerk, Albernheiten und Unvollkommenheit mit ansehen muss. Die Schule die Dorfschule ist das Thermometer, an dem man die Wohlfahrt nicht nur des betreffenden Dorfes, sondern auch des Staates ablesen kann, Verwahrloste Gemeinde und Staatsverh;ltnisse sind immer das Produkt verwahrloster Menschen, und verwahrloste Leute haben entweder keine oder eine verwahrloste Elementarschule gehabt, oder habe was noch weit schlimmer ist mit dem seligen Kinderglauben auch den Schulsegen gewaltsam abgetan. Wenn ich nun noch hinzuf;ge: Die Schule ist immer das gewesen, was der Lehrer nicht die Verh;ltnisse, nicht die Gemeinde, nicht die Beh;rde, nicht die kleine noch die gro;e Gage,  was der Lehrer aus ihr gemacht hat, wird man mich nicht mehr einen Rebellen schelten, wenn ich mich selbst zu einem K;nig mache. Ging’s doch auch gar nicht hoch her bei meinem Regierungsantritt, wie ihr nun sofort h;ren sollt. Oft holte ich in stiller  Stunde meinen Dreier Handgeld hervor du betrachtete ihn mit vielen Gedanken. Jetzt kam er mir vor wie ein Judas Lohn, um den ich etwas verraten hatte auf die Unwissenheit einiger Menschen bauend, dann aber packte es mich wie das Heimweh den J;ngling im fremder Lande. Der Kaufladen war mir immer ein fremdes Gebiet geblieben. Eines Abends, nach Ladenschluss, kauerte ich wieder, wie schon so oft in den letzten Tagen, vor meiner Truhe und durchbl;tterte wiederum mit zitternden Fingern die Leitfaden, welche ich in der Zentralschule benutzt hatte, las hier einen Abschnitt aus der Physik, dort eine Seite aus der Weltgeschichte oder Geographie, versetzte mich im Geist auf die Schulbank zur;ck und versuchte mir dann mit festgeschlossenen Augen das liebe, freundliche Gesicht des alten „Papachen“ (So nannten wir H. Neufeld –einen besonders beliebten Lehrer in H. ) heraufzubeschw;ren, um noch einmal seinen ernsten, ruhigen Unterricht zu h;ren und zu lernen. Alles vergebens! Das Gesicht erschien wohl. Erscheint es mir doch heute noch,, wenn ich in der Schule mal „T;chtig“ werde und ich mich zur Sanftmut zwingen will. Das liebe Gesicht erschien mir, wie es leibte und lebte, mit allen Runzeln darin und der auf die Nasenspitze  gerutschten Brille; aber der Mund blieb stumm. Es waren nur noch wenige Tage geblieben, bis man mich abholen wollte, und mir war noch alles so unklar, und das Unterrichten kam mir vor wie ein f;rchterlicher Wald, in dem ich mich nimmer zurechtfinden werde; missmutig legte ich die B;cher wieder an ihren Platz und warf mich angekleidet auf mein Lager, Pl;tzlich kam mir ein Blitzgedanke, wie wir sie in der Schule nicht selten hatten, wenn’s galt, einen lustigen Streich auszuf;hren. „und wie ich nur nicht fr;her darauf gefallen!“ rief ich aufspringend, „wie viele Stunden h;tte ich schon, anstatt sie in fruchtlosen k;nnen, mich auf meine bevorstehende Schularbeit vorzubereiten? Wer anders als der Ortslehrer k;nnte mir den besten Rat erteilen und mich mit den B;chern bekannt machen, die in einer Dorfschule gebraucht werden und mich belehren, wie sie gehandhabt werden.“  Ich eilte sofort, die Brust voller Erwartung, zu ihm hin. Der Lehrer von T. war ein weit in der Umgebung bekannter, ungemein flei;iger Bauersmann. Seine H;nde waren hart von der Arbeit; war er doch alles M;gliche in einer Person: im Sommer voll und ganz Bauer, im Winter Knecht, Magd, Sattler und Holzpantoffelfabrikant, Schulzenschreiber und endlich auch, soviel Verstand, Kraft und Zeit noch erlaubten. Schulmeister, ein goder Schullehrer“ Wulf—so hie; der Mann; lebte seit Jahren im besten Einvernehmen mit seiner Gemeinde. Sie hatten aneinander nichts auszusetzen. Brauchte jemand etwas Kleingeld, so bekam er es bestimmt und ohne viel „Schrieweri“ beim Schullehrer; von Prozenten war ;berhaupt nie die Rede. Zu Neujahr aber kam’s  den Leuten auf ein oder zwei Pud Weizen von der Wirtschaft oder auf eine De;ajtine Brache zu K;rbis und Welschkorn, je nachdem es der Lehrer als Zulage f;rs kommende Jahr verlangte, nicht drauf an. Als ich um Schulmeister Wulf in die Stube trat, war er gerade damit besch;ftigt, eine Peitsche aus zw;lf Strahlen zu flechten „f;r tietlang waren.“
 Er hatte schon geh;rt, dass ich mich zum Schullehrer nach J. vermietet hatte und n;tigte mich, Platz zu nehmen. Darauf flocht er ruhig weiter und wartete, ob und was ich zu reden h;tte. Als ich aber ungeschickt lange schweigend dasa;, weil ich vor Aufregung und Sch;chternheit nichts hervorbringen konnte, hielt er etwas in der Arbeit inne und warf mir einen langen pr;fenden Blick zu. Dann spei er auf die Riemen vor sich, wickelte um jede Hand ein Ende derselben, holte sie kr;ftig an und sagte in deiner breiten, gutm;tigen Art: „Darbi k;mmt nich v;l wat rut!“  -beim Schulmeistern n;mlich. Nun hatte ich noch keinen Gedanken dar;ber verloren, ob f;r mich dabei etwas herauskommen werde, d. h. ob ich als Lehrer viel verdienen werde. Vielmehr ;ngstete mich t;glich, mochte sagen st;ndlich, mehr der Gedanke, ob ich auch den bescheidensten Anforderungen werde gen;gen k;nnen.   „Darbi k;mmt nich v;l wat rut!“   Das war kurz, klar und deutlich das Ergebnis seiner Erfahrungen im Schulleben; diesem wusste er weiter nichts hinzuzuf;gen. Wieder eine lange Pause, in der er, ;ber sein  „R;merpferd“ geneigt, emsig weiter flocht.  Endlich platzte ich unwillig heraus, er m;chte mir doch einen Rat geben, wie ich die Sache anzugreifen habe; darum sei ich zu ihm gekommen; und ich wolle ein Lehrer werden und mich einarbeiten, wenn’s  nicht unm;glich w;re; es koste, was es wolle! Fast erschreckt lie; Schulmeister Wulf seine Peitsche fahren und blickte mich einige Sekunden lang halb fragend, halb erstaunt an. Hatte ihn mein Schuleifer frappiert oder meine weinerliche Gem;tsverfassung befremdet, wei; ich nicht; nach einer l;ngeren Pause aber sagte er, sich r;uspernd und wie mir schien mit einem leichten Anflug von Mitleid:“Na, wenn ‚t dann nich anners well, dann man mal probieren !“ Wulfs dunklen Orakelspruch legte ich mir als eine Aufmunterung aus. Ja, richtig! Wie einfach: ein Winter in der Krim ist ja nicht so lang; geht’s  nun mal nicht, in eine Teerbude kommst wohl auch dann noch! Und „probieren“  hab‘ ich in der Folgezeit rechtschaffen, buchst;blich dem Sinn der Worte des Schriftstellers nach: „es sucht das Maultier im Nebel seinen Weg.“  Ohm Isbrand, der sich’s nicht hatte nehmen lassen, mich mit meinen Sachen abzuholen, war ;u;erst aufger;umt. Er erz;hlte mir viel unterwegs. Unter anderem, dass er an mir mehr zu verdienen gehofft. Die Gemeinde wolle im nicht mehr als 32 Rubel ;ber Winter f;r Kost und Quartier des Lehrers geben. Jedoch hoffe er noch anderes von mir zu profitieren. Am liebsten w;rde er noch selbst zur Schule gehen, um etwas mehr zu lernen, wenn er nicht bestimmt wisse, ich werde ihn mitten unter die kleinen Anf;ngerkrauters setzen, wozu er doch wohl mit seinen 65 Jahren schon ,,‘n b;ten ;we;llert W;re. Wenn ich’s aber fertig br;chte, ihm bis zum Fr;hjahr so viel Wissenschaft beizubringen  dass er imstande sein werde, seinen Namen russisch schreiben zu k;nnen, solle es ihm nicht darauf ankommen, ein ;briges an mir getan zu haben, jedoch wisse er sehr gut, da;  ,,‘n ollen Hund schwar ballen lehren“ sei. Auch machte er mich mit meinem zuk;nftigen Wirte bekannt. Der Pr. B. sei ein Dieb der anderen Leuten die Wirtschaften abgaunere, mit allen Gesunden in Streit lebe und die Kranken mit Hom;opathie vergifte. Zehnmal ;rger aber sei noch der rote Becker, ein „schlanscher Esel“, der keinen Menschen ungepr;gelt lasse. Vor diesen beiden Familien solle ich mich h;ten und ihnen auch nichts trauen, wenn sie mir „Honnig ;m de Freet(die gr;bste Benennung f;r Mund.)  schmeeren sollten.“ Die anderen Nachbarn w;ren vern;nftige Menschen, mit denen gut auszukommen sei, wenn auch die meisten nicht h;tten, einen Hund aus dem Ofen zu locken. “ ich schielte wiederholt von der Seite auf Ohm Isbrand. Er war ein gro;er, robuster Mann mit einem ehrlichen Gesicht und treuherzigen wasserblauer Augen darin. Ich mochte ihm wohl kaum bis unter die Arme langen, und seine H;nde, besonders aber die F;;e, die gew;hnlich barst rumpfig in ledernen Schlorren steckten, schienen mir von riesenhaftem Umfang zu sein. Mein durch die Erz;hlung angeregter Jugendmut dr;ngte mir die Frage auf die Zunge, ob der rote Becker auch schon mal ;ber ihn geraten sei. „Gewiss,“ versetzte er kurz auflachend, w;hrend sich seine Stirn in Falten legte, und aus den Augen der reine Unwille leuchtete, , „als ich eines Tages im Hinterhof Strauch hacke und an nichts B;ses denke, schleicht sich der Kerl wie eine Katze hinter mich und zieht mir eins mit der Heugabel ;ber den Kopf, dass der Stiel davon kurz abbrach, und mir gr;n vor Augen wurde.“ „“Was dann weiter geschah, “Fuhr der Erz;hler fort, „wei; ich eigentlich selbst nicht genau, denn ich war ganz unsinnig geworden vor Wut; --ich sch;me mich heutigen Tages noch, davon zu reden. Der Becker hat darauf monatelang Hom;opathie „supen “ m;ssen.. doch da ist auch schon unser Dorf zu sehen.. H;, Br;nner!“ Bald darauf fuhren wir ins Dorf ein, in „mein Dorf,“
 In dem meine Schule stand. O Gott, wie war mir so bang ums Herz! An den Stra;enz;unen standen und hingen s;mtliche Einwohner des Dorfes, um den neuen Schullehrer zu sehen.  Die erste Unvorsichtigkeit beging ich damit, dass ich ohne Gru; an den Leuten vor;berfuhr. In H. wo ich aufgewachsen war, war schon zu damaliger Zeit die schone Sitte des allgemeinen Gr;;ens abgeschafft. Ich gr;;te also grunds;tzlich keinen Unbekannten. Damit hatte ich denn nun nichts gewonnen, aber viel verspielt. Die einen meinten, es werde doch wohl nicht viel mit mir sein, weil ich nicht einmal „go’n Dach“  sagenk;nnte; die anderen. Ich sei eine „“Stolte Mestkr;t, die man besser sofort hinter den G;rten abgeladen h;tte. So interessierten sich f;r mich eigentlich nur noch der Pr. B. und der rote Becker, die faktisch buhlten um meine Freundschaft. Mein erstes Missgeschick betr;bte mich tief. Voreingenommenheit und Misstrauen der Gemeinde gegen den Lehrer ist f;r die Schule das, was der Meltau f;r zarte Pflanzen. In diesen ersten tr;ben Tagen aber lernte ich eine Frau kennen, Ohm Isbrand Frau, ein Weib von seltener Klugheit mit einem feinf;hlenden Herzen – eine Oase in der W;ste. Leider starb meine m;tterliche Freundin schon in dritten  oder vierten Monat meines Aufenthaltes in I. Ich weinte ihr bittere Tr;nen nach. Wie wohl hatte mir ihre F;rsorge um meine kleinen Wirtschaftssachen getan. Sie hatte mir ihr volles m;tterliches Wohlwollen geschenkt. Schon acht Jahre meines kurzen Lebens  hatte ich keine Mutterliebe genie;en d;rfen, und so bald wurde mir auch diese entrissen. Auch f;r die Schule hatte sie mir die ersten p;dagogischen Winke gegeben; doch davon in einem folgenden Kapitel. Als nun der Herrgott meinte, die Privatstunden , die Stunden voll Kummer und Entt;uschung, die er in seiner  G;te mir als Vorbereitung auf den Lehrerberuf gratis gab, d;rften vorl;ufig gen;gen, schickte er mir den so viel wie Gendarmenunteroffizier.  Ins Dorf. Eines Abends kommt ein Bote, vom Schulzen gesandt, zu mir und fragt mich, ob ich imstande sei, mit einem russischen Herrn zu sprechen, der gekommen sei und etwas wolle, was kein Mensch Herauskriegt, und ob ich mich auch nicht f;rchte. In diesem Falle solle ich doch sofort mitkommen. Ich musste ;ber den Ernst des Mannes Lachen und folgte ihm ins Amt. Hier wetterte und schimpfte der Herr Urjadnik gro;e St;cke ;ber die Pru;aki, welche auch nach tausend Jahren kein Wort russisch sprechen lernen w;rden, Der Schulte nebst Stellvertreter des Schulzen, Schulzengehilfe standen ratlos da. Ich begr;;te den Urjadnik, setzte mich ruhig neben ihn an den Tisch  und fragte dann, was er zu wissen w;nsche? „Nu, Gott sei Dank! Wenigstens ein vern;nftiger Mensch in dem verw;nschten Nest!“bemerkte der Mann erleichtert, und aller Zorn war verraucht. Es handelte sich wenn ich nicht irre um einen entlaufenen Verbrecher, dessen Spuren man bis an I. gefolgt war. Ich hatte mir bei der ganzen Geschichte nichts Besonderes gedacht, aber die Leute waren von dem Tag an wie umgewandelt in ihrem Verhalten mir gegen;ber. Seither war ich angesehen und beliebt im Dorfe. Der lange Kosfelds Iehann sagte mir, wenn ich ihn wolle so russisch sprechen lehren, wie ich selbst k;nne, wolle er mir daf;r sein „Hingstjahrling“ geben; das sei ihm nicht zu schade daf;r. Das „Hingstjahrling“
 Hab ich mir leider nicht verdienen k;nnen, denn er hat’s bald darauf verkauft und im Dorf einen kleinen Handel mit Sonnenblumensamen, Konfekten und Pfefferkuchen angelegt, und weil ihm niemand was abkaufen wollte, alles selbst aufgegessen.
3
Das erste Jahr unserer Regierung.


In G;lls Nu;s;cklein zum Knacken lautet eine Frage: Welcher K;nig hat kein Schloss? Der R;tselmann hat dabei nur an den Zaunk;nig gedacht und nicht an den Schulk;nig von Jarkantau Anno 1885, der auch keins hatte. Nein, nein, meine erste Schule war keineswegs ein Schloss; sie erinnerte vielmehr an ein Backhaus  oder an eine Aschbude. Die W;nde . kaum 2,5 Arschin hoch waren von wildem Feldstein aufgef;hrt, von au;en  weder stuckaturt noch gewei;elt, wie die meisten H;user des Dorfes. Auch kein Zaun f;hrte ringsum den Schulhof, kein Graben und keine Hecke; und die abends von der Weide heimkehrenden K;he scheuerten sich mit Vorliebe Hals und Stirnrand an den scharfen, harten Ecken der Schule. In jeder Wand steckte ein kleines schiefes Fensterlein, ohne Bekleidung und ohne Laden, mit gr;nlichen ins Blaue schillernden halberblindeten Scheiben. Eine unbehobelte T;r r;hrte durch die K;che, den Schornstein oder w;hrend des Heizens aus dem Ofenloch erhielt, in die Schulstube. Der Fu;boden war sowohl hier als auch in der K;che aus Lehm gestampft und mit bedenklich tiefen L;chern versehen. Von innen war die Erde einige Spatenstiche tief herausgenommen  worden, um Raum zugewinnen. Die Decke fehlte wohl aus demselben Grunde-  g;nzlich; man h;tte ohne M;he von unten hinauf bis in die „K;kenh;lter“
 langen k;nnen, wenn welche dagewesen w;ren. Den First bildete ein langer  dicker Balken, so lang wie die H;tte selber war. Er ruhte mit seinen Enden auf den um 1 Arschin h;her  als die Seitenw;nde aufgef;hrten Giebelw;nden und trug das gewichtige Erddach, auf dem stillen weise Grashalme emporspro;ten, einige zerbrochene irdene T;pfe und eine Flasche mit abgeschlagenem Halse lagen. Von innen war die Schulstube zu meinem Empfang geschmiert und gewei;elt, besser gesagt gebl;uelt worden, wohl, damit es l;nger „schmock bliewen“ solle. Mich verdross  dieser k;mmerliche Bau sehr. Wie schone H;uslein hatte man in T. und in anderen D;rfern der Krim aus dem ges;gten lichtgelben Schneckenstein gebaut, der f;r einen Spottpreis gekauft wurde. Eine Arschin in der L;nge, ; in der Breite und eine halbe dick, um 3-4 Kopeken. ;ber matt h;tte ihn aus dem Steinbruch holen sollen, und dieser war 20 Werst von I. entfernt; und das Opfer w;re zu gro; gewesen f;r die Schule. Ja, und ich habe seither oftmals entdecken m;ssen, da; die gr;;te Untugend der Armut nicht die ist, dass sie den Leuten den Schmalhans statt Schmalzhansen zum K;chenmeister bestellt, sondern dass sie dieselben gleichg;ltig, f;r alles Gute unempfindlich und endlich tr;ge und willenlos macht. Also auch die Kinder armer Leute werden meistens zu Haus weder zur Neinlichkeit noch zu Flei; und P;nktlichkeit angehalten; oft fehlt ihnen nur das gute Vorbild, sich in diesen Tugenden zu ;ben. Kommt ein Armmannskind gesittet und in reinlichem Kleidchen in die Schule und sagt dem Lehrer keck seine Lektion her, einen Tag wie den anderen, so wett‘  ich hundert gegen eins, dass seine Eltern nur durch Ungl;ck verarmt sind oder durch Missgeschick nicht vorw;rts kommen k;nnen. Sie tragen auch nimmer eine so gr;ssliche, bitterwehgallige Miene zur Schau und strecken ihre Hand, solange sie noch schaffen kann, nicht nach milden Gaben aus. Wenn du mir nun, lieber Leser, einen Vorwurf daraus machen willst, dass ich so hart ;ber die Armen herfahre, so erkl;re ich dir, dass du kein gutes Recht dazu hast: erstens z;hle ich selbst zu denen, die kein Geld und Gut besitzen, weil ich nicht mehr und nicht weniger als 37 Rubel und 30 Kopeken geerbt habe und als Schulmeister keines Zur;cklegen konnte und zweitens darf ein alter Erzieher wohl mitteilen aus dem gro;en Sack seiner Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen zu allgemeinem Nutz und Frommen. Am Ende pr;ft sich einer oder der andere, wenn er dieses Kapitel gelesen, und findet bei sich Tr;gheit und kein ernstliches Wollen, vorw;rts Zu kommen, und er macht sich darauf schleunigst auf die Beine mit ihm aber auch der ungebetene K;chenmeister, dann soll’s mich auf dem Sterbebett nicht einmal gereuen, dass ich so hart geschrieben habe.  Wenn mir schon mein Schulhaus missfiel, so war das nicht so schlimm; jedenfalls konnte ich mich noch dar;ber wegsetzen. In meinem Innern sah’s  zurzeit aus einem anderen Grunde tr;be, tr;be aus. Je n;her der Tag meiner Thronbesteigung r;ckte, desto mehr verlor ich angesichts der bevorstehenden Schularbeit jede Fassung. Hatte ich mich doch schon soweit mit der Gemeinde eingelassen und wusste nicht und konnte es mir auch gar nicht erkl;ren, was ich eigentlich  in der Schule zu tun h;tte, wie ich’s nur anzugreifen h;tte! Dazu kam mir noch das lieblose Gerede des ;ber mienen stummen Einzugs emp;rten Nachbarn zu Ohren. Wenn ich mein Wort nicht verpf;ndet, wenn ich Reisegeld gehabt h;tte, und wenn die n;chste Bahnstation nicht an die hundert West von unserem Darf gelegen w;re, so.---.Der erste Schultag brach an. Ich holte meinen ganzen B;cherschatz hervor, darunter Physik, Geometrie, Weltgeschichte, Rechenb;cher und wei; ich, was alles sonst noch. Dann stand ich wieder am Fenster und schaute lange unschl;ssig hinaus. Pl;tzlich ber;hrte eine Hand leise meine Schulter. Ich fuhr erschreckt zusammen; es war die Kostmutter, meine kluge m;tterliche Freundin. „Wat wellst mit all de B;ker in ons Schol, Peta?“ fragte sie leise, dabei freundlich l;chelnd. Bisher hatte sie ihren Rat nur auf meine kleinen Wirtschaftsfragen beschr;nkt und sich in keinerlei Weise in Schulangelegenheiten gemischt. Sie nahm mir vorsichtig alle B;cher aus der Hand und lege sie auf mein Bett. „Latt sei dar man liggen, ‚ck pack sei di nahstens schmock in din’n Kasten!“  sagte sie und ging in die Eckstube. Bald kehrte sie zur;ck und ;berreichte mir eine Bibel und einen Katechismus, ein Choralbuch und ein Gesangbuch mit den Worten: „Bi ons ward blo; ut dese B;ler sehrt; dat reakt tau f;r’m Bur!“
 Darauf zeigte sie mir einige Chor;le, welche alle Schulkinder mitsingen k;nnten, die Kirchenlieder, die sie vorigen Winter gelernt h;tten, w;hlte auch den Psalm, den ich zu Anfang nach dem Gebet vorlesen sollte, und sagte: „Nu gah all ma; de Kinjers luren all! Griep dat vondag vich tau doll an! Vertell’n uck ‚ne sch;ne Geschicht, wenn du ene kannst; dat pllucht mi emmer sch;n tauh;reng ahnen! Help di Gott, Peta!“ Nun hatte ich endlich mal was Reales, etwas Greifbares. Mit dankbarem Herzen verabschiedete ich mich von der guten Tante und eilte, Bibel, Katechismus, Choralbuch und Gesangbuch unter dem Arm quer  die Stra;e der Schule zu. Als ich die Schult;r ;ffnete, sah ich etwas falsch! Sah ich nichts vor dem aufgewirbelten Staub und h;rte auch nichts, denn die Kinder sa;en nun m;uschenstill da und „lurten“, als ob der Sand allein in die Luft gestiegen w;re. Ich gr;;te: „Guten Tag, Kinder! “ Keine Antwort. „Guten Tag, Kinder!“ wiederholte ich meinen Gru; etwas lauter. Keine Antwort. Endlich sagte eine gr;;ere Sch;lerin von ihrem Platz aus: „Dat hawen de Junges dahnen; de toben st;ndirlich r;mmer!“
 Worauf ein keckes B;blein mit feuerroten Backen, den Kopf auf die Hand gest;tzt; „Dat l;gst, Stin!  Dat hawen de Marjallen dahnen mit ehre lange R;ck! „ Nachdem ich die Schulstube so viel wie m;glich gel;ftet hatte, ging’s  denn auch an mit einem herzlich bittenden:  „Ach bleib‘ mit deiner Gnade Bei uns, Herr Jesus Christ!“
 Die Geschichte, welche ich den Kindern erz;hlte, geriet so lang, dass mir Tante einen kleinen Boten nachschickte, ich solle sofort kommen, denn der Mittag werde kalt. Ohm  Isbrand sa; schon an seinem Platz und war sehr hochdeutsch angehaucht. Er deklamierte mir beim Eintritt in die Stube vor: „Wer nich k;mmt zur rachten Zeit, der bek;mmt, wat ;werbleibt!“ Ich schaute nach meinem ersten „Prowen“ Gl;ckstrahlend drein. Was wusste Ich nicht alles aus der Schule zu erz;hlen, das dann mit den Quartiersleuten herzlich belacht wurde! Der eigentliche Quell meines Gl;ckes aber war nicht das viele Spa;hafte, was ich erlebt hatte, sondern eine Wahrnehmung, die ich gemacht und f;r mich behielt, wie man einen kostbaren Schatz vor den Augen Unberufener bewahrt. Ich hatte wahrgenommen, dass die Kinder ganz roh und wild waren, keinen Anstand besa;en, keine Ordnung kannten, dass keines von ihnen auch nur einen kurzen Satz richtig deutsch hochdeutsch sprechen k;nnte, von russisch schon gar nicht zu reden; der Gesang war anzuh;ren wie das Quieken kleiner Ferkelchen und Kr;chzen der jungen Raben; keines von ihnen hatte je eine Stadt, eine Eisenbahn oder ein Schiff gesehen; Keines war ;ber die Grenzmarken seines Dorfes hinausgekommen das hatte mir mit einem Male wie durch Zauberkraft meinen zuk;nftigen Lehrplan, wenn auch noch nur in verschwommenen Konturen, vor mein Geistesauge gestellt; und ich dankte dem lieben Gott herzlich daf;r. Ich schwatzte von meiner Schule wie ein lustiger Spatz, so dass Ohm Isbrand meinte, wir k;nnten nun auch schon mal was „Vern;nftiges“
 Reden, dieses Geschw;tz sei ihm schon „‘n ohlet!“ Ich schwieg betroffen; die Tante jedoch verwies ihm ernstlich solche Grobheit und schalt ihn, dass er seine K;lber mehr liebe als die Kinder, und den Misthaufen als die Schule. Leider aber ist kein irdisches Gl;ck von Dauer; auch mein gl;ckseliger Zustand wurde noch am selbigen Tag vernichtet. Die unschuldige Ursache davon war meines Kostwirts kleiner Abram, den seine Mutter in meiner Gegenwart fragte: „Na Abram, had de Schollehrer ju uck ‚ ne sch;ne Geschicht vertellt?“ Worauf der Kleine frei von der Leber behauptete: „Dat w;r nuscht nich gewesen; em had blot heschlepert darbi!“
 Auf dieses aufrichtige Zeugnis hin holte der Vater den Spannriemen hervor und zog den Buben einige Gesalzene ;ber die d;nnen Hosen, warf ihn zur T;r hinaus mit den b;sen Worten: „Dar gah, du Nichtsnutz ‚ck war die lehren wiederhen ;ppassen, wat Schollehrer Geschichten vertellt!“ Ich empfand jeden Hieb, den das B;blein bekam, doppelt; sein aufrichtiges Zeugnis aber tat mir sehr weh, schaut‘ es mich doch auch im ;brigen so gelangweilt an. Und ich hatte mich so hinrei;en lassen von meinem ersten Versuch, zu unterrichten; besonders flink war mir die Geschichte von den Lippen geflossen und  nun dieses vernichtende Urteil! Ich ging in den Garten, wenn  man eine Maulbeerhecke, etwas Kirschengestr;pp nebst einigen Aprikosenb;umen so nennen darf, um mit meinen Gedanken und mit meinem neuen Kummer allein zu sein. Hier gr;belte ich mich wieder soweit hinein, als ich vorhin gesteckt hatte. Das B;blein hatte mir mit seinen strampelnden Beichten das Tor zu dem eigentlichen Arbeitsfeld der Schule einen Spalt breit aufgesto;en, nicht weit und doch weit genug, um mir zu zeigen, wie weit’s noch dahinterliege, d. h. dass es viel Verstand und Kunst heische, Lehrer zu sein. Mein ganzer Heldenmut war wieder dahin. Wieder das unertr;gliche Gef;hl der Rat und Hilflosigkeit. Die Stimme im Innern mahnte mich immer dringender, die H;nde davon zu lassen und mein ganzes ich str;ubte sich gegen diesen Gedanken, schien mir doch das Lehreramt so hoch und wert und so begehrlich. Tage und Wochen verschwanden, nur mein Tr;bsinn nicht. Darin, was „f;rn Bur taulangt,“
  Kamen wir vorw;rts, im Bibellesen ging’s durch dick und d;nn, auch aus dem Katechismus gab ich redlich auf. Dazu Gesangbuchlieder lernten wir ohne Ma; und Zahl. Ich f;hrte auch eine stramme Zucht ein, und der Gesang gestaltete sich etwas eint;niger und sanfter als vorhin. Aber meine Wahrnehmung vom ersten Schultag vermochte ich nur in sehr kleinen bescheidenen Teilen in den Handel zu bringen. Was konnte mir auch Ankn;pfungspunkte geben?  Wie konnte ich an der Hand der Bibel von Eisenbahnen, von L;ndern und Leuten, wie nach dem Katechismus sprechen lehren? Mein Missmut und mein Widerwille teilten sich selbstverst;ndlich auch den Kindern mit. Vom Schelten kam’s zum Drohen, vom Drohen zum Schlagen, was dann auch Eigensinn, Trotz, Tr;gheit du B;swilligkeit in deinem nat;rlichen Gefolge hatte. Die ganze Geschichte war mir endlich verleidet. Ich f;hlte, dass ich kein Lehrer sei, mit Abschluss des Jahres davongehen m;sse wollte aber gerne einer werden. Ich a; und trank schlecht, und meine Wangen wurden t;glich bleicher. Meine m;tterliche Freundin k;mmerte sich sehr um mich. Sie meinte ernstlich, das ablehnende Verhalten der Nachbarn mir gegen;ber die die Ursache meines Kummers. Und ich sah die, die bisher kaum je aus dem Hause gekommen, nun flei;ig Besuche machen. Zur;ckgekehrt, erz;hlte sie mir dann, was der und die im Darf „all man“ Von mir gesagt h;tte, und das war nur Gutes, und mir d;ucht‘. An den Haaren heraus und herbei gezerrtes Lob zu meinem Trost. Die gute Tante! Von einer Spazierfahrt nach T. zur;ckgekehrt, erz;hlte sie mir, dass sie erfahren habe, s;mtliche mennonitische Lehrer der Umgebung werden sich am k;nftigen Sonnabend in K. versammeln, ob ich nicht auch hin wolle. Das war der letzte Liebesdienst, den sie mir erwies. Bald darauf legte sie sich aufs Krankenlager, und nach einigen Wochen ging sie heim. Mir kam’s nachher so ;de vor im Hause, und doch war ich ganz aufgelebt seit jener ersten Konferenz, die ich mitmachte. Wohl waren unter den drei;ig M;nnern und Knaben, die sich in K. Versammelt hatten, nur ganz wenige, vielleicht 2-3  die etwas vom Unterrichten verstanden, aber es wurde viel dar;ber gesprochen, wie die einzelnen F;cher am zweckm;;igsten zu behandeln w;ren. Auch wurden von diesen Lehrern mit p;dagogischer Vorbereitung einige Lehrproben gegeben und dieselben nachher kritisiert. Was ich sah und h;rte, verschlang ich mit wahrem Hei;hunger. Ja, das war’s! Das fehlte mir! Nun ging’s zu Hause an eine Reorganisation, die alles, was war, ;ber den Haufen zu werfen drohte. Ein gro;er abgeschriebener Stundeplan wurde an die Wand geh;ngt. Sogar das Wort „“Anschauungsunterricht“  Prangte darauf, obzwar ich mir noch nicht recht klar dar;ber war, was es eigentlich bedeute. Die  biblische Geschichte verdr;ngte das Bibellesen an den Wochenschlu;. Handreichungen wurden studiert, Lehrproben auswendig gelernt, Leseb;cher sowohl russische als auch deutsche wurden eingef;hrt und ein neues gepfl;gt, ob geschickt oder ungeschickt: ich hatte mein Vergn;gen daran und die Kinder nicht minder. Die Alten sch;ttelten die K;pfe, sagten aber nichts dazu , weil um diese Zeit die Geschichte mit dem Urjadnik, von der ich im vorigen Kapitel erz;hlte, passiert war, und sie eine ungeheure Meinung von mir bekommen hatten; und was ein Mennonit erst mal Meint, das wei; er in der Regel gewiss, und davon ist er nicht allemal leicht abzukriegen. G;be Gott. Dass solches ;fter noch zum Heil unserer Dorfschulen gesch;he! Ohm Isbrand, der sich einmal doch ;berreden lie;, mit in die Schule zu kommen, hat fast besten wollen vor Lachen, als er das Lautieren der Kleinen h;rte. Wir aber ging’s wohl bis an den Schluss des Schuljahres, hatte mich auch ;ber nichts zu beklagen.
IV
Truppenrevue und Reversalien.
Der M;rz war noch nicht abgelaufen, als meine Schularbeit einen j;hen Abbruch erlitt. Die Nachbarn hatten auf „Schulzenbott“
 Beschlossen, die Schule f;r die Sommerferien zu schlie;en, will die Schulkinder bei den Fr;hlings arbeiten in Feld und Hof mithelfen sollten. Zwar habe man in den anderen D;rfern noch nicht „ aufgeh;rt mit lernen“, aber eines m;sse sowieso einmal den Anfang machen, und der Schullehrer „soll nahsten Donnerstag Pr;fung holen. “Das war nun vom Dorfsamt leichter zu befehlen, als vom Lehrer in Ausf;hrung zu bringen; hie;e es doch, in f;nf Tagen fertig zu sein. Auf meine Einw;rfe sagte der Schulze streng: „Wat ju bitt vodag nich lehrt hawen, dat lehr ju all nich! Donnerdag is Pr;fung, de Schultenzaddel es all rundscheckt!“
  Und Donnerstag war Pr;fung meine erste Pr;fung. Sie fiel sehr gut aus, In den Gesichtern der V;ter und M;tter, welche nach alter l;blicher Sitte vollz;hlig erschienen waren, um zu sehen und zu h;ren, was der Lehrer gelehrt, und die Kinder gelernt h;tten in all den ehrbaren Gesichtern spiegelte sich unverhohlene Freude ab, schon als ich die biblischen Geschichten, Spr;che und Liederverse abfragte; als aber eines nach dem anderen seinen russischen Abschnitt hin schnurrte und dann auf hochdeutsch wiedergab, was es gelesen, schmunzele mancher Zuh;rer vergn;glich; sie nickten einander zu oder  fl;sterten heimlich. Auch einige Lehrer aus der Nachbarschaft waren zur Pr;fung gekommen. Einer von ihnen sagte mir ins Ohr, die Schule sei nun nicht mehr wiederzuerkennen, wie ich das nur zuwege gebracht h;tte in der kurzen Zeit? Ich erntete an diesem Tage viel Lob wohl mehr, als an all den darauffolgenden 24 Schulpr;fungen, welche ich seither abgehalten, zusammengenommen und mir schwoll der Kamm gewaltig. Wer die vorigen Kapitel aufmerksam gelesen, wird mir auch glauben, wenn ich behaupte, dass nicht Stolz noch Eitelkeit meine Brust erf;llte, sondern Freude, Freude. Nur ein Fehler wurde mir ger;gt, ich hatte ganz vergessen, die Kleinen zu fragen. Das St;blein war auch zu gedr;ngt voll, wie h;tt‘ ich alle ;bersehen k;nnen! Eine Mutter aber sagte mit schelmischem L;cheln, sie habe die Anf;nger verh;rt, sie k;nnten sehr gut, „blo; de ene kann nuscht; de ward uck sindag wat lehren: dat’s von de Hartk;pfige Gort! Ehr Mutta huckt der Jahr in de Fibel und kann vondag den dach nich ehren Namen schriewen.“ Die betreffende Mutter aber stand daneben, h;rte das Urteil schweigend an und warf dann ihre gro;en tiefblauen Augen, deren Lider mit den ungew;hnlich langen Wimpern sich immer etwas schwerf;llig hoben und senkten, fragend auf mich. Arme Mutter! Der Lehrer deines Kindes wusste der keinen Trost zu sagen; die Wahrheit war ihm dazumal, und besonders an jenem Tag. Selbst verborgen, die Wahrheit, die wohl gesprochen h;tte: „W;rest du und dazu dein Tinele in geschicktere H;nde geraten, so h;ttet ihr gewiss noch etwas gelernt!“
Meine Arbeit war getan; der Lorbeerkranz sa; recht feste um meine jugendliche Stirn. Nun zog mich gewaltig Heim. Das junge Herz war voll und verlangte st;rmisch nach den Lieben daheim, den Geschwistern, Schulkameraden und nach Nachbars schmuckem T;chterlein, um ihnen mitzuteilen, was ich erlebt und erstrebt, gefunden und empfunden, und wie mir in der Krim ergangen.  Meine Sachen waren bald gepackt. Der Schulze hatte mir gesagt,  ich k;nne im Herbst wiederkommen, wenn ich um denselben Lohn hoch weiter dienen wolle. Er selbst h;tte ja nichts da wider, mir etwas zuzulegen, aber bei den Nachbarn werde es wohl hart halten, denn vielen sei der diesj;hrige Lohn schon zu hoch vorgekommen. Er k;nnte ja auch noch mal die Nachbarn zusammenrufen, aber die h;tten’s so „drock!“
 Und dat rannt je nich wach! Ich machte meinen Abschied. Eigent;mlich benahm sich das kleine Abramchen; es hatte auf einmal viel laut zu reden und zu spa;en, w;hrend ihm die Tr;nen immer wieder in die Augen schossen, und als ich mich von ihm verbschieden wollte, war es pl;tzlich verschwunden. Wahrscheinlich hat es dem Schullehrer keinen Kuss geben wollen. Und wenn der Schlingel dieses lesen sollte, so soll er wissen, dass er seinen Kuss noch kriegt von mir, wenn nicht in diesem Leben, dann sicher dort oben, wo hoffentlich der Mann nicht danach taxiert wird, inwieweit er’s  versteht, seine Liebe zu verbergen und seine guten Gef;hle zu bemeistern. An einem stillen M;rzmorgen, lange vor Sonnenaufgang, als der Morgenstern noch leichtete,  zog ich mit meinen wenigen Habseligkeiten aus I., einen langen Blick auf mein Schulh;uslein werfend, in jeden hof sp;hend, ob nicht schon jemand erwacht sei.. ich bin nicht mehr dahin gekommen und habe auch nie etwas von jenem D;rflein und seinen Einwohnern geh;rt. Vor zwei langen Jahren war ich hergekommen; jetzt ging’s heimw;rts und mit  sage 65 Rubel Silber in der Tasche. Das war Gl;ck und Reichtum! Ich l;chelte ;ber den alten Kollegen Wulfs Behauptung, es k;me beim Schulmeistern nichts heraus. Langsam nur bewegte sich unser Gef;hrt durch die unabsehbaren Steppen. Kein Ton schlug an unser Ohr; kein Wald, kein B;chlein erfreute unseren Blick. Nur wer allein waren zu sehen und zu h;ren, denn der neue Kastenwagen meines Fuhrmanns klapperte und klang, dass es weithin Muss zu h;ren gewesen sein. Hin und wieder auch niesten die Pferde, wenn ihnen der durch ihre Huse aufgewirbelte Staub in die N;stern drang. „H;, Schack! H; Fo;! “
 Ermunterte in regelm;;igen Zeitabschnitten der Fuhrmann seine saumseligen K;;lein, die mit tief gesenkten K;pfen auf die endlose Geduld du Piet;t ihres Herrn bauend, an den langen Haalssielen und der best;ndig auf der Deichsel h;ngenden Leine dahin schlackerten. Ich sa; zur Rechten meines Fuhrmanns auf der Sitzleiter um keinen Preis h;tte er als echter Mennonit und Fuhrmann den rechen Platz eigenommen, ebenso wenig als vor dem Traualtar  mit seiner Erkorenen: er zog seine 6 Pud, ich deren kaum vier und so befand ich mich best;ndig buchst;blich auf absch;ssiger Bahn. Ich sa; zusammengekauert da, nur drauf bedacht, dass ich meinem Nachbarn nicht auf den Scho; rutschen mochte, was dieser ;brigens nicht ;belgenommen h;tte. Ich tr;umte von der j;ngsten und vorj;ngsten Vergangenheit meines kurzen Lebens. Wie  spa;ig kam mir nun meine Herreise vor! Da hatte mir die ;konomische Stiefmutter eine Fahrgelegenheit bis zur n;chsten Station verschafft, mir 3 Rubel und ein halbes Wei;brot in die Hand gedr;ckt, um die Fahrkarte auf der Eisenbahn zu l;sen und meinen etwaigen Hunger zu stillen.  Die Fahrkarte kostete 2 Rubel 99kopeken den Rest von 1 Kop. Hatte ich sp;ter erbost derchs Waggonfenster geworfen, das St;cklein Brot aber schon auf der Fahrt bis zur Station fast ganz verzehrt. Gegenw;rtig war ich so reich, satt und froh, als ich damals vor zwei Jahren arm, hungrig und b;se gewesen war…. Nachdem der Eisenbahnzug die Endstation  erreicht, war ich ausgestiegen, um nach der zu Hause mit so gro;er Bestimmtheit vorausgesehenen Fahrgelegenheit auszuschauen. Es war eine stockfinster Nacht, also keine Fahrgelegenheit. Ich schlich entt;uscht in den Wartesaal zur;ck.. „Nu sen’n wie upup Skyrmoutsland, “sagte mein Fuhrmann, und zeigte mit dem Peitschenstiel auf die ;konomie, welche in der Ferne rechts vom Wege sichtbar wurde, „dem had de Kaiser dat heiraten. verbaden“
 „Warum dat?“ fragte ich neugierig. „Wiel dat hei im Krimkrieg mit de Turken Spetzboweri gesrewen had! Hei kann sick dar dotwahnen, awer junge Skyrmouts gewt dat nich mehr in Ru;land; dat hawt de Kaiser em Verhindert.  Hei had em leiwerst sullt uph;ngen laten! Kick man blo;, wo hei sin Land verschwint, de Onnosel!“ Schlich entt;uscht in den Wartesaal zur;ck. Derselbe aber hatte sich unterdessen mit zugereisten Arbeitern gef;llt, deren Fl;che, schmutzige Reden und gemeines Betragen mich ;ngstigten. Ich ging wieder hinaus. Einige hundert Schritte vom Stationsgeb;ude entfernt leuchteten mir aus der T;r eines H;usleins Licht entgegen. Ich blieb stehen vor der T;r und blickte unschl;ssig auf das junge Ehepaar, das dort vor der zischenden Teemaschine sa; und ungemein z;rtlich zueinander tat. Endlich wagte ich’s  trat ein, gr;;te und fragte sch;chtern, ob sie nicht etwa vor Abend Deutsche auf der Station gesehen h;tten. Deutsche seien T;glich da, sagte das freundliche Frauchen, ich solle mich nur bei Tisch setzen, ein Glas Tee trinken und einen Bublik essen, falls ich hungrig sei, auch d;rfe ich da auf der Bank n;chtigen. Ach, wie habe ich mich da gelabt und erquickt!
Ihr lieben, ihr guten Russen! Gott Lohns euch! Ja, vor zwei Jahren.   „Nu sen’n wi upup Lustigsland; h;, Schack! H;, Fo;! “ Bold kam ju an de Krebb, schlackeert man noch’n  b;ten tau!
W;hrend mein Fuhrmann vor der Schenke anhielt, um zu f;ttern und zu rasten, ging ich auf den holprigen Wegen des Tatarenauls auf und ab und spann den Faden meiner R;ckerinnerung weiter: Auch an diese Schenke, aus deren ge;ffneter T;r ein ekelerregender Fuseldunst str;mte, kn;pfte sich meine Erinnerung, ja sogar doppelt. Nachdem ich anderen Tags von jenen freundlichen Russen satt und dankbaren Herzens geschieden war, fand ich auch eine deutsche Gelegenheit, aber nicht nach T., dem Ort meiner Bestimmung, sondern nach K., 15 Werst von der St. Kurman Kemeltschi in einer zu T. entgegengesetzten Richtung. Die „sichere Fahrgelegenheit “ kam erst nach mehreren Wochen und dann noch in Gestalt einiger Ziegelfuhren. Die Fuhrleute waren mennonitische J;nglinge. Es waren aber schlechte Mennoniten, so roh und flegelhaft und unanst;ndig wie jene russischen Arbeiter dort im Wartesaal auf Kurman Kemeltschi. Schon ehe wir noch in dieses Dorf eingefahren waren, hatten die sich johlend zugerufen, sie w;rden wohl m;ssen hier „ent hewen“. Das haben sie dann auch wirklich getan, aber eine ;ber den Durst gehoben, an deren Folgen ich viel zu leiden hatte w;hrend jener Fahrt. Ein andermal es war etwa 4  -5 Monate sp;ter, kam ich wieder dieses Weges daher, und zwar als Hausierer. Von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, von ;konomie zu ;konomie war ich mit meiner alten verlegenen Ware gezogen, um sie loszuschlagen. Auf dem R;ckweg nun lie; ich den Fuhrmann in derselben Schenke f;ttern. Der Kutscher bat mich um einiges Geld, um sich Brot f;r  den Hunger zu kaufen, und kaufte sich Branntwein f;r das Geld. Dann fuhren wir in die dunkle Nacht hinaus; es war f;rchterlich schmutzig; ich hoffte aber bis zum Morgen zu Hause zu sein. Die Folgen des ;berreichlich genossenen Branntweins machten sich beim Fuhrmann schon bald bemerkbar: jetzt fiel die Leine herunter, dann die Peitsche und die M;tze. Ich hob ihm alles geduldig auf und fing ein Gespr;ch mit ihm an, um ihn zu ermuntern, vergebens! Endlich lie; er  alles fallen und lehnte sich schlaftrunken in den Sitz zur;ck. Ich gab ihm die Leine in die Hand und fuhr ihn streng an, er solle fahren. Als das nichts half, Riss ich ihn bei den Haaren. Darauf zog er mit einem grimmigen Fluch das Messer aus der Tasche, um mir den Hals abzuschneiden. Entsetzt sprang ich aus dem Wagen; er setzte mir nach. Wo hatte er nur pl;tzlich seine Kraft wieder her? Wir rasten einige Male um das Fuhrwerk. Dann lie; er von mir ab, kletterte mit M;he in den Wagen zur;ck und war in der n;chsten Sekunde fest eingeschlafen. Ich aber stand kotbespritzt am hintern Wagenrad und blickte ratlos mit tr;nenfeuchten Augen nach oben, wo durch zerrissene Wolken von Zeit zu Zeit der schmale Silberstreifen des zunehmenden Mondes hernieder lugte. Ich empfand eine unaussprechliche Sehnsucht nach meinem j;ngst verstorbenen Vater und w;nschte, er m;chte mir wieder einmal nur, wie er’s fr;her so oft getan,  die Worte zurufen: „Min Jung!“ Was sollte ich nun anfangen? Stockfinstere Nacht, fast grundloser Schmutz, der Weg sogar die Richtung, wohin zu fahren, war mir unbekannt, und mein Kutscher lag total betrunken im Wagen. Wahrlich genug Gelegenheit f;r einen sechzehnj;hrigen Knaben, selbst;ndig zu werden. Ich entfernte nun mit dem Peitschenstiel so viel wie m;glich den Kot aus den v;llig verschmierten Wagenr;dern, nahm Leine und Peitsche und setzte die m;den S;ule in Bewegung, es ihnen selbst ;berlassend, Richtung und Ziel zu w;hlen. Am anderen Tage gegen Mittag kamen wir erst zu  Hause an, und ich bekam einen t;chtigen R;ffel, dass die Pferde so auf „den Hund“
 Gefahren waren; obzwar ich versicherte, dass wir nur im Schritt gefahren und oft gefuttert h;tten. Da stieg mir das Blut siedend hei;  in den Kopf und erkl;rte meinem Prinzipal, ich werde nun nicht mehr hausieren fahren, denn ich h;tte mich bei ihm nicht als B;ndeljuden vermietet, wor;ber dann der Herr sehr aufgebracht war und sich wunderte, wie mein frommer, seliger Vater zu so einem trotzigen und ungehorsamen Sohn gekommen sei!  ;brigens m;ge ich ja gehen, wenn auch heute schon; er werde mich nicht halten Dann war das Dichten ;ber mich gekommen; es hatte mir viel Genugtuung gew;hrt. Ein Gedicht um andere war entstanden, eines schrecklicher als das andere ein ganzes dickes Heft voll. Darin war zu lesen gewesen von
Der Eulen grausig Heulen
und dem Lechzen gier’ger Hexen
Und vom Dornenpfade wallen,
wutentbrannt die F;uste ballen!
Dann aber hatte auch der Zorn der Wehmut das Feld r;umen m;ssen:
Niemand achtete sein Streben,
Niemand zeigte ihm die Bahn.
Jeder eilt, gut Rat zu geben:
„Bleib nur h;bsch dort untenan!“
Fand den armen Waisenknaben
M;de gehen durchs dunkle Tal.
Seine Hoffnung ist begraben,
W;nscht den Tod selbst tausendmal!
Nachtr;glich hatte ich angefangen, meine Gedichte zu korrigieren und solange und so unbarmherzig daran herum korrigiert, bis endlich nur noch der Deckel von dem ganzen Heft geblieben war.

V
Die Feuertaufe.

Endlich lag das weite sch;ne Molotschna Tal wieder da vor meinen Augen. Ich h;tte aufjubeln m;gen vor Duft, als ich den sogenannten Prischiber Berg hinunterfuhr. Ach, warum l;uteten denn gerade heute die Glocken der lutherischen Kirche nicht; ich habe dieses Gel;ut von Kindesbeinen an immer so gern gehabt! Es t;nt so feierlich den Berg hinunter und breitet sich in m;chtigen Wellen unten im Tale aus und w;hnt die Christenleute, doch ja ;ber all dem Arbeiten das Beten nicht zu vergessen. Daheim nun gab’s der Entt;uschungen viele. Und mancher h;tte sich vielleicht damals etwas zusammengenommen, es vielleicht auch zu einem anst;ndigen „Willkommen daheim! gebracht, wenn er‘s geahnt h;tte, dass ich den Empfang nicht blo; in mein liebebed;rftiges Waisenherz, sondern auch auf Papier schreiben werde. Anf;nglich wollt ich‘s schier nicht glauben, dass trotz meiner langen Abwesenheit das Leben in H. so ruhig und ungest;rt dahinfloss: die Zentraler rissen ihre Witze so gut wie fr;her; die b;cherbepackten kleinen Kerlchen aus der Musterschule erf;llten wie ehedem die engen Gassen h,s mit ihrem fr;hlichen Lachen und Plaudern; selbst Nachbars Nero, mein guter Freund von alters her, schien mich zwar noch zu kennen, aber nahm keine besondere Notiz von mir. Ach, ;ber des kleinlichen Egoisten Knaben haften Egoismus!  Nur hie und da gratulierte einer der ;lteren dem  „sammetbebr;mten Volksaufkl;rer“, wie der Herr Schulratspr;sident mich mit einem vielsagenden L;cheln tituliert hatte; w;hrend sein Stellvertreter, an den ich mich um eine kleinere vakante Schule gewandt hatte  mir unumwunden erkl;rte, der Schulrat sei darauf bedacht, solche Lehrer, d. H. wie ich, g;nzlich „auszumerzen“
. Ich schied mit wehem Herzen von dem harten Mann. Seine Drohung aber hat er nicht in Ausf;hrung bringen k;nnen, denn er ist nachtr;glich von der Schulobrigkeit selbst ausgemerzt worden. Meine guten Schulkameraden von fr;her hatten ihren zweij;hrigen p;dagogischen Kursus absolviert und breiteten sich unter Anleitung ihrer Lehrer auf das Lehrerexamen vor, welches sie dann an derselben Anstalt hielten, und nicht wie gegenw;rtig, selbst;ndig (!), um dann in den meisten F;llen an der Stadtschule irgendeines versumpften Nestes im Examen durchzufallen. Die Pr;paranden blickten recht hoch auf mich herab, so dass ich keine Lust versp;rte, mich ihnen zu n;hern. Einer und der andere legten mir verf;ngliche Fragen auf p;dagogischem Gebiet vor und weideten sich dann an meiner Unwissenheit. Wie sollte ich armer Schlucker ;ber Didaktik  und Ethik referieren, da ich noch nie etwas von diesen Wissenschaften geh;rt hatte? Uber an der Stelle, wo man am schw;chsten ist, ist man am leichtesten zu verwunden: sie hatten durch ihr Verhalten bald eine Scheidewand zwischen sich und mir aufgerichtet; und wir sind uns fremd geblieben bis heute. Eine r;hmliche Ausnahme machte der allzeit spa;ige und freundliche Ernst; er z;hlt auch jetzt noch zu meinen besten Freunden! Ihm , dem Theoretiker, und meinem leiblichen Bruder Hans, dem schneidigen Praktiker, verdanke ich viel mehr, als sie wissen und ahnen; nat;rlich will ich das „Viel mehr „
 In Beziehung zu meinem bescheidenen Werdegang gebracht wissen. ;berall abgewiesen und abgesto;en, hatte ich schon wiederholt den festen Entschluss gefasst, wieder Ladendiener zu werden, um m;glichst rasch von H. fortzukommen. Mein Vaterhaus kam mir ohne den Vater so  Freude und liebeleer vor wie das ;brige H. und der Hindernisse, ein rechter Lehrer zu werden, gab’s so viele, dass ich wohl so ziemlich fest davon ;berzeugt war, es k;nne nichts daraus werden. Ernst aber lie; nicht ab von mir. Er sagte mir, dass nicht so viel die spezielle Vorbereitung, als der innere Beruf den Lehrer mach. Auf einsamen G;ngen unter den weiden der Molotschna haben wir vieles miteinander verhandelt. Es ist, als ob’s mir noch jetzt in den Ohren kl;nge, seine vorsichtig schonende Art, wenn er mir etwas erkl;ren wollte: „Wie denkst du dir?  Was h;ltst du von?  oder: Wie w;rdest du handeln, wenn? Ich wei; nicht, wer von uns beiden mehr f;r den Lehrerberuf geschw;rmt hat, aber wei;, dass ich mir ihm gegen;ber so klein vorkam, so dass ich ihn sogar einige Male mit „Sie““ anredete, worauf er dann in ein lautes Gel;chter ausbrach. Auch wei; ich, dass mir in deiner Gegenwart das Scheiden aus der Schule immer unm;glicher schien. Mein Freund riet mir allen Ernstes, auf das Lehrerexamen loszuarbeiten. Bei den nicht allzu gro;en Anforderungen, die das russische Pr;fungsprogramm stelle, werde es mir entschieden gelingen, im Herbst mit Erfolg Examen zu machen, und damit das Recht, eine Schule zu ;bernehmen, zu erwerben. „Dann Freund, “ sagte er, mich mit einem langen freundlichen Blick musternd, „wenn wir  erst das Attestat und eine Schule haben werden, legen wir auch alsbald darauf los, Lehrer zu werden!“
 „Wir?“  wandte ich ein.  „Ja, wir!  Unter uns gesagt: ich gelte f;r den besten Sch;ler der Klasse; man hat mir die beste vakante Schule in H. s n;chster Nachbarschaft anvertraut, wohl in der ;berzeugung, ich werde ein guter Lehrer sein. Und ich, Ich wei; mit dem besten Willen nicht, wie ich die Schularbeit werde anzugreifen haben. Mit den unverstandenen auswendig gelernten methodischen Abhandlungen, welche f;r alle m;glichen, nur nicht f;r unsere deutschen Schulen in Russland, geschrieben sind; mit den wenigen k;mmerlich gegebenen und oberfl;chlich besprochenen Lehrproben; mit der Handvoll von Minken von Lehrern, welche unsere Dorfschulen selbst nicht kennen. So ausger;stet, dazu mit einer ;u;erst mangelhaften und l;ckenhaften Allgemeinbildung, ;bernehme ich f;rs n;chste Jahr eine Schule von 60-70 Kindern mit 7-8 Schuljahren und zwei Sprachen. Das spricht gerade  f;r dich, dass du die Arbeit in der Schule richtig abw;gst. Soweit sind die meisten unserer austretenden Pr;paranden nicht; viele von ihnen d;rften schwerlich gute Lehrer werden.“
 „Ernst, du hast damals furchtbar recht gehabt! Darum erz;hle ich dir nun auch einen Traum und sieh, ob er dich nicht auch noch in etwas erw;rmen wird wie mich; sind doch an uns beiden in B;lde wieder ein paar alte Ableger fertig! Ich nenne ihn:“
 
Der Traum eines alten Dorfschulmeisters.

“Immer fr;hlich, immer fr;hlich! Alle Tage Sonnenschein!“hatte mir meine lustige Sch;lerbande vorgejubelt, trotz der erb;rmlichen Stilarbeit, die sie mir geliefert, und  dem ;beraus mageren „Schwein unter der Eiche“ von Krylow usw. Der Keim aber lag mir in den Ohren desselbigen Tages; trotzdem wenig dahintersteckt: nichts mehr und nichts weniger als kleine Menschen, die sich aus dem Morgen so wenig machen als aus dem Gestern. Und sie singen es, als ob sie sagen wollten: „Es hat keine Gefahr; wir sind in guten H;nden!“ Solche und ;hnliche Gedanken verfolgten mich bis auf mein  Mager und machten mir meine Bedeutung gro; und meine Verantwortung schwer. Darauf tr;umte ich; ;ber unseren Mennoniten D;rfern lagerte ein undurchdringlicher Nebel, w;hrend die Nachbarschaft in undurchdringliche Finsternis geh;llt war. Und die Nebel wogten auf und ab, wie die Meereswellen in der Brandung. W;hrend die Nachbarschaft ein so ruhiges, bewegungsloses Schwarz pr;sentierte. Da h;rt ‘ich ein starkes Brausen aus der Richtung von Chortitza. Die Nebel teilten sich hurtig auseinander, und ich schaute in einen f;rchterlich gro;en nebelfreien Trichter. Am engen Ende desselben aber wimmelte es von  Mauern und Holzarbeitern viele hundert H;nde regten sich gesch;ftig. „Was baut Ihr denn de?“fragte ich einen ;ltlichen Mann mit glattrasiertem Gesicht, der, die Meerschaumpfeife im Mund, den Bau beaufsichtigte. „Ein Lehrerseminar!“versetzte dieser kurz. Ohne seinen Blick zu erheben.  „So gro;? Wie wollt ihr damit fertig werden? “  fragte ich aufs h;chste erregt. „Entweder was Ordentliches oder nichts!“ antwortete der Alte, „dann kann’s uns nicht fehlen!““ H;rt, Alter, nehmt ihr auch f;nfzigj;hrige Sch;ler auf?“ schrie ich in den Trichter hinein. Der Alte lachte verschmitzt: „Daraufhin bauen wir ja; und dann kann’s uns nicht fehlen.“Nicht wahr, Ernst? Ein ordentliches mennonitisches Lehrerseminar wer das noch erleben d;rfte!
Sein bester Freund.
Alte Zeiten.
 Im Stadtteil  O,. Gouv. Taurien, lebte vor etlichen zwanzig Jahren als Verk;ufer in einer Mehlhandlung der alte Lehrerinvalide L. Es war so eine Art von Gnadenbrot zweiter Kategorie, das er hier dank dem Mitleid eines reichen Dampfm;llers a;, denn er taugte gar wenig f;r diesen Posten und sprach ein entsetzliches Russisch.  Jedoch hatte er ein weites_ liebewarmes Herz in seiner hohlen Brust; und die Kleinen munteren Augen zeugten von Treue und Biederkeit. L. sprach nach seiner Gewohnheit selten. Wenn aber die Rede auf das Schulgebiet ;berschlug, dann richtete sich sein gekr;mmter R;cken ordentlich auf, die ;ugelein ergl;nzen, das ganze Gesiecht  schien nu, nu loszulachen, und der Mund floss ;ber von dem, das da drinnen in der Herzenskammer noch aufgespeichert lag aus der goldenen Zeit der drei Dezennien, da er noch hatte d;rfen seinem Berufe leben. Mir trug der Alte ein ganz besonderes Wohlwollen entgegen. Ich war damals ein blutjunges Lehrerchen, dazu ein Streber vom reinsten Wasser, und Hauptsache:  seines besten Freundes Sohn. Letzeres habe ich auch sonst oft h;ren d;rfen und habe es immer f;r ein hohes Gl;ck geachtet.  Ich wollte auch dazumal schon viel lieber der Sohn eines besten Freundes als der Sohn eines Generals sein: denn das Gold alter Liebe ist edler als solches, dem Liebe nachgraben und stehlen. Ja, Ohm Bernd war sein bester Freund gewesen: und das wollte viel sagen, hatte der gute, treuherzige Alte doch gewiss keinen wenigstens keinen nennenswerten  Feind auf den  Erdenrund. Sie waren seinerzeit Klassengenossen in der Zentralschule zu L. gewesen und hatten zusammen manchen „ Sturm und Bogendrang“ erlebt. Da sitzt Z, B, der Bernd im Klassenfenster, um eines die Stra;e entlang zu schauen, w;hrend der Jakob mit anderen hartk;pfigen Kameraden hinter dem Schultisch die gr;ulichen Vokabeln studiert.  „Jungen“,
 Wendet sich Bernd pl;tzlich an die Mitsch;ler, „heute Mittag werden wir, Lehrers Kostg;nger, alle brummen.“  „Woraus schlie;t du das?“ „Der Lehrer kauft Fisch auf der Stra;e und in solcher Auflage, dass man rufen m;chte: Was ist das unter so viele?“ Und richtig, noch bevor die letzte Vormittagsstunde abgelaufen war, hatte ein jeglicher sein Urteil „ohne Mittag“ vernommen.  Auch auf der Folterbank hatten beide wiederholt  gelegen. Damit hatte es nun folgende Bewandtnis gehabt,, Der Str;fling Sch;ler m;sste sich ;ber eine Bank strecken, welche mitten in der Stube des Lehrers stand, worauf dann der liebe Lehrer, in der linken Hand die dampfende Tabakspfeife, in der rechten den ledernen „Tatter“  in gemessenen Schritten auf und ab ging und dem angehenden P;dagogen jedes Mal beim Vor;bergehen aus Leibeskr;ften eine ;berschnitt. Sp;ter, nach Beendigung der Alma Mater, war der weit begabtere H. Dorfslehrer geworden. L. hingehen hatte sich in Ermangelung eines Besseren als Weinschenk in einem Keller zu Tokmak vermietet. „Nat;rlich“, erz;hlte L., „war ich mit meinen Los nichts weniger als zufrieden. Ich w;re lieber heute als morgen davongegangen, aber wohin? Mein Leben im Keller kam mir so trostlos vor und wurde mir endlich unertr;glich, aber wohin? Als Lehrer begehrt mich niemand, und eine Schreiberstelle im Gebietsamt war nicht vakant. So qu;lte mich diese Frage entsetzlich, und die Sorgen verjagten mir Schlaf und Appetit. Das weinselige Fohlen der w;sten Gesellen, denen ich gezwungen war aufzuwarten, widerte mich an, den Fuselgestank, in dem ich t;glich sp;t in den Abend, bisweilen sogar bis an den Morgen atmen musste, kann ich heute noch nicht ertragen. Fort musste ich von hier, das Standfest, aber die dunkle, aussichtslose Zukunft und der Gedanke an die bittere Armut meines alten Vaters warfen alle guten in vielen schlaflosen N;chten gefassten Vors;tze immer wieder ;ber den Haufen. Da wurde mir eines Tages unerwartet die Antwort auf meine Fragen gegeben, und zwar von meinem besten Freund, deinem seligen Vater. Er war inzwischen schon Prediger geworden, und sein Ruf war auch zu mir in den Weinkeller gedrungen. Mir ist‘s, als s;he ich ihn jetzt noch ernst und schweigsam die Kellertreppe heruntersteigen, wie er mich ohne ein Wort des Gru;es einige Sekunden lang drohend anblickt und endlich  mir Schien lang, ich verging schier unter seinem Blick , endlich mit ged;mpfter, aber eisigkalter Stimme sagt:“ Jakob, hier kommst rut! Hier is de D;wel!“ Mehr hat er nicht gesagt, mir darauf stumm die Hand gereicht und eh ich  recht zu mir komme, ist er verschwunden. Nun war  mir meine Lage pl;tzlich so klar, ich ging, ging leichten Herzens noch am selbigen Tage, ohne Aussicht auf eine andere bessere Anstellung. Mir war‘s so feierlich zumute, als ginge es zum Herrgott in den Dienst, und erhielt eine Einladung als Lehrer nach U. Zuv;rderst muss man Glauben haben, Lieber, dann kommt der Segen nach und die schwarzen Wolken l;schten sich. Der Alte hielt innen Wischte sich heimlich eine Tr;ne aus dem Aug‘ und fuhr dann, den matten Blick ins Weite gerichtet, fort:“ Ja, er war mein bester Freund. Ob er bei mir, ich bei ihm war die sch;nsten stunden meines Lebens hab ich mit ihm durchlebt. Seine Gegenwart schon war mir anregend, wenn ich mutlos werden wollte in der Schularbeit. Wenn er am fr;hen Nachmittag durchs Tor in den Schulhof trat mit der Absicht, uns in den Nachmittagsstunden zu besuchen, dann streckte er schon von ferne seine H;nde gegen uns aus, und meine B;blein und M;gdlein st;rmten auf ihn ein, dass er sich ihrer nicht erwehren konnte. Jedes Mal kam‘s auch gewiss: Rindlein, mein Lied!“ Und „ Meinen Jesus lass ich nicht, das einzige Lied, welches er einigerma;en richtig singen konnte, ert;nte es sofort im flotten ff. Er liebte den Gesang ungemein und sang auch tapfer mit, und wer ihn aus der Ferne im Gemeindegefang beobachtete, musste glauben, er f;hre den Gesang, diejenigen aber, die ganz nahe sa;en, r;ckten bisweilen etwas von ihm ab, damit sie nicht aus der Weise k;men. Auch die Musik liebte er sehr, besonders gefiel ihm, wie er einmal selbst sagte, wenn so“ kort ;m de Eck“ gespielt werde. Jetzt fingt er nach himmlischen Weisen den Text, den er sich dazu auf Erden gedichtet hat!“
II
Gro;e Arbusen.
An einem Abend in September oder vielleicht auch im Oktober sa;en wir, L. und ich,  wieder wie so oft auf der Bank vor der Mehlhandlung und sprachen von gro;en Leuten und von kleinen Leuten dieser Welt. Die Veranlassung dazu hatte uns der Gouverneur gegeben, der am selbigen Tage unser Stadtteil  heimgesucht, unter anderen Anstalten  auch meine  Schule inspiziert, und sich sehr befriedigend ;ber dieselbe ausgesprochen hatte. Unter gew;hnlichen Verh;ltnissen w;re mir diese Ehre wohl nicht widerfahren, aber weil in selbiger Stadt um diese Zeit ein mennonitisches Stadthaupt war, der alte ehrenwerte Herr Janzen, ein Freund der Armen und Gouverneurs besonderer Freund, hatte wohl ein Wort das andere gegeben, und ich bekam hohen Besuch und ein klingend Lob. Und was das einem kaum zwanzig Jahre alten Lehrer sagt, stelle man sich vor! Was Wunder, wenn ich scharf bis an den oberen Rand voll Begeisterung war, und manch Funkeln spr;hte auf mein eigenes Konto ab. L. h;rte mich geduldig, freundlich l;chelnd an; nur seine ;ugelein blinzelten hie und da etwas schneller als sonst. Nach dem ich weder vom Herrn Gouverneur und seinem Begleiter, dem F;rsten Trubezkoj, noch vom mir und meiner Arbeit mehr was zu sagen wusste, hob er langsam und bed;chtig an: Es gibt eine Gr;;e, die nicht mit der Arschin, auch nicht nach Geburt und Stand bemessen werden kann. Eine solche Gr;;e kannte ich, es war dein seliger Vater, mein bester Freund. Er war ein Mann von Mut und einer inneren Kraft, welcher kaum jemand widerstehen konnte, dazu voll Demut und Gehorsam. Nicht nur ;ber seine gro;artigen Rednergaben haben wir Zeitgenossen uns gewundert, sondern auch, und noch vielmehr, ;ber seine Seelsorge. Ein scheinbar nur so hingeworfenes Wort ersch;tterte den Gelassenen, vernichtete den Sp;tter, richtete auf und zermalmte und brachte bisweilen ein ganzes Kirchspiel in G;rung. Auch in seinen inneren K;mpfen war er Gro;. Auf einem Heimgang aus der Kirche f;llt mal einem Begleiter ein, zu bemerken, er habe heute gewaltig gepredigt; worauf er fast traurig erwidert, das habe ihm der Satan auch schon gesagt. Es hat viele K;mpfe bei ihm gesetzt. So  h;lt man ihn allgemein f;r einen weichen „nur allzu weichen“, liebevollen Mann. Ich wei; es besser: er war von Natur hart, heftig und aufbrausend. Gro; ist, wer sich selbst beherrschen kann; gro; ist, wer stets klein in seinen eigenen Augen bleibt. Gro;e Leute gibt`s viel seltener, als man glaubt, viel seltener  z. B. als gro;e hier unterbrach ihn eine Runde. „seltener als gro;e Arbusen, “ schloss er  seine Rede. „Sieh mal diese da!“ er hob eine unter der Bank hervor-, „ein Prachtexemplar! Hoffentlich entspricht ihr Inneres dem ;u;eren, was bei den Gro;en dieser Welt nicht immer zutrifft.“Richtig, kaum hatte er sein Messer in die Arbuse gesteckt, so riss sie von oben bis unten. „hier iss“, sagte der Alte Schmunzelnd und reichte mir und seinem Runden je einen derben Schnitt von der ge;ffneten Frucht, „i;, das war die Lieblingsfrucht deines Vaters; er wusste auch, was schmeckte!“ Ich erz;hlte nun, dass der Vater einst gesagt habe,  Mutter Eva werde wohl heimlich einige Arbusen Kerne mit  aus  dem Paradiese geschmuggelt haben denn keine andere Frucht k;me dieser gleich. Eine  Arbusen Geschichte wei; ich auch noch von Ohm Bernd, sagte darauf L., doch muss ich jetzt etwas ins Gesch;ft; wenn du bleibst. erz;hle ich sie dir sp;ter.“ Der Alte humpelte davon, und ich sann dar;ber nach, wies noch m;glich sei, so treue Freunde zu gewinnen. Hatte er mir doch noch nie ein Sterbensworten, nun sagen wir von seiner eigenen Familie erz;hlt, die ihm jedenfalls n;her gestanden als andere Menschen und auch als mein Vater selig…. Woher diese seltene Freundschaft? Dieses Gemisch von Dankbarkeit, Hochachtung und Liebe, das auch weit ;bers Grab hinaus reichend noch so fest und lebendig ist? Es hat bei Ohm Bernd wohl nicht nur K;mpfe gesetzt, sondern auch Opfer, wei; Gott! Schwere Opfer gekostet, um seinem Volk das zu werden, was er geworden ist! Ich z;hlte in Gedanken die Arbusen Kerne, welche ich aus der Scheibe gel;st; es waren 30 schwarze und 7 verk;mmerte, das macht 37; soviel Rubel hatte ich…Pst! Wie gerne h;tte ich den Mann mal wieder gesehen und gesprochen, den ich als Kind Vater genannt! Vor den Bildern, die mir sein Freund von ihm gemalt, kam ich mir so kleinlich und voller Egoismus vor. Bald auch kehrte K. zur;ck, schnitt sich ebenfalls eine saftige Scheibe von der k;stlichen Arbuse ab, a; und erz;hlte die versprochene Arbusengeschichte: „W;hrend eines Mittagsschl;fchens macht sich in Ohm Bernd ein absonderlicher Hunger versp;rbar; absonderlich, weil ihm nach Arbusen aus G. Hungert. Sofort steht er auf und geht schnurstracks ins Nachbardorf nach G. Ohne lange zu w;hlen und zu zaudern, tritt er in einem Hause ein und legt der erstaunten Hausfrau sein Begehren vor. Selig sind die Sanftm;tigen, denn sie sollen das Erdreich besitzen, d. h. ;berall wie zu Hause sein. Er wurde aufs freundlichste aufgenommen und bewirtet. W;hrend des Essens denkt er dar;ber nach, ob etwa der Herr etwas vorhabe und was?  Da h;rt er pl;tzlich aus der dunklen gro;en Stube eine heisere, schwache Stimme; Wat wel de Prediger  eigentlich hier? Das war’s! Der Prediger macht sich auch alsbald hinzu, und die harte rinde um das arme Herz des kranken, selbstgerechten M;tterleins bricht, und  damit ich’s kurz sage in einem kleinen St;ndlein ging’s in Frieden heim. Gott verleih ihm eine selige Auferstehung und ein frohes Wiedersehen mit dem Prediger beiden Arbusen auf der „Vorstand“ im Paradies! Dort werden die Ersten die Letzten sein! Und wer nicht umkehrt und wird wie ein Kind, kann nicht in das Himmelreich eingehen! Dieser unbedingte Gehorsam, dieses zarte Herausf;hlen des heiligen Gotteswillens, dieses best;ndige in  F;hlung stehen mit seinem oberen Kommandanten macht mir Ohm Bernd gro;; und einen besseren Freund hatte ich nie!“

Treuherz.
I
Sein Aufgang.
 Wenn Jakob ein Listiger  bedeutet, so hat wohl kaum jemand seinen Namen so wenig mit Recht getragen als Jakob Heide; denn er war kein Listiger und auch durchaus kein Heide, der kleine, runde junge mit seinen vollen roten Backen und der aufgest;lpten Nase. Und wenn seine Mutter, die schon wenige Monate nach der Geburt des Sohnes das Zeitliche gesegnet, ihres Jasch Natur gekannt, h;tt sie ihn lieber Treuherz genannt. Vater Heide war ein ehrsamer Grobschmied, der sich nichts nehmen lie;, aber jedem das Seine gab. Viele Sch;tze hatte er nun nicht gesammelt, doch was er mit Flei; zusammengeschmiedet, hielt er zu Rat; und sein Anwesen in der Anwohnerreihe neben des reichen Wiensens Holl;nder fesselte jedermanns Blick, der vor;ber fuhr. In der Schmiede ging‘s auch allzeit  lustig her, und das Eisen verwandelte sich zusehends in blankes Gold, und das Gold in das liebe t;gliche Brot, wozu man recht gut jedweden ehrlich erworbenen Wohlstand z;hlen darf. Enes Tages sa;en die beiden Nachbarn, Wiens und Heide, friedlich zusammen unter dem alten weit ver;stelten Kruschken baum vor Heiden Wohnhaus. Sie sprachen davon, wie verschieden doch die Menschen durch die Welt k;men, und wie‘s vielen nun mal nicht gel;nge, vorw;rts zu kommen trotz Flei; und Sparsamkeit. Der M;ller meinte, es k;me wohl nur auf Gottes Segen drauf an, aber mancher k;nne auch das Reichsein nicht vertragen und sei flei;ig und gef;gig, nur weil die Notwendigkeit ihm dazu zw;nge.  Der Grobschmied aber erwiderte darauf, ein schlaffer Mensch, der nichts will und keine Courage hat, bringe es nie zu etwas in der Welt, und was er ererbt, das zerrinne ihm unter den Fingern, „Traue auf Gott und sieh selbst zu!“ sagt sehr richtig  ein russisches Sprichwort. Sieh mal unsere Nachbarn im Dorf!  „ Schwielen in den H;nden, macht die Armut wenden!“   „‘n Schlag ..‘n Kopek!“ Der M;ller betrachtete l;chelnd seine weichen H;nde. „Je nun, “ sagte er dann, „ mit Flei; und Achtsamkeit ist’s auch noch nicht immer getan; man muss auch Kredit haben. Seit ich z. B. anfing, mit fremdem Geld zu arbeiten,  ging‘s bei mir bergan! Ich denke, wir Mennoniten wer den’s noch mal einsehen lernen, wie viel Kapital in unserem Kredit tot liegt. Jeder Bauer des Dorfes h;tte auf seine Wirtschaft j;hrlich einige Hunderter loses Geld zur Nutznie;ung, aber“ .. Das kam denn nun dem Grobschmied fast wie ein Verbrechen vor. „Nein!“ rief er aus und sch;ttelte sich ordentlich, „bin noch im Leben keinem Menschen etwas schuldig geworden! Ich konnte ihm nicht mehr in das Angesicht sehen, ohne rot zu werden! Fremdes Geld furcht‘ ich wie  das Feuer, und will f;r meinen Teil nichts damit zu tun haben!“ Der M;ller aber schmunzelte und sagte:“So! du bist nichts schuldig/ Dein halbes Verm;gen bist schuldig, Nachbar!“
Mein halbes Verm;gen?“ rief Heide entsetzt und sprang auf von seinem Sitz, als h;tte ihn eine Ratter gestochen „ich...wie?   .wo? Haben die L;mmel wirklich das Land versetzt? …ohne  mich zu fragen?“  „Nat;rlich du, wer sonst?“  versetzte der M;ller ruhig, „ das M;tterliche deiner Kinder!“  und lachte laut, wohl bestimmt erwartend, dass der Erschreckte nun nach dem der Scherz sich aufgekl;rt hatte lustig einstimmen werde. Aber weit gefehlt! Der Grobschmied schwieg betroffen, nur seine buschigen Augenbrauen zogen sich immer finsterer zusammen. „ Das M;tterliche“ ..murmelte er vor sich hin, Es wurde ;ber diesen Gegenstand nichts weiter gesprochen. Am n;chsten Tag kursierte ein Schulzenzettel in Dorfe folgenden Inhalts: „ Jakob Heide hier w;nscht zu jeder Zeit Sein Kleinwirtsland ohne Hof zu verkaufen!“ Jakob Heide war ein eigener Mann; er mochte keinem etwas schuldig sein, selbst seinen Kindern nicht vielleicht auch diesen am allerwenigsten, denn darunter k;nnte seine Autorit;t leiden. Das sagte er zwar nicht, aber darin lad zweifellos der Schl;ssel zu seinem entschlossenen Vorgehen. Als er nun sein Land verkauft und sein halbes Verm;gen, den Kinderteil, an den Waisen;ltesten abgegeben hatte, rief er seinen einzigen Sohn, den Jakob, der im Fr;hjahr die Dorfschule verlassen hatte, herbei und fragte ihn kurz und gut, ob er ein Schullehrer werden wolle. Das Jungele dachte wohl an den gewichtigen Zuschlaghammer in seines Vaters Schmiede, und von seinem Schmiedelehrjungenstandpunkt aus betrachtet, sagte ihm das Schulmeistern mehr zu als das Schmieden, und er sagte mit beklommenem Herzen, ja, er wolle. H;tte der Vater den Lehrer um seinen Sohn befragt, der h;tte freilich den Kopf gesch;ttelt, zum Lehrerwerden nicht geraten, aber vorgeschlagen, ihn vorl;ufig noch ein Jahr in die Dorfschule zu schicken. Der Tag, an welchem die Eintrittspr;fungen an der Zenralschule stattfinden sollten, war erschienen. Schon drei Stunden vor Beginn standen Jakob Heide Senior und Jakob Heide Junior in vollen Sonntagsstaat in Korridor der Schule in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Vater Heide f;hlte sich, wie immer, ungem;tlich in seinem Sonntagsrock; ihm fehlten daran der Lederschurz und die aufgest;lpten Hemds;rmel, und wusste auch immer nicht recht, wo er seine sonst so geschickten F;uste mit den Fingern daran lassen sollte. Sein Missmut wurde noch dadurch erh;ht, dass die Pr;fungskommission solange verzog. Wie die Kerle solange schlafen k;nnten, verstehe er nicht. Knurrte er vor sich hin, und er w;nsche sie mal auf einen Monat in der Schmiede beim Achsenstauchen zu haben, um ihnen beizubringen, wann ein Mensch aufstehen m;sse. Der Korridor  f;llte sich mehr und mehr mit L;utern, die ihre Knaben zur Pr;fung brachten. Dann fanden sich auch die Herren von der Pr;fungskommission ein. Sie sch;ttelten einander eifrig die H;nde und waren sehr aufger;umt. Sie sprachen, aber ausschlie;lich russisch mit einander. Einer von ihnen hatte sogar goldene Kn;pfe am Rock und vorne an der M;tze auch einen. Unser Grobschmied kam aus dem Staunen nicht heraus. Er fragte leise einen neben ihm stehenden Mann, ob dieses nicht eine deutsche  Schule sei, und ob das da nicht alle deutsche M;nner seien?  Der Angeredete, ein alter Bauer, seufzte tief und sagte bed;chtig: „Ja, ja, tau ons Tied w;r dat anners;  geexamt w;rd` donntaumalen keent un find uk aller in`n Himmel kamen.“ Endlich erschien der Herr Inspektor, punkt ; 12 Uhr.- Dat is de Epperster, fl;sterte der Bauer dem Schmied zu, „nu kannt losgahnen!“ Nachdem die Jungen etwas geschrieben hatten, lie; man sie hinausgehen. „Dat hawt uck nich lohnt antaufangen,“ sagte  der Schmied zum Bauer, „oder is dat noch nich ut?“  „Mie wull doch, “ versetzte dieser,  „nu waren sei noch utwendig in‘t Verh;r nahmen.“  Heide stand w;hrend der ganzen Zeit des m;ndlichen Examens an die Wand gelehnt da. Seine Augen waren unverwandt auf den Examinator und den jeweilig vor demselben stehenden Knaben geheftet. Keine Muskel in seinem wettergebr;unten offenen Gesicht verriet, was er empfand, ob Langeweile, ob Neugierde, selbst dann nicht, als die Reihe an seinen Jakob kam, der am wenigsten der vorgelegten Fragen beantworten konnte und sich mit den H;nden fest an den Tisch klammerte.  „Is das nicht deiner?“ fragte der Bauer den Schmied im Fl;sterton. Ja!  Sagte dieser kurz, und nach einer l;ngeren Pause: Dat de Jung so d;mlich w;r, hab ick sindaag nich gl;wt    de weit ja nuscht- Hei is woll man n b;ten enkannig? Beruhigte ihn der Bauer, „in de Schol ward sick dat all fingen!“  Jakob kam in die Vorbereitungsklasse der Zentralschule. Das kr;nkte ihn eigentlich der Kindheit eine wahre Scheu empfand. Und  als ob das Schicksal ihn verfolge zuf;llig sa;en gerade vor ihm zwei dieser Abholde, die ihm auch richtig vom ersten Schultag an das Lernen verleideten, Musste er aufstehen,  um zu lesen oder zu antworten, schauten sich beide Nachbarinnen recht ungeniert um und dem armen Jakob direkt ins Auge. Dieser wurde rot bis ;ber die Ohren, und die Worte blieben ihm im Halse stecken oder kamen so stotternd heraus, dass der Lehrer die Geduld riss, und er ihn schalt oder sogar nachlernen lie;. Dar;ber war dann der Jakob jedes Mal sehr bek;mmert; hatte er doch seine Lektion am Vorabend solange und so gr;ndlich gelernt und noch vor der Stunde ohne Fehler hergesagt! Die herzlosen Nachbarinnen aber kicherten ;ber ihn und verspotteten ihn wehen seines Stotterns. Bald fanden sie auch an seiner Person dies und das auszusetzen, besonders an seiner St;lpnase. Einmal sagte ihm eine, er solle sich die N;stern mit Korkst;pseln verstopfen, denn sie k;nnten ihm durch die Nase „prjamo“ ins Herz hineinsehen. Da hat er sich nicht halten k;nnen, hat mit der Faust zum Schlag ausgeholt, aber nicht die  Misset;terin, sondern deren Tintenglas getroffen, es auf den Fu;boden geschleudert, dass es in tausend St;cke zersprungen ist, Wand, Tisch und der M;dchen Kleider mit  Tinte bespritzend. Daf;r hat Jakob  eine Stunde lang in der Ecke stehen m;ssen,  das erste Mal, und ist fast vergangen vor Scham und Reue. Armer Jakob! Das war nur deiner Leiden Anfang. Die Redereien der beiden M;dchen fanden bald allgemeinen Anklang in der Klasse. Ursache zu   neuen Redereien lieferte Jakob selbst t;glich. Nach und nach stand ihm die ganze Klasse gegen;ber. Niemand nahm ihm in Schutz, und seit dem ersten misslungenen Racheakt wagte er es nicht mehr, sich handgreiflich zu verteidigen. Lieber wollte er sich alles sagen und allen Tort gefallen lassen, als nochmals vor der ganzen Klasse in der Ecke stehen und sich anschauen lassen. Die Lehrer ahnten nichts von dem Leiden ihres Pflegebefohlenen, denn vom Katheder bis zum Jakob war’s nicht um ein Haar reit n;her, als vom Jakob bis zum Katheder. Beide Teile waren herzlich froh, als sie mit Ablauf des Schuljahres voneinander Abschied nehmen durften, Den Abschied von den klugen, schlagfertigen M;dchen, die nun auch die Schule verlie;en, um ihr Studium und zugleich ihre Schelmerei in der M;dchen Schule fortzusetzen, empfanden die Herren Lehrer nat;rlicherweise viel mehr. Eigentlich hatte ja der Jakob doch trotz allem gute Fortschritte gemacht; seine schriftlichen Arbeiten z.B. waren doch meistens recht befriedigend ausgefallen, und das Schriftliche ist und bleibt immer die Hauptsache! „Was d;nkt euch?“ fragten einander die Herren im p;dagogischen Rat, und f;hrten den Jakob Heide ohne Examen in die 1 klasse der Zentralschule ;ber  „er mag dort mal einen Monat versuchsweise mitarbeiten; vielleicht bekommt ihm der Lustwechsel.“ In den Sommerferien musste Jakob in der Schmiede t;chtig mit angreifen, Das tat er jetzt manchmal sogar mit Lust. Doch zuweilen, wenn er nach dem Zuschlagammer griff, schien‘s ihm, als ob sich das feuerspr;hende Eisenst;ck vor ihm auf dem Amboss pl;tzlich in zwei kichernde bekannte M;dchengesichter verwandele, und er z;gerte entsetzt, draufzuschlagen, bis der Vater eine verd;chtige Bewegung nach dem Spannriemen machte, und das Gespenst verschwand.
Der Tag, an welchem der Unterricht in der Zentralschule beginnen sollte, war erschienen, Vor dem Schulhause versammelten sich viel zu fr;h die „Frischen“ mit ihren Tornistern auf den Schulterm. Sie schielten einander von der Seite pr;fend an, aber ein Gespr;ch kann nicht in Gang; ein jedes hatte zu viel mit seinen eigenen Gedanken zu tun. Das was unserem Jakob gerade recht; nicht nur, dass ihn niemand neckte, es redete ihn sogar niemand an und von den dummen G;nsen, den M;dchen, war hier keine Spur. Die Sonne blickte so freundlich durch das Ge;st des Baumes, an dessen Stamm gelehnt unser gl;ckliches B;blein stand. Nun kamen auch die Sch;ler herangezogen, zuerst vereinzelt dann in hellen Haufen. Jakobs Augen schossen eiligst von einem auf den anderen fragend, suchend pr;fend;  niemand sah ihn, und wer zuf;llig hinblickte, k;mmerte sich nicht weiter um ihn. Auf dem Schulhof wurde es lebendig. Diese Schrien etwas, jene pfiffen sich was oder warfen aufs Ziel. Andere liefen umher, balgten und l;rmten und spa;ten auf ihre Art. Hier hatte sich eine Gruppe um einen neuen Tornister aus Rehfellversammelt: dort stand eine Schar kleiner Knaben etwas abseits und schmauste Halwa. Jeder war guter Dinge, redete plattdeutsch und hielt sich auch im ;brigen so zwanglos wie m;glich. Jakob klimperte lustig mit seinen kleinen M;nzen in der Tasche, die er vom Vater beim Abschied erh;lt auf Rechnung seines M;tterlichen. Sein Herz war von stillem Jubel erf;llt. Wie wollte er doch gute Freundschaft mit all den Jungen halten! Auch wollte er ein halbes Pfund Halwa kaufen und seiner Klasse spendieren!    Ja, das wollte er wirklich tun, und noch den Tag. Die Schulglocke ert;nte, und die T;ren wurden vom W;chter ge;ffnet. Die Sch;ler dr;ngten in die Klassen, jeder darauf bedacht, sich den besten Platz zu sichern; als solcher galt der Platz, der am geeignetsten war, sich im Notfall vor den Augen des Lehrers zu verstecken. Jakob war noch nicht so schlau, um der Platzfrage eine so gro; Bedeutung beizumessen. Er setzte sich sch;chtern an einen ganz leer gebliebenen Schultisch, dem Katheder zun;chst.  Wiederum ert;nte die Glocke. Sie rief Lehrer und Sch;ler zur gemeinschaftlichen Morgenandacht in den Saal. Jakob kam wieder vorne zu stehen jedoch niemand schaute auf ihn, auch die Herren Lehrer  nicht. Sein Mut stieg. Er kam nach und nach in eine so behobene Stimmung, dass er fast unbewusst mit kr;ftiger Stimme in den Choral einfiel. Nun hatte er wohl eine kr;ftige, aber eine ausnahmsweise h;sslich Stimme, zum Singen ganz und gar nicht geeignet, und in einem Augenblick hatte er die Aufmerksamkeit s;mtlicher Lehrer und Sch;ler auf sich gerichtet. Die einen verdeckten den Mund, um ein L;cheln zu verbergen, die anderen lachten frei weg. Seine Hinterm;nner aber stie;en ihm dem Ellenbogen in die Seiten und raunten ihm zu, er solle mit seinem Kr;hen nur aufh;ren. Das Lied erstarb dem armen Jakob auf den Lippen; sein Gesicht war wie mit Feuersglut ;bergossen. Nachdem der Religionslehrer ein herzliches Anfangsgebet gesprochen, trat er auf den Jakob zu, ergriff ihn beim Kinn und sagte freundlich: „Wie hei;t du denn kleiner Singmann?“
Als statt der Antwort ein reicher Tr;nenstrom kam, streichelte ihm der Lehrer liebreich das Haar und die Baken und tr;stete ihn; „Nur nicht so ;ngstlich, mein Lieber! Sing nur tapfer mit, bis du’s kannst, wie einer! Nicht so ;ngstlich, kleiner, wir beide bleiben gut Freund!“  Wie wohl tat dies Wort dem Jakob! Am liebsten w;r er sofort mit dem freundlichen Mann gegangen, doch das ging nicht gut an, denn da h;tte er zwei Klassen ;berspringen m;ssen, und sein Verbleiben in der Unterklasse war noch fraglich.   Nach der ersten Unterrichtsstunde  kam die erste Pause. Gro; und noch Gro;er um st;rmte unser trostbed;rftiges B;blein. „Du kannst aber nadrart singen!“ Du bist ja ein wahrer Singvogel!  Sing ons uck soglicks wat v;r! Oder wi schlanen die up den Kopp! „ Hilfesuchend blickte er um sich, entdeckte aber in all den fremden Gesichtern keinen Zug von Mitleid, nichts als Spott, Spott! Und der ge;ngstete Junge sang, mit lauter kr;chzt der Stimme zum Gaudium seiner Peiniger. H;tte er Tr;nen weinen k;nnen, aber das vermochte er nur, wenn jemand mitleidig und z;rtlich zu ihm sprach, daran h;tten die Knaben gemerkt, wie tief sie ihn gekr;nkt, und gewiss von ihm abgelassen. Nun kam ein langer Bengel an ihm und schrie, er solle die Nasenl;cher aufrei;en, denn er beabsichtige, ihm in den Magen zu klunjen“. Ein wiehernder Gelachterer belohnte den Witzbold. Jakob raffte sich auf und suchte durch die Flucht zu entkommen. Ein Bube aber hielt ihm den Fu; vor, so dass er hinschlug, und o Schrecken! Die neue Hose, die er zum ersten Mal anhatte, die ein richtiger Schneider gemacht, war ;bers Knie geplatzt. Einen Augenblick lag das B;blein wie niedergeschmettert da und blickte auf den Schaden, als k;nne er das gro;e Ungl;ck nicht fassen. Dann schrie er angstvoll: „Mine Bexen! Mine nien Bexen!“ Die Schulglocke ert;nte; die Sch;ler eilten in ihre Klassen.   Nur zwei kleine Klassengenossen traten zu ihm, im ihm einen guten Rat zu geben, der eine fragte ihn nicht ohne Mitleid: „Bi wem frattst du?“ Als keine Antwort erfolgte, sagte der andere:“Gah doch nah hus un treck die annere Bexen an!“
 Als wieder keine Antwort erfolgte, lie;en sie ihn stehen und liefen davon in die Klasse. Die Lage, in welcher sich der Kleine befand,  war wirklich eine verzweifelte zu nennen. In der Schule konnte er  in diesem Aufzug nicht erscheinen, ins Quartier zur;ckgehen, fruchtete nichts, denn der Vater hatte diesen Fall nicht vorgesehen und ihm kein zweites Paar in den Koffer gepackt, ihm aber hart aufgebunden, nicht zu „ratzen“, und die guten Kleider zu schonen. Und nun waren sie am ersten Tag schon zerrissen, verdorben, Jakob stand in einem entlegenen Hofwinkel ratlos ;ber seiner Hose geb;ckt. Wohl dachte er an den alten freundlichen Lehrer, aber wo sollte er ihn suchen? Wie sollte er in zerrissenen Kleidern zu ihm gehen? Und was sollte und konnte er ihm sagen? Nun fiel ihm ein, die Stunde k;nnte bald wieder aus sein. Es packte ihn ein wahres Grauen vor seinen Mitsch;lern, und ein heftiges Heimweh bem;chtigte sich seiner. Er klettert mit M;he ;ber den hohen Schulzaun und schlich sich dem nahen W;ldchen zu. Hier sah ihn keiner, riet ihm aber auch keiner, was zu tun. Jetzt K;ndete die Schulglocke die Pause an. Wie unheimlich fremd klang ihm ihr  Ton; es deuchte ihm, auch sie spotte ;ber ihn! Er bog in den Wald ein. Lange irrte er planlos umher. Den Ri; in der Hose hatte er mit einem langen Stachel aus der ;lbeerhecke zugesteckt.“ Mine Bexen! Mine nien Bexen!“ lispelte er vor Zeit zu Zeit mit tr;nenerstickter Stimme. Endlich schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Er trat aus dem Wald, sp;hte lange  nach allen Richtungen aus: kein Mensch nah und fern. Hurtig sprang er darauf ;ber den Waldgraben, blieb nochmals stehen, schaute den Fahrweg entlang und lief dann querfeldein davon. Die Augustsonne brannte unbarmherzig von wolkenlosen Himmel hernieder; kein L;ftchen regte sich.  Am Morgen nach Jakobs Flucht aus K., fr;h, kaum dass der Tag graute, stand Meister Heide wie gew;hnlich wohlgemut an seinem Amboss. „ Ein Schlag ein Kopik“ ein Schlag ein Kopik“ so klangst lustig die Dorfstra;e  entlang. Die Knechte der Bauern schirrten hurtig die Pferde an den Pflug, um am ersten in der Brache zu sein. Einer aber von ihnen hat heute gar den Schmiedemeister ;bertrumpft und ist noch fr;her heraus. „Ein Schlag ein Kopik“ ein Schlag ein Kopik“ wiederholt er laut lachend, als der erste Dreischlag an sein Ohr drang. Sein Gespann bog schon vom Kuhsteg in die „Schadrood“ ein: „Also um 400 Klaster vor, “ schmunzelte er schadenfroh, „das g;nnt ich dem alten Prahlhans schon lang!“
 Pl;tzlich dr;ngten die Rose schnaudend zur Seite; kaum dass der kleine Fuhrmann in seinem gro;en „Zirrock“ sich im Sattel halten konnte Der Knecht aber f;hrt ihn an, ob er eingeschlafen, er m;chte doch „ein b;ten pl;tzlich schodder halten, sonst werde er ihm noch mit dem „St;aker hott“ beikommen. Der Junge aber weist entsetzet mit dem Peitschenstiel auf den naheliegenden Grenzh;gel. Dort lag etwas; ein Mensch. Wer es war, konnten beide der
D;mmerung wegen nicht unterscheiden bis der Knecht ein Z;ndh;lzchen anstreicht und sich ;ber ihn beugt. In der n;chsten Sekunde aber prallt er entsetzet zur;ck Meister Heide  h;lt einen Augenblick inne, um etwas zu verschnaufen. An der offenen Schmiedet;r ziehen die Pfl;ger in Z;gen vorbei und nicken ihm einen freundlichen Gru; zu. Da kommt ein einzelner Mann die Stra;e herauf. Er scheint Eile zu haben und tr;gt etwas. Nun kommt er n;her; seine Brust keucht unter der schweren Last. „Meister, erschreckt nicht!“ ruft er diesem zu, „ ich habe euren Jakob am Wege aufgelesen; er ist wohl tot, aber erschreckt auch nicht, um Gottes willen!“ So sprach der biedere Knecht und legte die kleine leblose Gestalt in seinen Armen behutsam auf die Schmiedebank nieder- Anf;nglich hat der Alte vor Schreck sprachlos dagestanden, dann hat’s ihn gepackt wie Todesgrauen und hat seinen Einzigen an sich gerissen   und laut geschrien, dass es h;tte Steine erbarmen m;ssen. Und die Nachbarn sind zusammengelaufen zu Rat und Trost, haben aber bei dem ersch;tterndem Anblick nicht raten und nicht tr;sten k;nnen.
II
Und sein Niedergang.
Tot war der kleine Jakob nun zwar nicht, wie der Knecht  meinte, aber dem Tode sehr nahe. Meistens lag er still da mit geschlossenen Augen und bleichen Wangen wie eine kleine Leiche. Bisweilen aber stieg ihm das hei;e Blut en den Kopf, und der Atem ging so schnell, dass der Herzschlag ihm kaum folgen konnte. Dann fing er an zu phantasieren: bald bat er flehentlich, man solle ihn doch nicht necken er werde auch Chalwa spendieren; bald schrie er angstvoll auf  oder sprach von seiner neuen verdorbenen Hose. Der Vater wich nicht vom Krankenlager seines Sohnes in der ersten Zeit, weder bei Tag noch bei Nacht. Stundenlang sa; er unbeweglich da, das Auge auf die schmerzerf;llten Z;ge seines kranken Kindes gerichtet. Seine Gedanken r;ckten ihm wieder und wieder mit unwiderstehlicher Gewalt die Vergangenheit    vor das Geistesauge. Ja, sie war ihm viel schuldig geblieben; jedoch hatte er bisher immer wieder den Mantel des gro;m;tigen Vergessens dar;ber gebreitet. Jetzt aber staute sich in seinem Innern ein ganzer Haufen von Schuldforderungen an. Vor allem k;nnte er’s nicht fassen, warum der Sohn so ganz nach der weichherzigen verstorbenen Mutter, die um zehn Jahre ;ltere Tochter hingegen nach ihm, dem Vater, geartet sei. W;sste nicht eher der zuk;nftige Mann das Herz auf dem rechten Fleck haben? Wie sollte der Jakob dereinst allein den Weg finden, den richtigen Weg durchs Leben? Wie war auch sein Eheleben an der Seite der best;ndig kr;nkelnden Seligen so freudeleer  und voll Entsagung dahingeflossen! Dann hatte sie ihm diesen Jungen geschenkt, und war entschlafen. Die vielen ungel;sten Fragen drohten ihm das innere  Gleichgewicht zu rauben, Der M;ller Nachbar, welcher ihn h;ufig besuchte, und ihn  auch t;glich auf einige Stunden am Kranken Lager des Knaben abl;ste, hatte die Ver;nderung, die in Heide vorging, schon gemerkt. Denn so sehr letzterer sich auch bem;hte, seine gereizte fordernde Stimmung vor jenem zu verbergen, war er doch zu geraden Charakters, um solches auf die Dauer fortsetzen zu k;nnen, Als Wiens erst die wahre Ursache solchen Verhaltens entdeckt hatte, sann er alsbald auf Mittel, den Freund wieder auf die richtige F;hrte  zu bringen. „Nachbar“, sagte er eines Tages in tiefer  D;mmerungsstunde zu ihm eintretend, „Nachbar, warum machst nicht Licht an?“ „Um nichts sehen zu d;rfen“, versetzte jener kurz. „Sage, um besser sehen zu k;nnen, “  verbesserte der M;ller mit ged;mpfter, aber fester Stimme, „all das Tr;be, Dunkle, was du so gern siehst und nur sehen willst.“ Der Kranke verlangte nach einem k;hlen Trunk Wassers. „ja, sieh dich nur satt daran! “ fuhr der M;ller unbeirrt fort, nachdem sich Heide wieder zu ihm gesetzt,  „sieh dich nur satt daran, wie Petrus an den hohen Meereswogen! Ich meine, es bringt dir auch wenig Gewinn!“ Heide stand auf und steckte schweigend die Lampe an; und Wiens sah in dem Schein des aufblitzenden Streichh;lzchens in das finstere Gesicht seines Freundes. „Nachbar, “ sagte  der Gast nach einer kurzen Pause, „wir sind seither immer Freunde gewesen und haben stets gute Nachbarschaft gehalten, und es w;rde mir leid tun, wenn’s anders werden sollte,,heut‘ aber will ich dir offen meine Meinung sagen.“  Der Angeredete blickte halb fragend, halb verwundert auf, als er aber dem Sprecher eine Sekunde lang in das ehrliche Auge geschaut, nickte er zustimmend mit dem Kopf.“In dir steckt ein abgefeimter Pharis;er, “ hob Wiens an, „mach nur, dass du ihn bald herausbringst,  damit er dir nicht ein Bein stelle und du f;llst, eh‘ du dir’s versiehst!“ „Kannst du das ausreden?“ fragte Heide mit eisiger Stimme. „Wohl kann ich’s.  Du bildest dir ein, der Himmel und jedermann st;nden bei dir in tiefer Schuld; und es f;llt dir auch nicht ein, einmal deine eigenen Schulden zu entrichten oder wenigstens einzugestehen. Freilich sind das keine Schulden an Gold und Silber, aber umso schwerer dr;cken sie, einmal erkannt. Du hast das M;tterliche deiner Kinder aufgetragen;  das war von dir so ein echt recht Pharis;er st;ckel. Zu all deinen vielen Schulden an Jakob hast du damit nur eine neue gef;gt. H;ttest du das Land behalten und bebaut, geackert, so w;re es meiner ;berzeugung nach dem Jakob eine Ursache geworden, darin seine Lebensaufgabe zu finden. Sagst du doch selbst, dass er weder am Schmieden noch am Lernen, sondern einzig allein am Bauern Geschmack finde. Warum willst du denn unbedingt einen Lehrer aus ihm machen? Warum l;sst du ihn denn nicht in Gottes Namen Bauer werden? Es ist dein Ehrgeiz; nicht, da; du deinem Sohn g;nntest, dereinst ein geachteter, fruchtbringender Lehrer zu werden, nein! Daran hast noch nicht mal gedacht. Der Jakob soll einmal sagen: Da; ich Lehrer geworden bin, verdanke ich nur meinem Vater! Und alle Welt soll dich r;hmen, was du aus dem Jungen gemacht hast! Wie verkehrt und dazu kleinlich hast du gehandelt! Wer hat dir weisgemacht, “  da; ein guter Bauer weniger wiegt als ein guter Lehrer, und umgekehrt? Au;erdem bist du deinem Sohne die ganze Erziehung schuldig geblieben. Bearbeitet auch jemand Holz wie Eisen? Und das hast du getan an deiner verstorbenen Frau, an deiner Tochter, die seit ihrer Hochzeit auch nicht zu viel deine Schwelle dr;ckt und bis heute an deinem Jakob. Wenn nun dank deinem Eigensinn nichts dabei herausgekommen ist, spielst du den ;bersehenen auf. Ein Mensch bringt vielleicht mit seiner Geburt bestimmte Neigungen, von den Eltern vererbt, auf die Welt, wird aber doch wohl immer schlie;lich nur das, was man aus ihm macht. Dein Kind hat keine Mutterliebe kennen gelernt. Das ist vielleicht das schlimmste was dem B;blein begegnen konnte; aber es hat auch keinen kindlichen Frohsinn kennen gelernt. Schwerlich wird es jemals mit den meisten seiner Nebenmenschen behaupten, die Kindheit sei die gl;cklichste Zeit seines Lebens gewesen. Der Junge ist ja immer sehr artig und folgsam gewesen eine Frucht deiner Zucht: jede Aufwallung des kindlichen ;bermutes in ihm hast du fr;h schon, als er noch im Hemdlein und R;cklein einher humpelte, durch dein donnerndes Halt unterdr;ckt. Endlich duckte er sich und schwieg, wo er dich nur sah, und weil du ihn nicht von dir lie;est zu lustigem Spiel und Balgen mit anderen Knaben, wurde ihm das unselbst;ndige Ducken und Schweigen zur zweiten Natur.  „Hat`s ihm denn je an etwas gefehlt?“ warf Heide mit vor Erregung bebender Stimme ein. „Ja, an allem“, versetzte Wiens ernst, „an der hat er nicht mehr als an deiner tauben, m;rrischen Wirtschafterin gehabt. Oder hast du auch einmal nur ein kleines St;ndchen mit ihm von Herz zu Herzen gesprochen, ohne zu mustern, zu befehlen und zurechtzuweisen? Einmal auch nur so gesprochen, wie man zu einem kleinen Freund spricht? So, da; er zutraulich zu dir wurde? So etwa, da; er dich hernach nach seinem verstorbenen M;tterchen gefragt? Geh doch, du herzloser Mensch, er weint dir einmal keine Tr;ne nach!“ So hat der M;ller auf den Grobschmied eingeredet, bis letzterer gemerkt, da; in ihm ein ganzes Rest von gottfremder Selbstgerechtigkeit stecke. Er ist immer mehr in sich zusammengesunken, und als endlich der Hahn gekr;ht, da hat er bitterlich geweint. Dann haben sie gemeinschaftlich gebetet und sind im Frieden voneinander geschieden. Der Kranke genas. Seine kr;ftige Natur half ihm wieder auf die Beine. Wieder konnte er vor der T;r in Sonnenschein sitzen und mit seinem scharfen Taschenmesser an einem St;ck Holz Schnitzeln, was seit Jahren seine Lieblingsbesch;ftigung war. Nicht, da; er etwas ausschnitzelte, nein! Dazu kam es in der Regel  nicht. Er kniewelte so lange, bis das Holzst;ck in seinen H;nden zu klein wurde, als da; man daraus noch h;tte etwas machen k;nnen, Dann warf er es weg und nahm ein anderes mit gleichem Eifer in Bearbeitung. Wenn ihm aber oft ;belgelaunte Wirtschafterin das „Schwinerimachen“ untersagte, steckte er gehorsam sein Messer in die Tasche und schaute den Sperlingen zu, wie sie in der Hecke l;rmten und sich im Staub balgten oder tat der Alten im Hause Handreichung: scheuerte Messer und Gabeln auf einer Mists ;de, welche er sich selbst in der „Awesied“ (Ein langer, niedriger Raum, der sich l;ngs der hinteren Breitseite des Stalles zieht und zum Aufbewahren des Brennzeugs dient.) zu diesem Zweck aussuchte, rieb das gewaschene Kochgeschirr mit dem K;chenhandtuch aus, sa; vor dem Herd auf dem Fu;b;nkchen und heizte mit Stroh unter. Letzteres tat er bisweilen sogar gern was doch kein mennonitischer Dorfb;blein gern tut. Hier lie; er dann seiner Phantasie freien Spielraum; er zauberte sich ein ganzes Schlachtfeld vor: das Feuer stellte die Russen und das Stroh die T;rken. Und es erg;tzte ihn h;chlichst, wie`s den grausamen T;rken immer schief ging. Hin und wieder murmelte er etwas vor sich hin, was niemand vernahm und auch niemand verstanden h;tte, ob’s russisch oder T;rkisch war, denn er kannte diese beiden Sprachen wohl so ziemlich gleich gut; dann drohte er auch wild mit geballter Faust  ins Heiz loch hinein, wenn ein dicker T;rke sich besonders lange spartelte, ehe er sich ergab. So mutig er aber auch in seinem T;rkenkrieg war, so ;ngstlich zeigte er sich sonst bei herannahender Gefahr. Zwar stets darauf bedacht, Gefahren m;glichst auszuweichen, um nicht darin umzukommen wie geschrieben steht, wollte ihm solches doch nicht immer gelingen. So hatte sich eines Tages es war noch gar nicht lange her Nachbars b;ser „Ganter“ aus dem Hinterhalt auf ihn gest;rzt mit entsetzlichem schlangenartigem Zischen und kr;ftigem Fl;gelschlag. Er schreckt hatte unser Held das Hasenpanier  ergriffen, umsonst: der b;se W;terich hatte ihn mit seinem starken Schnabel beim Hosendeckel erwischt, worauf der schon 13 Jahre alte Junge geschrien, als ob der Ganter schon angefangen h;tte, ihn bei lebendigem Leibe zu verspeisen. Doch das dicke Ende war auch hier erst nachgekommen. Der Vater n;mlich, der auf das Zetergeschrei herbeigeeilt war und ihm mit dem Spannriemen recht deutlich veranschaulicht hatte, da; ein so gro;er Junge sich nicht vor einem elenden Ganter f;rchten m;sse. Doch, wer wollte das kleine und das gr;;ere Pech, das er von Kindesbeinen an trotz seiner Vorsicht und seiner friedliebenden Natur gehabt, aufz;hlen? Bald schnitt er sich mit dem Messer, bald fiel ihm etwas Hartes auf den Fu;,, bald trat ihn die Kuh, bald lief ihn ein F;llen unter, bald klemmte er den Finger, bald verbrannte er sich den Mund, bald fiel die M;tze in den  Brunnen, bald riss er sich am Nagel ein Loch ins Kleid was allemal vom der Alten Schelte und vom Vater Hosenspanner setzte. Zu den gl;cklichsten Stunden seines Lebens z;hlte, wenn er sich die Woche hindurch die Anerkennung das Lob der Alten verdient hatte. Dann gab sie ihm am Wochenschlu; zwei H;hnereier, f;r die er sich vom Schischka, der jeden Samstag mit einem Sack voll seiner vielbegehrten Ware durchs Dorf zog, eine gro;e “Tschaschka“ Sonnenblumensamen f;r den heiligen Sonntag einhandelte. Und wenn der kinderfreundliche Schischka seinem kleinen Kunden ein H;ndchen voll Samen zum „Morgaritsch“ drauf gab, dann fehlte dem Jakob nichts mehr an seiner Festfreude. Jakob sa; und kniewelte. Es war ihm so wohl bei dem Gedanken, da; er nun nicht mehr in die Schule gehen durfte. Er wolle lieber nichts werden, als ein Schullehrer, sagte er zur Alten, was diese so ganz vern;nftig fand, weil es mit all den Schullehrers doch nichts sei; die reichen Kinder z;gen sie immer vor, wenn’s auch die schlechtesten w;ren, und die Pr;gel bek;men nur die Armmannskinder. Und der Schulze hebe nicht mal die Nase danach auf. Wenn jemand sich bei ihm beklagt, sagt er ihm h;chstens, er solle nicht so faul sein und zusehen, da; er auch in eine Vollwirtschaft komme und reich werde, und in der Zentralschule k;mmere sich schon ;berhaupt keiner um nichts: Die Lehrer t;ten dort, was sie wollen. „Haden sa; Lehrerwiewers nich   en Paar Bexen flecken kunnt? Ei, wenn dar upde Stepp’n Wulf kamen w;r un had di dotb;ten?...had uck ken Hahn nah kreiht!“ so ereiferte sich die Alte wohl schon zum soundso vierten Male ;ber das bekannte Thema, und dem Jakob ist’s jedes Mal eiskalt ;ber den R;cken gelaufen. Er konnte sich noch immer nicht der Tr;nen erwehren, wenn er an  all die Gefahren dachte, die ihn in jener schrecklichen Nacht h;tten treffen k;nnen. Vater Heide hatte wieder angefangen, zu schmieden, aber es wollte noch immer nicht recht  „schwei;en“, wie er selbst scherzend sagte. Nicht, da; er sich schon von  der Arbeit abgew;hnt h;tte, nein, das kann ein wirklich flei;iger Mensch nicht so leicht fertig bringen; denn wer in der Jugend flei;ig gewesen ist, kann  unm;glich im Alter im r;stigen Alter m;;ig in den Tag hineinleben. Das war’s nicht,  was dem Schmied die Arbeit verleidete: das n;chtliche Gespr;ch mit dem M;ller war’s, das so viele Nachkl;nge in seiner ehrlichen Brust gewirkt, welche ihn nicht ruhen und nicht arbeiten lie;en, bis er mit sich aufs Reine gekommen. Wohl war er seinem Kind das V;terliche schuldig geblieben, aber ein Pharis;er war er darum doch nie gewesen, wenigstens kein bewusster; Gott bewahr! Er hat es immer gut mit ihm vorgehabt, trotzdem da; bei seiner Zucht nichts herausgekommen! Nicht nur, da; er seinem Jasch von nun an ein wirklicher Vater sein wollte nicht genug! , in seinem Hirn plante er unabl;ssig und seinem Gebaren nach zu urteilen ungeheuerliche Dinge. Sein Kind sollte froh, gl;cklich und verst;ndig werden, und wenn er es nicht verst;nde, solches in ihm zu bewirken, so werde ja noch wohl Rat in der Welt sein.  Ein dutzendmal den Tag machte er sich im Hause Gesch;fte, was fr;her nie vorgekommen war: sprach beim Vor;bergehen ein freundliches Wort mit Jakob oder setzte sich gar neben ihn auf die Bank vor dem Hause und unterhielt sich mit ihm wie mit einem Erwachsenen, Eines Tages erz;hlte er sogar dem erstaunten Sohn, da; er den Hof mit der Schmiede teuer verkaufen und dann in eine Wirtschaft ziehen wolle. Von nun an gab’s viel dankbaren Stoff zur Unterhaltung. Sie planten, besser gesagt;  der Vater, denn Jasch  horchte wohl meist nur schweigend zu. wie sie zusammen Bauern, wie viel und was f;r „Schruggen“ sie sich anschaffen wollten und vor ihnen m;sse man keine Angst haben, man m;sse nur dreist auf sie losgehen und ihnen aufs „Fall belken“ dann werde keine schlagen. Gern h;tte er dem Jungen noch etwas, eine Neuigkeit, mitgeteilt, wusste aber nicht, wie er das anfangen solle, auch nicht, ob sich’s schicke, ihm solches zu erz;hlen. Jakob bekam eine Stiefmutter. Die alte Wirtschafterin hatte ihn schon l;ngst ;ber die Absichten des Vaters aufgekl;rt und ihn zugleich nach ihrer Art auf das gro;e Ereignis vorbereitet. So wusste der Junge recht gut, was f;r eine es sei, ohne sie erst gesehen zu haben, wusste, da;  sie ihm den „hallen lichten Dach tausatten“ werde, statt Sonnenblumensamen zum Raspeln. In der aufgeregten Zeit vor und bald nach der Hochzeit, dann w;hrend er ;ffentlichen Auktion von Heides Anwesen, hat der Vater seinen Sohn fast ganz aus den Augen verloren; er war viel besch;ftigt, seine Angelegenheiten zu ordnen. Als aber der neuen Mutter blitzblanker Verdeck Wagen mit den gro;en Braunen davor am Beischlag hielt, um den neuen Wirt in das neue Heim nach K. ;berzufahren, da war unser Jakob verschwunden, wie in die Erde gesunken. Keiner wollte ihn gesehen haben, wen man auch fragte. Kein Rufen, kein Suchen fruchtete: der Verlorene kam nicht zum Vorschein; niemand konnte sich sein Verschwinden erkl;ren. Die Nachbarn halfen suchen das ganze Dorf geriet in Aufregung.  Es war ein vergebliches M;hen, denn es fiel niemand ein, den Jungen oben in den ;sten des Kr;schkenbaumes zu suchen. Hier sa; er zusammengekauert, an allen Gliedern bebend. Der M;ller hatte wohl die Ursache des Verschwindens erraten. Er wechselte einige heimliche Worte mit dem Schmied, worauf dieser Abschied nahm und zum Schein mit seiner Neuverm;hlten vom Hof hinunterfuhr, und auch alle Anwesenden taten, als gingen sie alsbald heim. Wiens aber stellte sich zu Hause ans Eckstubenfenster, von dem aus er den ganzen Nachbarhof ;bersehen konnte und hielt Wache. Richtig! Bald bewegte sich etwas in den ;sten des erw;hnten Baumes. Zwei nackte F;;e kamen zum Vorschein und darauf der ganze Junge, welcher vorsichtig an Stamme herunter auf die Erde rutschte. Die Eltern waren nur bis auf die Stra;e gefahren. Bald wurde der kleine Ausrei;er attackiert. Er wollte sich durchaus nicht gefangen geben, sondern lief laut heulend im Hof umher. Als man ihn endlich packen wollte, warf er sich auf die Erde, umklammerte einen Zaunpfahl und schrie, am ganzen K;rper zitternd: „‘ich will nicht mitfahren! ‚ich will hier bleiben! ‚ich will keine Stiefmutter! ‚ich will keine!“ Da half kein freundliches Zureden, keine ernste Aufforderung, sich zu ergeben. Schon hatte der Vater eine Rute aus der Maulbeerhecke geschnitten, um den Trotz des Knaben zu brechen, denn auch der M;ller wusste hier nicht, was zu tun sei. Als Jakob das Vorhaben seines Vaters sah, stie; er pl;tzlich einen Schrei aus, so laut und wild, da; die Umstehenden zusammenschauderten. Im n;chsten Augenblick warf er den Kopf zur;ck, und die Augen starrten geistesabwesend ins Leere, w;hrend sich um seinen Mund Schaum bildete, und der ganze K;rper in den f;rchterlichsten Kr;mpfen zuckte. Entsetzt lie; der Vater Messer und Rute fallen und blickte sprachlos und ratlos auf das Kind, dem zuliebe er; alles, alles, alles zum Opfer  bringen wollte, auf seinen einzigen sterbenden Sohn. Auch der M;ller und s;mtliche Nachbarn, begleiten, standen da, tief ergriffen von dem traurigen Anblick. Hier schlie;t die Lebensgeschichte des Treuherz ab, denn von diesem Vorfall an begann sein Sterben, ein langsames, qualvolles Hinsterben. Trotzdem, da; man viele bekannte ;rzte aufgesucht  und gro;e Summen f;r Arznei ausgegeben hatte, wurden die epileptischen Anf;lle des Knaben immer h;ufiger. Freilich, eine Anstalt f;r diese ungl;cklichen Kranken, ein Bethania, wie wir es heute haben, wo sie, wenn nicht gerettet, so doch zweckm;;ig gepflegt und alles, was nur m;glich, f;r sie getan wird, hatte man damals noch nicht. Vater Heide musste nun all seine Gesch;fte ruhen lassen und sich ganz der aufreibenden Pflege seines Kindes widmen, und wenn ihm dabei seine Frau  „die Stiefmutter“ nicht so tatkr;ftig zur Seite gestanden h;tte, w;re er wohl schier erlegen. Der Junge war so stark gebaut und sehr schwer zu hantieren. Es kam soweit da; er bis zehnmal den Tag Krampfanf;lle hatte. Sein Verstand umnachtete mehr und mehr, bis er endlich vollst;ndig bl;dsinnig wurde. Dann kam die Stunde der Aufl;sung, nach „vierj;hriger schwerer Krankheit“, wie’s in Begr;bnisbrief stand. Das Herz, das arglose, hatte aufgeh;rt zu schlagen. Und wenn du einmal nach K. kommst, geh‘ auf den Friedhof. Dort unter seinem gr;nen Rasen ruht Treuherz und harrt der Auferstehung des Aufgangs ohne Niedergang. Am sein Grab findest du ausnahmsweise keine Sonnenblumensamenschlauben, denn die Dorfjugend scheut den Ort, weil ihr die traurige Geschichte des Jakob und sein fr;her Tod zu Herzen  gegangen ist.

Nimm, was dein ist.

Der alte Michel Knelsen war ein absonderlicher Mann und hatte auch einen absonderlichen  Knecht, namens Franz Funke. Wenn der Wirt abends sagte:“Franz, morgen kannst ‚n b;ten l;nger schlapen, dat Rauhen m;tt uck sen‘n“ dann sagte der Knecht nicht ja, nicht nein, sondern legte sich zur Nacht auf die harte Diele, um nicht zu fest zu schlafen; und des anderen Tages um 3 Uhr fr;h war er bestimmt mit den Arbeitern im Feld. Der alte Knelsen tat nun, als ob er bis in den hellen Tag hinein Schliefe, stand aber hinter den Gardinen in der gro;en Stube, lugte heimlich zum Fenster hinaus auf den Hof und rieb sich vergn;gt die H;nde. Einmal war er auch hinausgegangen, um zu sehen, wie die Leute die Pferde vor den Pflug spannten. Da hat der Knecht seinen Wirt mit frostiger Stimme gefragt, wie viel die Uhr sei, und darauf den Knechten anbefohlen, die Pferde zur;ck in den Stall zu f;hre und sich schlafen zu legen, er habe sich in der Zeit versehen; seine Uhr zeige wahrscheinlich nicht richtig. „En dem Jung‘ steckt was drin!“ sagte der Alte zu den Nachbarn, wenn die sich dar;ber wunderten, da; er sich von einem Knecht so viel gefallen  lasse, w;hrend er sonst im Verkehr mit anderen Leuten einen fast unbeugsamen Charakter zeige. Knelsen  Leibspruch war: „Wer sich mit de Prachari nich weit, is nich wer, dat hei se hawt.“ „aus dem Jung‘ kann noch mal was werden, der hat Mark im R;ckgrat“, entschuldigte er alle Grobheiten seines Knechtes, zum ;rger seiner einzigen Tochter Grete, die den Burschen, wie’s schien, nun einmal nicht mochte und ihn bisweilen recht schnippisch abfertigte. Franz blickte sie dann wohl mit seinen braunen, tr;umerischen Augen eine Sekunde lang an, sagte aber in der Regel nichts, sondern suchte ihr m;glichst auszuweichen. Still und in sich gekehrt verrichtete Franz an den Werktagen seine Arbeit. Hei, wie die ihm von H;nden ging! Kein Bursche im Dorf konnte sich mit ihm im „Stacken“ messen; keiner ritt verwegener als Knelsens Franz. Keiner im Dorf aber hatte auch so wohlgepflegte und eingefahrene Pferde als Michel Knelsen. Und wenn der Gouverneur oder ein anderer hoher Beamte durchreiste, musste ihn jedes Mal Franz mit seinen drei Rappen fahren; nie hat er eines zuschanden gejagt, und die Vorreitergendarmen konnten sich nicht halten, bogen aus oder st;rzten ab und fluchten weidlich ;ber den verr;ckten „Niemmetz“. Der Gouverneur hat auf die Uhr geschaut, ihn auch einen verr;ckten „Niemmetz“ genannt, aber dabei schrecklich gelacht und ihm  einen Silberrubel gereicht, den der „Niemmetz nicht angenommen hat. Eine Zigarre aber hat er von ihm mit Dank angenommen und sie zu Hause im Kasten verschlossen, weil er selbst nicht rauchte. Die M;nner vom landwirtschaftlichen Verein konnten auch ihr Wunder nicht fassen dar;ber, wie alles in Knelsens Wirtschaft so gut in Ordnung gehalten werde und so zweckm;;ig eingerichtet sei. Der Franz h;rte manches Lob, wof;r er dann jedes Mal mit einer mehr oder weniger h;flichen Grobheit zahlte. Kam nun nach den sechs schweren Wochentagen der liebe Sonntag herbei, dann f;hlte sich Franz, wie sich etwa Richter Simson gef;hlt haben mochte, nachdem er durch die heimt;ckische Delila seinen Haarschmuck verloren. Er kam dann fast gar nicht aus seiner Sommerstube heraus. Stundenlang lag er auf seinem Sommerstube heraus. Stundenlang lag er auf seinem Bett oder sa; am Tisch, starrte vor sich hin oder kritzelte etwas auf Papier, was? Konnte kein Mensch erfahren. ;fters schlug er Mahlzeiten aus, und kam er zu Tisch, so sa; er blass. Schlaff und geistesabwesend da, als ob er ein geheimes Leid mit sich tr;ge. Fragte ihn jemand um seine gedr;ckte Stimmung, gab er entweder eine kurze, ausweichende oder gar keine Antwort. Drang man noch in ihn, so konnte er so frostig  rostig werden, da; jedermann die Lust verlor, mit  dem sonderlichen jungen Menschen noch weiter zu sprechen. Michel Knelsen hatte den Sonderling schon lange heimlich beobachtet. Er war ein Mann, der das Leben von der rechten Seite ansah, ein Mann voll Energie, mit offenen Augen, ein alter Mann mit einem jungen Herzen. Nicht zuf;llig war er f;nfzehn Jahre lang Oberschulze gewesen. Wie gesagt, Knelsen hatte seinen wunderlichen Knecht schon lange beobachtet und gepr;ft. Da; in ihm etwas stecke, wusste er wohl , aber nicht, was in ihm steckte, konnte es auch nicht aus dem verschlossenen Menschen herauskriegen, bis ihm der Ortslehrer, bei dem Franz in letzter Zeit hin und wieder einkehrte, in einer geheimen Unterredung die Augen ge;ffnet. Da hat sich Knelsen mit der flachen Hand aufs Knie geklatscht was er zu tun pflegte, wenn ihn etwas stark aufrege und gesagt: „So ist’s in dem jung‘ steckt was drin; jetzt wei; ich, wo ich auf den Busch klopfen muss!“ Und er hat’s getan, wie geschickter Vogler, und der scheue Vogel ist ihm auf die Leimrute gegangen zu seinem eignen Heil und Gl;ck. Es war an einem hellen Sonntag um die Vesperzeit. Da hat der Michel Knelsen sein dickes Bibelbuch unter  den Arm genommen und ist in die Sommerstube zu seinem Knecht gegangen. Dort haben sie sich lange Zeit am Tischlein gegen;ber gesessen so fruchtlos wie ein grauer Wintertag. Der Wirt hat immer von weitem ausgeholt in seiner Rede, und der Knecht hat geschickt pariert, damit das Gespr;ch kein pers;nliches, herzliches werde. Dann hat der Alte endlich Sturm laufen m;ssen. Er war, wie gesagt,  nicht zuf;llig f;nfzehn Jahre Oberschulze im Gebiet gewesen. „Wenn ich dich so am heiligen Sonntag betrachte Franz „hat er zu ihm gesagt „dann fallen mir just die Musikanten vom Kossh;user ein, welche dem Kaiser Rotbart ein St;ndchen gebracht und daf;r von der Prinzessin mit einem schlichten Zweiglein vom Baum bedacht wurden. Aufgebracht ;ber den geringen Lohn, werfen sie ihre Zweiglein fort. Nur einer beh;lt seines; und siehe, am fr;hen Morgen, als er`s betrachten will, sind alle gr;nen Bl;ttchen daran in goldene Dukaten verwandelt. Was m;gen nun die anderen f;r Fratzen geschnitten haben, da; sie sich so mutwillig um ihr eigenes Gl;ck betrogen? Ich kalkuliere, so eine, wie du alle weil schneidest, Franz. Sieh her, Bursch, im Buch der Wahrheit steht’s:  „Nimm, was dein ist und gehe hin!“   das ist’s ja, da; ich nichts nehmen darf, versetzte Franz mutlos, „weil mir nichts geh;rt.“ „Mein Gott, wie ist ‘nur m;glich!“ sagte Knelsen ernst, „da; man sich auch so gehen L;sst!“ Es trat eine l;ngere Pause ein, w;hrend derselben der Wirt durchs Fenster in den weiten blauen Himmelsraum, der Knecht aber mit zusammengezogenen Brauen und fest aufeinander gepressten Lippen vor sich nieder blickte. Endlich hob der Greis mit leiser Stimme an: „An meinem Geist schwebt all die Pracharie bekannter Leute vor;ber, all das Ziel und fruchtlose Treiben, womit man die gro;e Leere  im Leben ausf;llen mochte. Wie unverst;ndig, wie kurzsichtig! Dieser sitzt tagelang ;ber seinen alten Lappen und k;nnte in derselben Zeit mit weniger M;he und Verdruss die Summe f;r ein neues Kleid“ erschwingen. Jener mischt der Mast gehaltloses, schmutziges Staubmehl bei und schilt das Schwein um seinen schlechten Appetit. Dieser mi;t mehr Korn auf als ab. Jener schw;tzt den Tag hindurch wie eine Elster, und hat vor Nacht kein bedeutungsvolles Wort hervorgebracht. Einer br;stet sich damit,, da; er in seinem ganzen Leben noch kein Buch gekauft oder gelesen habe, und doch alles besser wisse als die verkehrten Gelehrten; ein anderer prahlt gar damit, da; er seinen Leib noch nie gebadet und doch soundso viel Jahre alt geworden sei und soundso viel Pud Schmalz angesetzt habe. An allen Orten, in jeder Gesellschaft, in jedem Alter wird allenthalben viel Stroh gedroschen und das befriedigt dich nicht, Franz! Nur wei;t du nicht, wie du da herauskommen sollst und versteckst dich hinter dich selbst! Franz entf;rbte sich, wie einer, der auf b;ser Tat entlarvt wird. Die Rede des weisen Mannes vor ihm hatte all seinen wilden Trotz mit einem Male ;ber den Haufen geworfen. Seine tr;umerischen Augen hingen nun mit scheuer Ehrfurcht an den Lippen des Mannes, der so richtig in sein Inneres geblickt, und nun fortfuhr: „Nimm, was dein ist, mein junger Freund! Und so vieles ist dein!  Nicht nur, da; dir die ganze Welt offen st;nde, wie man zu sagen  pflegt, nein! Sie ist dir in deiner Art anvertraut worden, nicht nur, damit du in ihr gl;cklich und behaglich leben d;rftest, sondern uns das viel mehr damit du in deinem Teil in ihr Gl;ck und Behagen ausbreitest    zu Nutz und Frommen deiner Umgebung. Das bringt ein St;cklein Seligkeit ins Herz. Dir geh;rt die Welt, die Sch;pfung in ihrer unermesslichen F;lle und Mannigfaltigkeit. Du darfst in ihre Geheimnisse eindringen, so gut wie einer. Du darfst nicht nur, mein Lieber, du sollst! Es ist deine und meine Lebensaufgabe, zu nehmen, um geben zu k;nnen, Wohl dem, der tat, was er sollt! Das bringt noch ein St;cklein Seligkeit ins Herz. Ei, du wei;t mit all der Pracharie in deiner Umgebung nichts anzufangen, l;ufst ihr aus dem Weg und sch;mst dich, da; du sich nicht dazu zwingen kannst. Ist es nicht dein Gl;ck? Hat dir nicht dein Herrgott diesen Trieb ins Herz gelegt? Wenn der das erst zum klaren Bewusstsein gekommen sein wird, wirst finden. Welch ein Gross St;ck Seligkeit es in sich birgt. Dem Franz rollten die Tr;nen ;ber die Wangen. „Endlich geh;rst auch du selbst dir an. Dein Inneres soll ein Heiligtum Gottes sein. Sei darauf bedacht, da; in der alles fest am Platz, nichts lange lose bleibe, da; es kein bauf;llig, lottrig Gelass, ein Sammelplatz f;r das Misstrauen und f;r allerlei finstere Gedanken, sondern ein Tempel Gottes werde. Dein aufrechter Gang weist den Himmel, ebenfalls dein Verm;gen, zu  denken, zu urteilen und zu sprechen. Dein ganzes Leben sei ein Streben, m;glichst viel zu erlernen, viel zu wessen! Ringe mit Aufbietung deiner ganzen Kraft danach, dir einen unbefleckten Namen und ein unbefleckt Gewissen vor Gott und Menschen zu erhalten! Erk;mpfe dir in der Welt eine gute Stellung und auch Besitz; je h;her man steht, desto weiter kann man um sich blicken, desto besser und genauer kann man auch in das oft so bodenlos tiefe Elend der Mitmenschen sehen und ihnen helfen! Das bringt wiederum ein St;cklein Seligkeit ins Herz.“ Ohm Michel, “ rief Franz entsetzt darein,  „Wer hat Euch verraten, was ich keinem gesagt, was ich seit Denkens Zeit mit mir herumschleppen musste? Bald war ich froh, dann aber ist’s ;ber mich gekommen wie eine schwarze Gewitterwolke, aus der ohne Aufh;ren Blitz und Donner gefahren sind: es w;re ein gro;es Unrecht von mir vor Gott und Menschen; es w;re ein Frevel, mit Gott zu hadern um den Platz, den er mir angewiesen auf Erden! Auch die Grete hat gesagt, es k;me von meinem s;ndhaften Hochmut her; und ich k;nnte es nicht ;bers Herz bringen, mitzutun im Dorfe. Oft hat‘s mich gepackt wie der b;se Geist, da; ich mir schier ein Leds angetan h;tte!“Michel Knelsen strich seinem Beichtkind eine trotzige Haarlocke aus der Stirn und sagte: „Versuch’s einmal mit mir! Topp, schenk mir dein Vertrauen so viel und solange und insoweit du selbst f;r gut befindest: am Ende kommen wir beide etwa schneller vorw;rts. Das aber sei deine Losung von heute: In deiner jugendlichen Vollkraft, dem Kopf gerade, das Auge offen! Nimm, was dein ist, und gehe hin! Wer sich mit de Pracharie nicht weit, ist nicht wert das hei se hawt!“ Ja, das war nun bald ein anderes im Hause des Michel Knelsen. Der Franz n;mlich hat es allen angetan, nicht der m;rrische, verschlossene und wunderliche Franz von fr;her, sondern der offen, heitere Strebemann. Die lebenslustige Grete gestand  ganz offenherzig ihren Gefreundinnen, da; sie es eigentlich bisher gar nicht bemerkt habe, wie seelengut der Franz im Grunde genommen doch sei, und auch nicht, wie er so sch;ne Augen habe.  Die Tagesarbeit ging nun noch besser von H;nden  als fr;her, und nach derselben begann das Vergn;gen, Was standen da auf Franzens Regal nicht schon f;r B;cher, eines packender zu lesen als das andere von L;ndern und V;lkern aus alten und noch ;lteren Zeiten. Franz wurde nicht m;de zu lesen und zu lernen. Ehe er aber abends in die Privatstunden zum Ortslehrer ging der ihn in allerlei Wissenschaften, in Rechnen und Schreiben unterwies setzte sich die Grete zu ihm an den Tisch und ;berh;rte seine Sach‘. Die Grete aber war sehr streng und duldete nicht, da; er etwas ;berspringe oder stotterig sage, und hat mit der Zeit auch selbst viel davon profitiert. Nach der Stunde  sa;en sie mit dem Hausvater zusammen die Mutter war schon seit Jahren tot, um ein gutes Buch, das von den Freuden und Leiden unter Menschen sch;ne Geschichten erz;hlte, bis die Uhr 10 schlug und der Abendsegen den Tag beschloss. So flog die Zeit dahin. Die Grete hat den Franz auch ferner nie mehr schnippisch behandelt, sondern hat sich die Augen rot geweint, als er im folgenden Fr;hjahr zum Kronsforstdienst eingezogen wurde. Vier Jahre lang als Soldat im fernen, einsamen Forstdienst zuzubringen, kommt jungen Leuten schrecklich vor, besonders wenn sie daheim eine wissen, die sie von Herzen lieb haben, die die Stunden bis zum Wiedersehen z;hlt, und die mehr Anziehungskraft besitzt als der Wald und das Vaterland zusammen. Der Franz aber hat der Grete zum Abschied warm die Hand gedr;ckt und gesagt: „Beh;t‘ sich Gott! Auf Wiedersehn, und wein‘ auch nicht, Gretchen!“ Dann ist er vom Hof gesprengt, hat sich auch nicht einmal umgesehen. Zum Christfest ist er wieder gekommen auf Urlaub und hat ein Silberb;ndchen am gr;nen Halskragen getragen, das Abzeichen des Gefreiten. In den Urlaubswochen haben sie’s getrieben wie vor dem Dienst; nur hat’s dem Alten, und besonders der Grete, gar nicht recht gefallen wollen, das der Gast auch jetzt sich so ganz als Knecht geb;rdete, und haben ihn oft  aus Stall und Hof hereingeholt zum gastlichen Geplauder. ;bers Jahr ist er wieder um dieselbe Zeit auf Urlaub gekommen, derselbe Franz Funke, nur hat er jetzt zwei Silberb;nchen am Halskragen getragen, das Abzeichen des ;ltesten Gefreiten was so viel bedeutet als der Unteroffizier in der Armee und mit einem m;chtigen dunkelbraunen Schnurrbart. Die Grete hat sich nicht satt sehen k;nnen an dem schmucken, schneidigen Unteroffizier und ist ganz  rot im Gesicht geworden,  als die Dorfsm;dchen ihn auch h;bsch gefunden. Als nun die vier Dienstjahre endlich herum waren, h;tte ihn der F;rster gerne als Forstgehilfen dort behalten. Der Franz aber hat’s dankend abgelehnt.  Es zog ihn heim mit tausend F;den, heim zu Ohm Michel und zu seiner lieblichen Tochter.  Daheim angekommen, hat er nun seine Uniform ausgezogen und zum Andenken an die Dienstzeit in den Schrank geh;ngt, was er fr;her, so oft er nur auf Urlaub gekommen war, nie getan. Nachher ist er einige Tage wie tr;umend umhergeschlichen. Es gab ja auch in Stall und Scheune, Hof und Feld so viel Gelegenheit, vom Hause abwesend zu sein so viel Dreckigkeiten. Der schlaue Alte hat’s wahrhaftig wieder gemerkt, da; in dem Burschen etwas stecke, diesmal aber auch, was in ihm steckte, Am n;chsten Sonntag hat er seine Grete bei der Hand genommen, sie zu Franz gef;hrt und mit heiligem Ernst gesagt: „Nimm, was dein ist!“ Und die gl;cklichen Kinder sind vor dem Vater in die Knie gesunken und haben den Segen empfangen. Als Franz der Grete seinen ersten Ku;, den Verlobungsku; gegeben, hat er freudetrunken zum Vater gesagt: Noch ein St;cklein Seligkeit! Wor;ber dieser so herzlich gelacht hat, als ihm die gl;ckliche Braut in vier Jahren nicht hat wollen lachen h;ren.

Hans Klaas

 Der gute Hans Klaas! Was m;chte er wohl gesagt haben, wenn er sich pl;tzlich gedruckt  schwarz auf wei; gesehen? Ihr meint, er h;tte die Augen weit aufgerissen, die Faust geballt, mit den F;;en getrampelt und geschimpft, wie andere Menschen tun, wenn sie so ungeniert ;ffentlich besprochen werden? Nein, durchaus nicht! Soviel ich ihm kannte und ich kannte ihn gr;ndlich, denn wir waren l;ngere Zeit Nachbarn, d. h. ich wohnte in der Mitte des Dorfes, und er auf dem Ende, in der Anwohnerreihe, genannt die Petersburger wie gesagt: soviel ich Hans Klaas kannte, h;tte er den Vers auf seine Person nicht gelesen, und wenn’s ihm jemand gewaltm;;ig vorgelesen, w;re er dar;ber sanft eingeschlummert, und w;re es endlich einem Pfiffikus gelungen, ihm klarzumachen, da; man ;ber ihn so Schreckliches gedruckt, h;tte er ihm abwehrend seine Rechte mit ausgespreizten Fingern zweimal entgegen gehalten und mit der gr;;ten Seelenruge gesagt:“‘ck heit G…ts Jaab; dat geiht mi nuscht nich an; dar ward’n ann’rer mit ment sen’n!“ Das w;re schon richtig gewesen, aber niemand nannte ihn so, wie er im Kirchenbuch eingef;hrt war. Sprach jemand im Dorf von ihm, dann sagte er gewiss: „Dat’s so’fn Hans!“  oder: „Dat`s so`nKlaas!“  Darum nehm ich mir das Recht, ihn auch so zu nennen, umso mehr, da bisweilen recht ehrenwerte M;nner diese Namen tragen. Hans Klaas war der faulste Mensch auf Erden. Nun glaubt der geneigte Leser, es wird etwas h;chst Spannendes oder Komisches kommen. Weitgefehlt! Dem Hans Klaas ist in seinem Leben nichts Interessantes oder gar Abenteuerliches widerfahren. Ihm ist nicht einmal etwas fehlgeschlagen, woran doch das Leben anderer kurzsichtiger Sterblicher so ;beraus reich ist; nicht, da; er so besonders viel Gl;ck hatte, oder so besonders richtig kalkulierte, nein! Einfach, weil er sich nie etwas ernstlich vernahm, mit seiner Lage zufrieden blieb und niemals vom Hochmutsteufel geplagt wurde , hoch hinaus zu wollen. Dumm war nun Hans Klaas auch nicht, wenn auch schon kein Salomo. Er konnte z. B. recht schlau ;berlegen, da; er bei der Arbeit oder sonstigen Unbill, welche das t;gliche Leben der Kampf ums Dasein h;ufig im Geleit hat, immer ;brig blieb zum Leidwesen seiner getreuen Trine, Und solches bringen du und ich nimmer fertig, haupts;chlich, wenn’s gilt, einem unserer Lieben die Last zu erleichtern. An einem heiteren Fr;hlingsmorgen hatte die bewegliche Trine ihren Hans auch richtig bis an den Misthaufen buxiert, ihm den Spaten in die Hand gedr;ckt und nicht gerade im kosenden Fl;sterton anbefohlen: „Hans Klaas, den Miststichst du aus! Ich hab‘ die, Ruh den Winter  hindurch besorgt von allen Enden, unten und oben nach Leibeskr;ften; und den Mist nun stichst du Hans Klaas, du und kein anderer!! An Ofen hucken und dir den Buckel w;rmen willst wieder im Winter? Daf;r stichst du jetzt auch den Mist! Sieh doch mal!  Oder soll ich ihn der mit Eis und Schnee w;rmen und die Kartoffeln an der Sonne schmoren, Hans Klaas?!“Dem Hans Klaas aber wird’s ganz schw;l vor Augen ob dieser harten Rede. „Ach, jene ja! “ denkt er bei sich, als seine unbarmherzige Gattin davongegangen war, „was steckt man den Gro;e dabei auf? Das tut mir auch eine Lohn Frau f;r 30 Kopeken in einem oder zwei Tagen.“ Und sein m;der Blick irrt verlangend von den schmutzigen Misthaufen auf den prachtvollen Birnbaum hinter seiner H;tte, in dessen k;hlem Schatten er an hei;en Tagen regelm;;ig seine zwei Sitzungen abh;lt: die erste von morgens bis mittags, und die zweite von mittags bis abends. Er steht eine geraume Zeit, den Spaten in dem Sand, und gr;belt nach. „Ja, wenn ich den Birnbaum umgraben sollte,“ sagt er halblaut f;r sich und st;;t den Spaten in den Misthaufen, „und ihm bei dieser D;rre zehn Eimer Wasser geben sollte, da br;chte er mir gewi; drei Pud Birnen mehr; Das Pud zu 2 Rubel, davon 30 Kopeken Mistgeld ab, bleiben mir 5 Rubel und 70 Kopeken rein und brauch mich nicht ein sudeln wie ein Schwein. Unwillk;rlich naht er sich dem Baum, und bald sitzt er auf seinem Platz und rechnet und rechnet. „Wenn ich diesen, Vollogg‘ hier ausrotte und jene Kalkgrube mit schwarzer Erde zusch;tte, k;nnte ich einen Raum schaffen, auf dem ich noch wenigstens zehn Birnb;ume pflanzen w;rde. Wenn ich die dann alle Jahre tief und locker umgrabe und jedem zehn Eimer die Woche gebe, ja dann.dann schlief er friedlich ein und schlief, bis seine Trine die Kartoffeln auf den Tisch gebracht. Wie Trine eine Kuh mit in die Ehe gebracht hatte, so Hans Klaas Pferd und Wagen. Das Fuhrwerk aber hatte ihm keine Freude und nur Verdruss gebracht. Das Pferd mu;te gef;ttert und gereinigt, der Wagen geschmiert werden. Dazu das „ewige Gekodder“ zu den Freunden, was Trine „St;ndierlich“ anstellte. M;chte doch zu ihm kommen, wer etwas von ihm wolle oder lieber zu Hause bleiben!  Er f;r sein „Part“ brauche kein Freundschaft‘ und wolle Ruhe haben. Da kommt ihm just ein zigeuner in die Quere , und das Fuhrwerk, welches einen Wert von 150 Rubeln hatte, wurde gl;cklich f;r 32 Rubel losgeschlagen, Aufs h;chste erfreut ;ber den guten Handel, l;st Hans Klaas noch den Eimer vom Brunnen und schenkt ihn dem braunen Burschen drauf, mit der Berechnung, er werde ja nun nicht mehr Wasser aufziehen d;rfen was ihm am schlechtesten beim F;ttern gegangen. Weil ja das Pferd verkauft sie. Zum Gl;ck ist gerade Trine dar;ber gekommen und hat dem Zigeuner den Eimer aus der Hand gerissen, auch schon ihre Hand erbost nach dem R;slein ausgestreckt, Da ist dem H;ndler doch flau geworden   um seinen guten Handel, hat aufgepeitscht und ist schleunigst davongefahren. So hat Trine nur den Eimer retten k;nnen und ist schnurstracks zum Schulzen gelaufen, um f;r den Hans Klaas Vorm;nder zu fordern. Der Schulze und alle Bauern des Dorfes, ohne Ausnahme, haben der Trine recht gegeben und gesagt_ „Hans Klaas m;sse Vorm;nder haben!“ Nur hat sich keiner entschlie;en k;nnen zu diesem Amt; bis es endlich zwei Nachbarn versuchen wollten, jedoch unter einer Bedingung. Dass, wenn’s alles nicht wolle, sie ein Recht h;tten, ihre bekannten Vorm;nder Rechte an ihm auszu;ben was ihnen auch lachend zugestanden wurde. Der Trine aber, die w;hrend der Verhandlung bescheiden an der T;r gestanden und sich hin und wieder mit dem Zipfel ihrer breiten blauen Packsch;rze eine Tr;ne aus dem Auge gerieben hatte wurde angedeutet , zu gehen und den Hans Klaas herbeizurufen. Hans Klaas kam; ihm wurde alles, was ;ber ihn beschlossen worden war, lang und breit auseinandergelegt. Er h;rte die ganze Geschichte mit einer bewundernswerten Seelenruhe an. Dann hob er langsam seine Rechte empor, spreizte die Finger gegen den Schulzen und sagte: „Kickt mal irst in de rusche Gesetzb;ker nah, off ju uck‘ n Recht hawe, mi V;rm;nder tau maken!“ Trine war’s doch nicht ganz geheuer ;ber dem, was sie angestiftet hatte, aber Hans Klaas hat ihr’s nicht nachgetragen, um so mehr, da er ja keine Vorm;nder bekommen und sein beschauliches Leben ruhig und ungest;rt fortf;hren konnte. Diesen Leuten hatte der liebe Gott in Gnaden nur einen Jungen geschenkt, Der Kleine war das gerade Gegenst;ck von seinem stillen Vater, denn er schrie viel, schrie bei Tag und Nacht mit kr;ftiger Stimme. Doch das st;rte den Vater durchaus nicht. „Hawt hei Lost dartau, dann lat em belken!“ beruhigte er seine bek;mmerte Gattin. „Hans Klaas! Du!“ …weckte ihn Trine einmal gegen Morgen, ihn dabei t;chtig mit dem Ellenbogen in die Seite sto;end, „du, Hans Klaas, sch;mst di gor nich? Schnarkt os ‚n Kind un lat ni de ganze Nacht d;rch w;gen! Sag mal, Hans Klaas, is dat Kind nich so gaut dint os mint?“ „Lat mine H;lst man schrien, Trine!“ versetzte Hans Klaas schlaftrunken, kehrte sich zur Wand und s;gte ruhig weiter.  Jahre schwanden. Der Birnbaum hinterm H;tlein ist vertrocknet, das B;nklein darunter verschwunden, nur ein Fu; steckt noch halb aus der Erde hervor. Bald holt Frau Trine, jetzt schon stark alternd, auch diesen letzten Rest von der Bank, um sich ihren bescheidenen Kaffee zu Kochen. Hans Klaas ist nicht mehr; er fehlt auch keinem.

Ohne Geld.

Vor vielen , vielen Jahren , was ist ;brigens schon so lange her, dass ihr’s  auch nicht glauben braucht, falls ihr keine Lust dazu versp;rt, also, vor vielen, vielen Jahren sa;en in einer Dorfschenke f;nf Bierkumpane um den Stammtisch herum und schnackten ;ber dieses und jenes, was ihnen ebben die schlechten Zeiten oder das schlechte Bier auf die Zunge legte. Obenan sa; der kleinwirt Gernegro;. Er war eigentlich von Rechts wegen nur noch ein halber Kleinwirt, denn er besa; nur ein halbes Kleinwirtsland  zw;lf Morgen und eine halbe, mit einem bauf;lligen H;tlein darauf, durch dessen schmutzige Fensterscheiben fast t;glich die Armut von innen heraus und die Gl;ubiger von au;en hinein Kuckuck spielten. Vor f;nf Jahren freilich war’s  anders gewesen. Da hatte sein Schwiegervater das Zeitliche gesegnet und ihm eine vollwirtschaft hinterlassen, wie man zu sagen pflegt, „so os’t  ritt onn fahrt, “  dazu  ein gut St;ck an Barem. Gernegro; hat auch vor lauter Freude seinem Schwiegervater, der ihn stets etwas knapp gehalten, auf dessen Begr;bnis Keine Tr;ne nachgeweint,  wenigstens keine aufrichtige. Bald darauf sind die vielen Freunde gekommen, wie weiland zu dem j;ngsten Sohn in dem Gleichnis, das der Herr Jesus erz;hlte. Die mit den blanken Kn;pfen und den goldenen oder silbernen Achselpl;ttchen beherrschten ihn v;llig ganz. Die Karten kamen, mit ihnen die Kanne. Karte und Kanne aber sagt das Sprichwort macht manchen zum armen Manne. Es ging hoch her die Gernegro;ens.  Kaum, dass er deine schlichten Bauernnachbarn noch gr;;te wegen der vornehmen Hausfreundschaft aus der Stadt. Es schmeichelte ihm ;ber die Ma;en, wenn so ein vornehmer Herr ihm die Hand sch;ttelte und ihn st;ndierlich mit Gernegro;ewitsch titulierte. Nach zwei Jahren oder drei hatte sich die Vollwirtschaft in eine Halbwirtschaft verwandelt; in zwei weiteren Jahren hatte sich diese wiederum in eine Windm;hle verwandest, zu der eine Kleinwirtschaft geh;rte. Zu Ansang des f;nsten Jahres hatte Gernegro; auch die Windm;hle verkaufen m;ssen, dazu das halbe Land seiner Klein Wirtschaft, und es hat noch nicht ausgereicht,  die Schulden zu decken. Das war die kurze Geschichte von dem kurzen Gl;ck des Gernegro;, und es hatte ihn das Ungl;ck nicht gebessert. Vielleicht tat`s die raue Notwendigkeit nachtr;glich?  Er schimpfte nicht und haderte nicht, raste sich aber auch nicht auf zur Arbeit, zum Ringen  ums  t;gliche Brot f;r sich und die Seinen, die durch seine Schuld gefallen. Er zehrte vielmehr von den Erinnerungen an jene goldene Zeit Die anderen Tischgenossen hatten kein unbewegliches Verm;gen, aber auch, weil ihnen nie jemand einen Kredit gew;hrt, keine Schulden. Da war der Flickschneider Fingerhut, ein kleines hageres M;nnchen,  das fortw;hrend hustete beim sprechen. Neben ihn sa; der Grobschmied Eisenfu;, ein kleiner gedrungener Mann mit aufgedunsenem Gesicht. Dann folgte B;ckermeister  Kringel und ein zugereister Handwerker, namens Tausendk;nstler. „Ach, jene ja,“
 Seufzte Gernegro;, seinen Kumpanen zutrinkend, „es gab eine Zeit, in der ich mit euch hier nicht gesessen und schales Bier getrunken h;tte.“  Fingerhut: Kch;.., es kommt eben alles drauf an …,kch;… drauf an, sag‘ ich…, kch;… wie’s zugeschnitten wird…, auf den richtigen Schnitt, sag‘ ich nur, kommt’s drauf an … kch;, kch;!“
 Eisenfu;: „Schnitt hin, Schnitt her   Klang zum Klang! Wo’s auf dem Amboss klingt, jedwedes F;chslein springt  am schiersten der Goldfuchs. H;tten mich die nichtsnutzigen Gesellen nicht um die Kundschaft gebracht, s;;‘ ich heut‘ auch nicht daher wie die Eule‘ im Sonnenschein. Das wollt‘  ich sehen, Schneider!“ Gernegro;: (In seliger Erinnerung verloren.)
 „Da sitzt man vor der T;r beim Abendessen und denkt an nichts Schlimmes. Pl;tzlich sprengt eine Equipage auf dem Hof. Die Frau l;uft hinein, de Kinder hinters Haus. Man kann sich doch so vor dem vornehmen Herrn nicht zeigen. “ Ich schl;pf’ schnell in den Rock , der zum Gl;ck;ber der Stuhllehne h;ngt.  Da springt auch schon  der Herr aus dem Wagen: Ach,  Gernegro;ewitsch, wo steckst nur? ‘  Wir stehen n;mlich auf Du, Warum kamst nicht vorgestern?  Es war ungemein lustig; nur du hast uns gefehlt, Heut‘ bin ich extra herausgekommen, dich abzuholen zu meinem Geburtstag. Ohne dich geht`s nun mal nicht mehr, drum sput‘ dich! Nu, was soll man denn dazu viel sagen, der Sonntagsstaat wird hervorgeholt und heidi! Man hat ja auch so seinen Stolz. Auf dem Geburtstag geht’s fein her! Da kommen Suppen und Braten, Enten, Kapaunen, S;;es und Eingemachtes! Und hier z. B. sitz ich und dort schr;g;ber, wo Fingerhut sitzt, ein Herr von der Post in Uniform. „Herr Gernegro;ewitsch“. ‘ ruft die Uniform, „prost!“  Nun, man wei; ja auch, was sich schickt, Dann noch ein Wohl auf die Gesundheit der Hausfrau mit Sardinen und Konserven. Dann ein Wohl auf den Hausherrn mit eingelegten Gurken und ;l beeren, daumendick. Dann noch etliche allgemeinen Wohls. Und wenn du voll bist zum Platzen, meinst doch nicht schon Messer und Gabel hinzulegen und aufzuh;ren? Nicht in die geringste Entfernung. Herr Gernegro;ewitsch, noch ein St;ckchen Fleisch! Bitte sch;n, noch ein Tellerchen von diesem hier oder von jenem da, oder einen Kuchen!“Kringel: „Backen tun die da wohl auch nicht selbst, wie unser D;rfler, die unsereinem nicht das St;ck Brot g;nnen?“ Gernegro; (rasch): „Die?   Backen? Nicht in die geringste Entfernung. Alles Brot wird vom B;cker, alles Essen portionsweis aus dem Gasthaus geholt. Ja, das kost ‘was! Und das will woher kommen!  Fingerhut:“kch;… was ich sagen wollt‘..,im richt’gen Schnitt liegt’s .., kch;…, auf den Schnitt kommt alles an…, kch; .. der eine hat ihn im Kopf  und …kch;.., der andre auf den Beinen.., wie ich schon nur sagte…, kxh;, kxh;.., wo der Geldbeutel keine Falten schl;gt… kch;..  Tausendk;nstler…“da trinkt man Wasser statt Wein und l;sst S;lzfleisch „Rehbraten hei;en.  Eisenfu;: „Der Mann hat recht. Sto;t an, Tausendsasa oder Tausendk;nstler, oder wie ihr hei;t. Klang zum Klang! Und wer sich so den Tag hindurch abgequ;lt, will auch sein Vergn;gen haben und ab und zu etwas Apartes zwischen die Z;hne!“ Gernegro;: „Dann wird abger;umt. Iwan hurtig die Karten! Die Weinflaschen lass nur noch stehen! Und ‚n bisschen pl;tzlich, wenn ich bitten darf! Herr Gernegro;ewitsch, ist’s nicht gef;llig eine kleine Stukolka!  Nat;rlich, man wei; ja, dass man sich nicht darf  lumpen lassen. Man klopft pick zu auf tjomnoje! Und die Herrschaften klatschen in die H;nde und lachen sich halb tot, wenn man so reinf;hrt einmal ;bers andere Mal. Ja, wer erst mit solchen Leuten zu tun gehabt; wei;, was sich schickt…“  Tausendk;nstler: „Und wenn sie ihm den letzten Heller abgeluppert  haben; dann hei;t: Nu scher er  sich zum T! Wir kennen uns nichtweiter! ‘  Und dann suchen sie sich einen anderen T;lpel mit Geld, und dieselbe; Witscherei‘ geht aufs Neue los! “ Gernegro; (verlegen, err;tend): „Ganz so schlimm war’s nun eigentlich nicht. Aber sch;n war’s nun eigentlich nicht. Aber sch;n war’s doch gewesen! Und wenn..“ Eisenfu; :“Klang zum Klang! Sagt der Rohrstock zur Stimmgabel.  Der St;dter passt zum Bauern wie Spitzfinger in den Geldsack. Topp, Gernegro;, wenn’s noch mal soweit sollt‘ kommen, h;ltst lieber mit uns! Wir leben und lassen leben!“ Fingerhut: „Kch;… was ich sagen wollt, kch;… jeder hat seinen Schnitt… schon mit auf die Welt gebracht… kch;, kch; … und das B;geleisen liegt in Vaters Spind…., kch;.. Kleider machen Leute, aber Geld b;gelt… kch;… b;gelt sie aus … kch;… auf den richtigen Schnitt kommt’s drauf an…“ Kringel: Jeder Esel, der mit Gold klimpert, wird hochgehalten, unsereins aber bleibt dumm, Das ist die Falschheit der Welt, Wei; ich nicht, was der Professor wei;, wei; auch der Professor nicht, was ich wei;. Es kommt auf eins raus mit die Klugheit!“  Tausendk;nstler: „Ihr seid auf der rechten F;hrte. Die ganze Ursache‘ von all dem Elend liegt im Geld, aber nicht etwa darin, dass man keines hat. Geht doch, der Wein ist da; ja?“  und alles ist da, auch wenn wir f;nfe z. B. keinen einzigen roten Heller haben. Die wahre Ursache‘ ist eben die, dass Geld da ist und uns ;berall absperrt. W;r‘ kein Geld da, so trieben wir’s wie andere und die anderen wie wir, Wir ;;en Kapaunen und tr;nken Wein dazu wie jeder andere ehrliche Christ.“ Gernegro;, Eisenfu;, Kringel: „Der Mann hat recht… das verw;nschte Geld! Wie wir nicht fr;her darauf gekommen sind! “Fingerhut: „Kch;… was ich sahen wollt‘ ... kch;, die Arschin hat 16 Werschok ... kch;… und die Nadel ein Ohr und eine Spitze… kch;… ja, es kommt alles darauf an, ob der Schnitt… kch;, kch; … was ich schon nur gesagt ... kch; … wie k;nnt‘ die Arschin n;hen und die Nagel messen? … kch; … frag ich euch … kch; … und wer wird’s verrichten? …kch;, kch;, kch;!“ Tausendk;nstler: „Unsinn, Fingerhut! Ich mach dir alles, was du willst, auch Hosen. Das w;r das kleinste, Man muss nur wollen. Nun ich eure Gesinnung kennen gelernt, will ich euch was verraten; aber reinen Mund halten! (Alle dr;ngen sich um den Erz;hler, der im Fl;sterton beginnt.) Auf meiner Reise nach Amerika sah ich links vom Schiff im Ozean eine Insel liegen, mutterseelenallein. Wald, Berg und Tal ein Paradies. Noch geh;rt sie keinem, denn kein Reich hat noch seine Flagge auf der Insel gehisst. Kein Mensch wohnt darauf. Da hab‘ ich so bei mir gedacht, wie m;sst‘ es sich dort doch mit einigen Gesinnungsgenossen herrlich leben lassen! Geld brauchte man keines; ist doch daselbst sowieso nichts zu kaufen. Was du brauchst und wie viel du brauchst, nimm dir zu jeder Zeit. Vogelscharen fliegen da umher, dass sie die Sonne verdunkeln, und Wild so viel, dass es sich auf die Zehen tritt, wie auf einem russischen Markt die Menschen. Der Wein w;chst an den Bergabh;ngen, der Kaffee auf den B;umen, und den Schman dazu liefern die wilden Ziegen, Einen Winter gibt’s keinen, und im Sommer kampiert man im k;hlen Wald am sprudelnden Quell. Hei;a! Fehlt noch was?“ Gernegro;: Ja, das w;re!  Eisenfu;: „Da muss man hin!“ Kringel: „Lieber heut ‘als morgen! Wenn’s nur nicht so weit w;r‘!“ Tausendk;nstler: „Pah! Weit? Keine Hundert Reisegelder auf einen jeden mit Anhang. ;brigens, Geld nehmen wir ohnedies keines mit. Wir treffen ein ;bereinkommen: bei wem wir in unserer Ansiedlung Geld finden, der wird als Landesverr;ter behandelt. Lang‘ genug, will ich meinen, haben wir uns von dem toten G;tzen knechten lassen! Fort mit dem Geld!“ Alle: „Fort! Fort mit dem verw;nschten Geld!“ Fingerhut: … „Kch;… ein Riss ist bald geheilt und – kch;... ein L;chel verf;delt ... kch; … wenn’s aber fehlt, hilft hernach kein Schnitt… kch; … und es geht ans eigene Leder. kch;, kch;.“ Tausendk;nstler: „Du brauchst blo; deine Schere mitzunehmen, Schneider. F;r alles ;brige lass mich sorgen. Es gedeiht dort eine Pflanze, aus deren Fasern ich dir das allerfeinste Tuch herstelle. W;hrend Fingerhut uns die Kleider n;ht, sammelt Kringel  die Frucht von den Brotb;umen und b;ckt uns ein schmackhaftes Brot. Eisenfu; bleibt auch nicht ohne Arbeit. Eisenerz findet sich genug auf der Insel. Zum Gl;ck habe ich drei volle Jahre am Hochofen geherstellt, Gernegro; liegt der Jagd und der Fischerei ob und versorgt unseren Tisch, w;hrend die Frauen und Kinder Weintrauben pfl;cken, Wein keltern oder Beeren sammeln zum Einmachen, Nunn sagt, Freunde, kann man’s besser w;nschen? Das steht uns bevor, w;hrend wir hier ein elendes Leben f;hren. „Gernegro;: „Topp, schlag ein!“(reicht ihm die Hand). Alle: „Wir sind dabei, Tausendk;nstler! Fort mit dem Geld, fort mit dem Elend! Fort nach Insel Ohnegeld!“Tausendk;nstler (geheimnisvoll und eindringlich): „Vergesst aber nicht, Freunde, kein Wort davon zu anderen! Wir verstehen uns und bleiben allein.“Fingerhut: …“kch; … was ich mur fragen wollt‘ …kch; … was ein Pfuscher ist und hat nicht den Schnitt, n;ht und b;gelt daran herum… kch; ... und die Kledasch bleibt verdorben... kch; … kch; … Was erst links vom Schiff liegt… kch; … kommt nachher rechts zu liegen … wie ich schon nur sagte..kch; … wenn’s vom verkehrten End‘ angeschnitten wird … kch; … und man findet am Ende‘ nicht einmal? .. kch;, kch;, kch;! Gernegro; (misstrauisch): „ Er will uns doch  nicht ums Geld prellen, Tausendk;nstler? Geld kriegt Er nicht von uns, nicht in die geringste Entfernung!“ Tausendk;nstler: „Seht, Herr Gro;ewitsch, wie recht ich hab‘! Kommt’s erst bis zum Geld, dann h;rt die Gem;tlichkeit auf, das Misstrauen und die Falschheit stehen obenan. H;rt alle: ich nehme von euch nicht einen roten Heller. Und gebt ihr mir einen, werf’  ich ihn ins Meer!“Alle : „Fort! Fort mit dem Geld!“ Eisenfu;:“Wie du uns nur in das gelobte Land ohne Geld bringen willst, Tausendk;nstler, das wollt ’ich sehen!“ Tausendk;nstler „kaltbl;tig“: „“Mich nimmt der Kapit;n, der mein guter Freund ist, umsonst mit, und ihr seht, wie ihr mitkommt. Ist’s euch recht, bring‘ ich ihn nach etlichen Tagen her, Bis dahin k;nnt ihr euch einiges Geld machen, d,h, falls ihr mitreisen wollt. Das Geld zahlt ihr nat;rlich nur, wenn ihr erst die Fahrkarten in den H;nden habt!“ Alle: „Recht so! einverstanden! Was k;nnten wir verlieren?“ Tausendk;nstler (sich erhebend): Nun, auf Wiedersehen, um eine Woche. Seid aber auch fertig! Mein Kapit;n wartet keine 10 Minuten, und wenn hundert Passagiere am Ufer blieben. Nochmals: Maul halten! Adjei!  Die Bauern sch;ttelten die K;pfe ;ber das geheimnisvolle Treiben der Landlosen  mit Gernegro; an der Spitze. Die wenigen Habseligkeiten der Handwerker wurden beim Gernegro; zusammengetragen  und f;r Spottpreis versteigert. Gernegro; behielt auch nicht viel mehr auf seinen Teil, weil die Kreditoren Wind bekommen hatten. Ohne Widerrede zahlte er jedem das Seine Welch Gl;ck stand ihnen bevor! Sie pfiffen auf die, die da meinten, sie seien alle zusammen rappelig geworden. Der Kapit;n kam richtig. Tausendk;nstler stellte ihn ehrfurchtsvoll vor. Es war ein Mann von finsterem, vornehmem Aussehen, mit schwarzem Bart, eine goldene Brille auf der Nase, in Uniform; selbst der Degen fehlte nicht an der Seite. „Ihr wollt also mitfahren nach der Insel Ohnegeld?“ fragte er die Auswanderer barsch. Alle: „Ja, Herr Kapit;n, wenn S‘ nicht zu teuer sind.“ Kapit;n: „es wird 100 Rubel auf die Familie kosten. Daf;r bekommt ihr Fahrkarten zweiter Klasse nebst guter Bek;stigung. Dritter Klasse ist’s nat;rlich billiger. Gernegro; nahm ein Billet zweiter Klasse zu 100 Rubel, die anderen je eines auf die Familie dritter Klasse, zu 28 Rubel. Des anderen Tages um 4 Uhr nachmittags sollten die Passagiere auf der n;chsten Bahnstation sein, wo sie Tausendk;nstler empfangen werde. .. Nun genug, lieber Leser. Du hast den Ausgang schon erraten. Es tut uns Lied um die Geprellten. Die Handwerker waren noch nicht viel schlechter dran als vorhin: sie hatten fr;her sehr wenig gehabt und jetzt nichts. „Auf den richtigen Schnitt kommt alles drauf an, „sagte auch sp;ter Fingerhut. Gernegro; aber zog bei Nachtzeiten, wenn alles schlief, mit dem Klapper in der Hand, als Nachtw;chter durch die Stra;en des Dorfes, in dem er einst Vollwirt gewesen, und schwelgte in R;ckerinnerungen an sein verlorenes, goldenes Zeitalter. Der Schulmeister des Dorfes hat sich vom Kringel die Fahrkarte nach Insel „Ohnegeld“ um einen Sack Mehl eingehandelt. Auf der Kehrseite der Karte standen in feiner Lateinschrift die die Haltestellen nach der Insel“ Ohnegeld “ verzeichnet: Tr;gheit, Dummheit, Schlendrian, Gr;;enwahn mit Hotel“Zum guten Wein“, die letzte Station; „Kneipenheim“. Nachdem der Schulmeister solches gelesen, hat er den Kopf gesch;ttelt und gemurmelt: „Ich hat’s billiger getan, Eine richtige Insel „“Ohnegeld“ haben wir auch im heiligen Bibelbuch: das Vaterunser. H;ttet ihr von Herzen gebetet: „und gib uns unser t;glich Brot!“ und flei;ig geschafft, w;r‘ euch dieser Tort erspart geblieben!“

Enth;llungen eines Falschen.
 Freilich, freilich, schloss mit einem Sto;seufzer seine Autobiographie der alte Dreier,  „wenn man so wie ich mehr als hundert Jahre im Gesch;ft gewesen, wird man endlich b;rseschwindelig. Besonders in dem engen Verlie; unseres gegenw;rtigen Wirtes, des kleinen Schmiedejungen, ist es doch recht enge und unappetitlich! Steckt nicht das Kerlchen alles, was er nur irgendwo von der Stra;e aufliest, zu uns in die Blechdose. Sieh nur, Falscher, f;nf  krumme N;gel, zwei verrostete Schrauben, eine Versicherungsnadel, eine halbe Messerklinge, eine Stahlfeder  au;er Dienst, ein halber Messingring, ein Angelhaken. Das klimpert und klappert, kratzt und sticht immerfort, dass man tagaus, tagein keine Ruhe finden kann! Noch nie ist mir die Lust so knapp und die Zeit so entsetzlich lang geworden ,und dazu ist wohl keine Hoffnung vorhanden, aus dieser Dose einmal fortzukommen; denn noch gestern Abend hat’s der Kleine hoch beteuert, er wolle die ganze Dose voll Geld sammeln und dann eine eigene Schmiede kaufen mit Blasebalg und Amboss, Schraubstock, Feilen und Hammer ..“
„Es wird nichts so hei; gegessen, wie gekocht“, fiel der Falsche dem Dreier in die Rede, „die kleinen Menschen vergessen ihre guten Vors;tze gar bald. War doch der Gert Richert um einen Schuh h;her gewachsen als unser Schmiedchen und wollte mich eines Tages ernstlich in die Mission zu den wilden Heiden schicken, Zum Gl;ck kommt ihm da der Kubb D;ck ;ber den Weg und hat ein Paar blitzblanke Schlittschuh feil, die nicht mehr und nicht weniger als einen Silberrubel kosten sollten. So bin ich nochmal wieder unter guten Christen geblieben. Du kommst eher fort von hier, als du glaubst, Dreier!“ „Freilich, freilich!“ hob dieser wieder bed;chtig an, „wir roten sind im Grunde genommen friedlich geartet und meiden gerne allen Zwist, doch das muss ich frei bekennen: bei der alten Grete Langemann war’s doch ein andere Leben als hier … bei der alten Grete! Freilich, freilich! von der ich dir vorhin schon etwas mitteilte, die bei Schulzens das Gnadenbrot a;, weil der Schulze ihr Vormund war, ihr Kapital—das Erbe von hundertunddreizehn Rubel f;nfundsiebenzig Kopeken verwaltete, und weil die Schulzin ihre Muhme war, d. h. eigentlich, wenn ich die volle Wahrheit sagen soll die Halbschwester ihrer rechten Muhme, genauer: ihre von mutterseits an gefreite, also zusammengebrachte“ …“Brrr … Dreier!“unterbrach ihn hier der Falsche,  sch;ttelte sich ordentlich und machte ein ganz kl;gliches Gesicht,   „mit solchen H;ndeln hab‘ ich mich noch nie abgegeben; schweig doch lieber!“ „Freilich, freilich!“ fuhr der Dreier unbeirrt fort, „die alte Muhme, genauer gesagt: die alte Grete, hatte auch zuweilen ihre frohen Stunden. Dann holte sie den langen, weichen Wollenstrumpf aus dem Bettstroh unter dem Strohsack ihrer, Prosch ‘ hervor und sch;ttete mich mit meinen Kameraden vor sich auf die Bettdecke. Nun wurden wir nacheinander geputzt und ges;ubert, gestreichelt und geliebkost. Mich hat sie oft lange in der Hand gehalten und wehm;tig betrachtet. Dann hat sie geseufzt: Wo magst du, Armer, dich schon allenthalben in der Welt herumgesto;en haben? Was magst du nicht alles schon durchlebt haben? Und wer mag schon ;ber dir geweint haben? Dann hat sie lange mit dem Kopf genickt, und die dicken Tr;nen sind ihr aus den Augen getropft. Oft auch hat sie gesungen: Es kann ja nicht immer so bleiben in diesem Wechsel der Zeit! Der Krieg muss dem Frieden vertreiben‘…“  „Da hat die Schachtel ganz recht gehabt,“ rief der Falsche lachend dazwischen , froh, einen Moment abgepasst zu haben, den langweiligen Sprecher zu unterbrechen, „denk an mich, Dreier, du kommst noch hier fort; was giltst? Lass mal deine Jahr zahl sehen, Kamerad!“ „Richtig, wie ich bei mir dachte, w;hrend ich deinen Quatsch anh;rte. Der alte David zahlt f;r dich zehnmal mehr, als du wer bist, und kraut sich nachher hinter dem Ohre ;ber das gute Gesch;ft.  Ein hundertf;nfundsiebenzigj;hriger Dreier! Heidi, Marsch zum David! Er ;ffnet dir die Pforten ins Altenheim! Dort findest du altes M;nzenger;mpel, soviel dein Herz begehrt.  Die eine soll ein gewisser Napoleon gemacht oder verbummelt haben auf einer Insel; eine andere soll vor tausend Jahren ein Tatar  in der Krim in die Erde verscharrt haben. Hundertj;hrige sind dort nur noch nass grasgr;ne Wickelkinder j;nger ist keines und mit tausend darf man noch gar nicht vorlaut sein.  Du z. B. wirst dort trotz deiner Hundertf;nfsundsiebenzig nur ein, Gr;ner‘ hei;en. Mich hat man schon einige Male mit viel Heiterkeit entlassen, Begreifen kann ich solche Albernheiten  zwar nicht, warum ich, ein schlanker J;ngling, wie f;rs Gesch;ft geboren, jung und voll Lebenslust, nicht mindestens ebenso viel wert sein d;rfte, als die sch;bigen, abgegriffenen Dinger dort. Aber das kommt von den Menschen her, die innen einen Floh ins Ohr gesetzt haben. O, diese Menschen! Selbst wollen sie um alles in der Welt jung sein, und wenn sie’s nicht mehr sind, scheinen: fehlt ein Zahn wird ein falscher eingesetzt; sind die Backen welk und fahl, das Auge matt und das Haar grau wird gepudert, gef;rbt und gestrichen. Allenthalben wollen sie sich einen jugendlichen Anstrich geben. Wir M;nzen  aber sollen nun einmal steinalt sein, wenn wir Achtung genie;en wollen. Mich nennt man nur kurzweg den Falschen, und selbst nehmen sie’s mit der Ehrlichkeit furchtbar leicht, wof;r schon mein Dasein der beste Beleg ist.“ Der Dreier wurde unter der Rede des neuen Bekannten ganz aufgeregt in seinem kupfernen Herzen. Das war’s ja, wovon er jahrzehntelang getr;umt hatte bei Tag und bei Nacht die Unsterblichen aller Zeitalter zu sehen und ihren Geschichten zu lauschen. Ein gr;;eres Gl;ck begehrte er nicht! Er empfand etwa das, was ein alter, alter Mann empfindet, wenn er auf seinem einsamen Lebensweg pl;tzlich, unerwartet einem lieben Jugendfreund begegnet, von dem er seit der Knaberzeit nichts mehr geh;rt. Hei, wie da das eingerostete Ged;chtnis sobald erwacht! Hat er nicht T;glich geklagt, sein Ged;chtnis werde schwach? Und die junge Generation hat’s ihm aufs Wort geglaubt. „Die Menschen, die Alten nicht ausgeschlossen, werten Personen,  Dinge und Ereignisse nur immer danach, in welchem Verh;ltnis wir zu ihnen stehen; daher die weltfremde Abgeschiedenheit der Davoneilenden …. Zum David kommst, so wahr ich ehrlich bin!“ beteuerte der Falsche. „Woher kennst du denn den David?“ fragte der Dreier mit bebender Stimme. „Frag doch lieber, wen ich nicht kenne!“ versetzte jener selbstbewusst, „nur eins kann ich nicht begreifen, wie man so alt werden und noch so dummbleiben kann, Ich lebe noch kein Jahr und hab‘ mindestens zehnmal so viel gesehen und geh;rt als du. Mir scheint auch, euch Roten fehlt der klare Einblick in eine Sache; und das Verm;gen, wirklich Interessantes im Leben von dem Wertlosen zu unterscheiden, geht euch ganz ab. Vielleicht auch stellen sich bei dir schon die Altersschw;chen ein, wie bei deiner geliebten Heulgretemuhme?“ Kennst du auch die sogar? Fragte der Dreier erregt, da seine Neugierde aufs h;chste gestiegen war. „Kenn‘ ich; hat auch ;ber mir geweint, gesungen aber nichts vom; Bleiben‘   doch davon sp;ter!“ „Man muss das Leben nicht so tragisch nehmen und nicht erwarten, da; es dir etwas bringe. Es bringt nichts; aber bisweilen L;;t sich’s machen, dass nahm ihm seinen Teil, sei’s mit Schlauheit, sei`s mit List oder Gewalt, abringt“ das war das erste und kl;gste Menschenwort, das ich je geh;rt habe; es liegt ein tiefer Sinn darin und viel Lebensweisheit. Der es sagte, war ein wilder, kecker Bursche und ein Schelm dazu, denn tags darauf hat er vor Angst mit den Z;hnen geklappert. Diesen Widerspruch vergess ich ihm nimmer die Schlafhaube! „Doch ich beginne von Anfang und erz;hl‘ dir einige der wichtigsten Ereignisse aus meinem kurzen Leben: Nicht in Petersburg im M;nz hof bin ich geboren, sondern in einer einsamen Waldgegend in einer versteckten grausigen H;hle. Mein erstes Empfinden war eine f;rchterliche Gluthitze in allen meinen Gliedern; der blo;e Gedanke daran presst mir heute noch den Schwei; aus den Poren.  Dennoch denk ich, besser durch Qual zum Dasein zu gelangen, als nicht sein. Wie hoch stehen wir doch ;ber dem Menschen, der ohne uns gar nichts ist und sein Dasein verw;nscht. Er will die h;chste Autorit;t auf Erden Sein und schafft sich Verh;ltnisse, die ihn in vollst;ndigster Abh;ngigkeit von uns halten! Man m;chte hochm;tig dar;ber werden, wenn’s nicht zu d;mlich w;re! Nachdem ich insoweit abgek;hlt war, da; ich nach und nach zum vollen Bewusstsein gelangt und schon hoffnungsvoller emporblickte, sah ich in die lachenden wilden Gesichter zweier M;nner ;ber mir, welche mich mit gr;;tem Wohlgefallen betrachteten. Der ;lteste von ihnen sprach die oben angef;hrte Lebensweisheit, wahrscheinlich, um den mehr ;ngstlichen Kamerad zu tr;sten. Am Tage nach meiner Geburt wurde ich mit vielen meiner Kameraden in eine Truhe gepackt und in einem entlegenen Winkel der H;hle in die Erde vergraben. Jedoch schon in der folgenden Nacht weckte uns ein eigent;mliches verd;chtiges Klopfen, Kratzen und Scharren; und nach kurzer Zeit Wurden wir wieder an die Oberfl;che gezerrt.
Ich traute dem Frieden nicht und sann auf Flucht. Mit Gewalt wurde der Deckel der Truhe, in der wir lagen, gesprengt und im selben Augenblick sprang auch ich blitzschnell in die H;he und rollte behende in eine dunkle Ecke der H;hle, wo ich ruhig auf einem Haufen Ger;ll liegen blieb und mir die St;renfriede betrachtete.  Das  waren acht bis zehn finster blickende M;nner mit f;rchterlichen Schnauzern, langen Messern und Flinten. Sie schauten so wichtig drein, als ob sie etwas Gro;es  geleistet h;tten! Unsere kecken B;rschlein von gestern standen nun etwas abseits, an den H;nden mit Stricken gefesselt. Sie waren nicht mehr wiederzuerkennen; das Gesicht kreidewei;, die Z;hne schlagen h;rbar aufeinander wahre Jammergestalten. Ihrer Meinung nach hatte ihnen das Leben nicht genug gebracht;  sie hatten ihm wollen ihren Teil abtrotzen. Und als das misslang, war aller Mut dahin so’ne Lappen! Nachdem die Menschen alle mitsamt meinen ungl;cklichen Kameraden fort waren, fing auch ich an, ;ber mein Schicksal nachzudenken. Rings um herrschte Totenstille. Pl;tzlich stand, wie aus den Wolken gefallen, ein kleines munteres Tierchen vor mir und beschnupperte mich neugierig. Jetzt hielt es an, spitzte die kleinen Ohren und en einem Satz war’s verschwunden, so lautlos und fix, wie’s gekommen In der n;chsten Sekunde scho; ein langer feuchtkalter K;rper ;ber mich hin. Ein ;ngstliches Winseln und Piepen erscholl aus der Richtung, wohin das kleine Tierchen geflohen war. dann war‘s. wider still. Das gro;e Tier war hungrig und verspeiste das kleine; das war sein gutes Recht und bleibt sein gutes Recht, bis es von einem noch st;rkeren ebenfalls verspeist wird. Und man kann zu dem Recht nur; Wohl bekommt! sagen. Aber wer gilt bei den Menschen als der  Starke, der ein Recht auf den Schwachen hat? Man k;nnte hochm;tig dar;ber werden, wenn’s nicht zu d;mlich w;re! Der Monden schein drang durch die enge H;hlen;ffnung herein. Wie gern h;tt‘ ich dagelegen und mich beschimmern lassen! Da hopst ein plumpes Tier in ungeschickten S;tzen daher, will sich unter mir sein Bettchen machen und rutsch! Roll ich hinunter mitten in den blanken Monden schein hinein, lasse mich um kosen und glitzere mit ihm um die Wette. Das war k;stlich! Der langbeinige Monden schein ist jederzeit voll lustiger Schnurren und erz;hlte, wo er die Nacht schon gewesen und was er die Nacht schon gewesen und was er Komisches von den Menschen geh;rt habe, wie sie das blanke Geld viel lieber h;tten als sich selbst, wie sie’s aufspeichern in gro;en Haufen und lieber darben, als ein St;ck davon abgeben; und wie sie sich sogar untereinander t;ten um Geldes willen. Darauf bitt‘ ich sch;n, ob er nicht wisse, wie ich unter die drolligen Menschen kommen k;nne. „Soll bald geschehen;“sagte der Mond lachend, und in wenigen Minuten hat er einem alten Bettelmann an die H;hle geleuchtet. Ein Ruf der Freude entringt sich dem Greis, als er mich sieht. Flugs hebt er mich auf von der Erde und pre;t mich an seine d;rren Lippen. Dann setzt er sich auf den Stein vor der H;hle und betrachtet mich lange, bis im Osten der Tag graut, und der Mond Abschied nimmt. Der Bettler aber murmelt vor sich hin, w;hrend ihm   eine Tr;ne ;ber die andere in den eisgrauen Bart rinnt: „Vergib mir, Herr und Gott! Da; ich’s nicht melde!    M;g’es ein Reicher sein, der ihn verloren! Gib ihm, Herr und Gott, zwei  f;r diesen einen, Gesundheit und langes Leben!“ Darauf bekreuzt er sich fromm, das gramdurchfurchte Angesicht der aufgehenden Sonne zugekehrt. Nun humpelt er davon, dem n;chsten Marktflecken zu, wo er sich beim B;cker zwei Franzosenbr;tchen f;r den Hunger fordert. Der  B;cker betrachtet mich misstrauisch von allen Seiten, wirft mich auf den Tisch, auf den Stein, auf eine Eisenplatte umsonst! Ich klinge nicht. Klingst du etwa, Roter? Endlich gibt er mich entschlossen dem Bettelmann zur;ck und fordert ihm das gekaufte Brot ab. „Er ist falsch!“ erkl;rt er ihm mit ged;mpfter Stimme, sich vorsichtig umblickend, ob kein Polizist in der N;he sei. Traurig schickt sich der hungrige Mann an weiter zu gehen. Wagt es aber doch noch mal und bittet, ihm um Christi willen wenigstens einen Halben daf;r zu geben, er werde ihn schon an den Mann bringen. Da schreit ihn der B;cker an ob er ihn mit dem „falschen Hund“ in die Patsche bringen wolle? Er solle nur f;rba; gehen und zusehen, damit die Polizei ihn nicht erwische, denn in solchen Sachen verstehe sie keinen Spa;. Als der Bettler schon einige Schritte weiter gegangen war, rief ihn der B;cker nochmals zur;ck und erkl;rte ihm, weil er ein so gro;es Mitleid mit seiner Armut habe,  wolle er ihm die zwei Brote f;r den Falschen lassen. Ich kam nach einigem Z;gern des armen Mannes in den Besitz des B;ckers. Als der Bettler aus H;rweite verschwunden war, ver;nderte sich auch alsbald das strenge und mitleidige Gesicht des B;ckers. „So ein Gesch;ftchen macht man nicht alle Tage, mein T;ubchen, der Herr hat geholfen!“ sagte er lachend zu seiner mehligen dicken B;ckerin. Darauf wurde ich mit einem Pulver eigerieben, damit ich meinen Glanz verlieren sollte und alt scheinen und in die Schieblade unter das andere Silbergeld gemischt. Nach kaum f;nf Minuten tritt ein vornehmer Mann in den Laden und bittet den B;cker, ihm doch eiligst einen Zehner wechseln zu wollen, weil er n;tig Kleingeld brauche, Der Kurze, runde B;cker wollte schier vergehen vor tiefen B;cklingen und artigen Reden: er habe das Kleingeld heute am Basar Tag zwar selbst blutn;tig, aber weil’s gerade der Herr N. w;re, so wolle er ein ;briges tun und alle Taschen umkehren, vielleicht, da; er so viel Silber zusammenf;nde. Ich spazierte in die B;rse des reichen Mannes. Hier war’s mehr eng als gem;tlich. Die vielen kleinen gelben Racker taten auch recht hochn;sig und klirrten unaufh;rlich wie junge Kavallerieoffiziere mit ihren Sporen. Wir Wei;en k;mmerten uns endlich nicht mehr viel um das kleine Kruppzeug und, jene Maulhelden mehr und mehr an die W;nde der B;rse dr;ngend, machten wir uns breit. So hielt ich nach einer l;ngeren Eisenbahnfahrt meinen Einzug in Fredenshoff und bin seither nicht mehr von dort fortgekommen, abgesehen von einem dutzendmal aus ganz kurze Zeit, da man versuchte, mich an ausw;rts loszuwerden, und mich dann regelm;;ig am folgenden Morgen wieder von den Geprellten ohne zu leugnen zur;cknahm. Ehrlich sind die Leute zu Fredenshoff, das mu; man ihnen lassen, ob sie aber immer die richtige Erkenntnis, eine richtige Auffassung dieser Tugend, ohne sie breitzutreten, haben, wage ich zu bezweifeln. Zu Hause angekommen, wurden die Selben sorgf;ltig herausgelesen und in einen eisernen Schrank geschlossen, w;hrend wir Wei;en und die Roten achtlos in eine Schieblade des Schreibtisches gescharrt wurden. Ja, die Lade wurde nicht einmal ganz zugeschoben. Dieser Umstand hatte aber das Gute f;r mich, das ich sehen und h;ren konnte, was im Zimmer vorging. Bald erschien die Hausfrau und setzte sich zu ihrem Gemahl an den Tisch. Sie war mehr reich als geschmackvoll gekleidet. „Aufgedonnert, w;rden die St;dter sagen!“ belehrte hier der alte still lauschende Dreier. Der Falsche nickte und fuhr fort: „Na?“ fragt sie gedehnt, worauf er sich am Bein kratzend, den Blick durchs Fenster geworfen ebenso gedehnt:“Na, ja!“ Nach l;ngerem Schweigen hebt sie wieder an: „Na? Wo sitt’t mit de Kaufbrief onn de Iserbahn?“ „Dat schient so, os kunn’t waren.“ „W;rst up de Post?“ „‘ck fahr morgen nah Petersburg, on dat Ministerium!“Durch die Scheiben aber guckt der Mond, kneift ein Aug‘ zu und l;chelt verschmitzt. „Das sind die Goldanbeter,“sagt er grinsend, „diese vornehme Art rechnet nie mit Kopeken und Rubeln. Sie sind gro;z;gig in all ihren Unternehmungen. Ihr Auftreten ist selbstbewusst und fest. Durch h;ufigen Verkehr mit den oberen Klassen haben sie sich ein vornehmes, dem schlichten Bauersmann imponierendes Benehmen angeeignet und haben gew;hnlich ihre Papiermappen gespickt voll fremder Vollmachten, in welchen sich ihnen arglose, vertrauensvolle Leute mit Leib und Leben, Hab und Gut verschreiben. Wenn nun auch in zehn F;llen acht Unternehmungen verkrachen, so kann man doch noch nicht sagen, dass sie Gauner seien. Die einzige fast einzige Ursache dieser Erscheinung ist und bleibt, dass jenen so sicher auftretenden Herren das Verst;ndnis f;r ihr kommerzielles Unternehmen, f;r ihre Spekulationen, g;nzlich abgeht, plus Gr;;enwahn! “ Unser Gesch;ftsmann hatte sich mit seiner getreuen Gattin so tief in Gesch;ftspl;nen verloren, dass sie das Kindergeschrei aus der anderen Stube ;berh;rten und die Magd zweimal vergeblich zum Abendbrot rufen lie;en. Endlich entfernten sie sich, den Faden ihrer Unterhaltung fortspinnend. Kaum aber, da; sich die T;r nach ihnen geschlossen,  ;ffnete sich vorsichtig eine T;r von der anderen Seite des Zimmers, und ein Knabe von 15-16 Jahren mit bleichen Wangen und verst;rtem Blick trat sch;chtern herzu, packte einen meiner Kameraden und schlich dann eiligst wieder hinaus.“Das ist der einzige Sohn unseres Herrn, “  sagte ein Roter, der schon l;ngere Zeit in der Schieblade gelegen hatte, „er kommt seit Wochen fast regelm;;ig jeden Tag und holt sich heimlich einen Wei;en zu seinem Vergn;gen. Was der Junge treibt, scheint mir bedenklich, denn seine Wangen werden mit jedem Tag bl;sser; und die Eltern werken nichts!“ W;hrend ich noch dar;ber nachdachte, was der Rote erz;hlt hatte, wurde ich blitzschnell aus der Lade gerissen, und in weniger als einem  Augenblick befand ich mich in einem ledernen Schuh unter der weichen Fu;sohle eines Menschen. Tausend noch eins, war das da eine dicke Finsternis! Meine Einzelhaft wurde mir nach und nach unbequem. Aus dem weiblichen Schuh kam ich endlich in einen m;nnlichen Stiefel, unter m;nnlichen Druck, bald darauf in ein enges Loch hinter der Kaufe im Stall, wo schon andere mehr oder minder wertvolle Sachen aufgespeichert lagen. Mein neuer Besitzer holte mich und seine ;brigen Sch;tze nur am Sp;tabend hervor, wenn alles im Hause schlief. Endlich verlangte auch er von mir, ich solle klingen; und als nichts Orleankaspiel zum Betr;gen benutzen. „  Ein echter Wei;er habe immer auf der oberen Seite das Kaiserbild und auf der unteren den Adler. Auch verlohne   es sich den Spitzbuben nicht mehr, falsche Wei;e zu machen, weil das zu umst;ndlich und dazu das Silber jetzt schon zu teuer sei. Vor dem Papiergeld aber solle sie, die Grete, sich h;ten, denn Papier habe ;berhaupt keinen Wert, und eine Eins mit einigen Russen daran kriege ein ixbeliebiger Schafskopf hinauf. Trotz der schlagenden Beweisf;hrung ihres Vormundes wollte die Grete nichts von mir wissen, warf mich auf den Boden, trat mich mit F;;en und heulte:  das  b;se Ding da sei ebenso falsch, wie er, der Schulze; er solle ihn nur seiner „Mumki“zu Weihnachten spendieren oder ihn sich sauer braten. Nun lag ich einige Tage in der Schulzenkasse, unter das Dorf geb;hren, und war von meiner Kameraden Eigend;nkel schon ganz angesteckt. Sie wollten behaupten, da; sie zum Aufputzen des ganzen gro;en, Vaterlandes bestimmt seien. Als aber ein alter erfahrener Zehner, welcher schon oft von unten nach oben und von oben nach unten zirkuliert war, erkl;rte, da; unterwegs immer etwas abbr;ckele, wu;te ich’s schon im Voraus, wer abbr;ckeln werde. Und richtig! Ehe wir noch unsere Reise nach der Metropole angetreten, ereilte mich mein Schicksal. Ich ging ;ber in den Besitz eines alten hohlbr;stigen, best;ndig  h;stelnden Mannes. Es war der Nachtw;chter des Dorfes, der seinen letzten Dreier Lohn vor Neujahr geholt. Als der Abend anbrach, zogen wir aus auf die Stra;e. M;de schleppte sich mein Wirt ;ber den knirschenden Schnee dahin. Sein Husten qu;lte ihn heute entsetzlich; kaum dass er f;hig war, hin und wieder seiner Klapper erschallen zu lassen. Er klang so unsicher und so h;lzern. Am Mitternacht blieb der Alte vor Schulzens Geh;ft stehen, ergriff mich mit seinen zitternden Fingen, hielt mich gegen das verh;ngte Fenster in Schulzens Schlafstube und rief mit hohler, dumpfer Stimme: „Wor;m? … wor;m gast du dat dahnen? … wor;m nemmst du em nich wedder tr;gg?... fall ick ju sa; onn ne halwe Nacht ;ms;nst waaken?...“ Dann schleppte er sich wieder weiter die Stra;e auf, die Stra;e ab. Und der  Mond schaute auf den einsamen Wandersmann hernieder, doch nun so ernst und feierlich, als g;be er einem M;rtyrer sein Letzt‘ Geleit. Und sein Schein um koste liebreich das alte runzelige Gesicht, bis der Mann seine m;den, tr;ben Augen zum Himmel erhob und seine Unbill verga;. Als der Morgen graute, ging er in seine H;tte, weckte seinen einzigen Sohn, den kleinen Schmiedelehrling, unseren gegenw;rtigen Wert, damit er rechtzeitig an die Arbeit k;me. Darauf ;bergab er mich dem Kleinen mit den Worten: „Hier, Jasch, kannst dormit sp;len;  dat’s ‚n Falscher, onn  wi well’n dormit kenem nich anf;hren!“ „Doch genug“, schlo;  der Falsche seine Erz;hlung, „ich ahne, unsere Abschiedsstunde hat geschlagen.“ Richtig, die Blechdose wird aufgerissen; ein kleines pausbackiges B;rschlein mit begehrlichen Augen mustert seine Sch;tze. Noch scheint’s in ihm zu k;mpfen, dann aber sagt es kurz entschlossen: „Wat war ick mi lang mit de domme Dinjer rommschlappen?“ Der alte Dawid schob seine Hornbrille von der Stirn vor die Augen und betrachtete die beiden Geldst;cke seines kleinen Kunden mit langem pr;fenden Bleck. „Hm, hm! Sagt er endlich, „mein Kleiner, f;r deinen Wei;en da kann ich dir nicht mehr als einen roten Dreier geben, f;r deinen roten Dreier aber geb ich dir, weil du ein so h;bscher Jung bist, einen ganzen Echten,“ Das B;blein hat anfangs verdutzt dreingeschaut, nachher aber hat’s  mit dem Dawid zusammen gelacht und gesagt: „Dat k;mmt doch up eent rut!“ und hat sich f;r den Roten Konfekten gekauft, den Echten aber heimgebracht und dem erfreuten Vater geschenkt..Am Abend hat der Mond durchs Fensterlein im Nachtw;chterh;uschen geguckt, dem schlauen B;blein ;ber den Krauskopf gestreichelt und gesagt: „La; schon f;r diesmal drei gerade hei;en!“

Wie die Alten sungen,

so zwitschern auch die Jungen. Das gilt von  den V;glein allezeit; von den Menschen aber sollte man so nicht immer sagen d;rfen, denn den Gesang der alten Deutschen habe ich schon mit dem Jahren eines Bretterwagens ;ber eine steinerne Br;cke vergleichen h;ren, und wir? Wir singen doch ganz ordentlich, und vollends unsere Kinderscheinen’s nicht nur den V;glein, sondern gar dem Fr;hlingswehen, dem Wellenschlag des Meeres und dem Sturzbach abgelauscht zu haben. Wenn das Sprichwort schon im Singen nicht zutrifft, wie viel weniger kann’s in allem anderen Tun zutreffen! Unsere Ehrerbietung vor den Alten vor den j;ngst oder l;ngst verstorbenen Alten beweisen wir nicht etwa damit, dass wir ihr Tun blindlings nachtun, starr an ihren Anschauungen hangen oder ihre Einrichtungen und Ordnungen weiter f;hren. Was fr;her gut war, ist’s heut‘ nicht allemal. Mein Onkel Isbrand selig hat es in den letzten Jahren seines Lebens recht Schwer damit gehabt, dass kein Mensch mehr verst;nde, einen ordentlichen Strohhaufen zu setzen. Er sah darin einen R;ckschritt in der Kultur und   glaubte steif und fest, es gehe mit dem Wohlstand der heran alternden Generation rasend schnell bergab-. Heute aber steht ;berhaupt kein Strohhaufen auf seinem gewesenen Hof, und an der Stelle, wo fr;her sein Wohnhaus gestand. Erhebt sich ein Prachtbau mit zwei Stockwerken und Wasserdampfheizung. Ich trag’s aber dem Ohm nicht nach, hat doch selbst der weltber;hmte Bismarck nicht gemerkt, da; er selbst und dazu seine v;lkerbewegende Politik sich sattsam ;berlebt hatten. Wenn mein Gro;vater seinen Milchk;hen p;nktlich einmal die Woche den Hals ausgeteert hat, so habe ich solches noch nicht einmal getan; und das nicht, weil’s der Gro;vater getan, auch nicht, weil’s viele Leute heute noch tun, sondern weil ich erachte, ein bisschen Kochsalz ins Futter gestreut tut’s auch. Die K;he haben mir fette und auch magere Milch geliefert, gen;gend und nicht gen;gend, je nach Kraft und Verm;gen der betreffenden. Ob Gro;vaters K;he fettere Misch gegeben und ein gr;;eres Quantum, wei; ich nicht, denn ich habe weder ihn noch seine K;he jemals gesehen. Aber da; er das Pfund Butter um f;nf Kopeken banko verkauft hat, was einen Wert von zwei und einer halben Kopeke in Silber bedeutet, hat mir mein Vater einst im Vertrauen mitgeteilt, und auch, da; er und die vielen Onkels und Tanten nur selten Butter aufs Brot streichen durften, weil sie zu billig war. Wie verkehrt! Wenn ich meinen Kindern die Butter knapp zumesse, weil sie so teuer ist, findet   das jeder, der etwas vom Kampf ums  Dasein versteht, ganz in der Ordnung! Die armen Kinder ! Ihr Butterbr;tchen bleibt heute so d;nn und mager wie zu Gro;vaters Zeiten, trotzdem da; Vater recht beh;lt und Gro;vater unrecht. Wie’s den Kindern ergeht, so ergeht in gro;en und ganzen auch uns, den Erwachsenen. Unsere Einnahmen steigen von Jahr zu Jahr; eine Quelle ist noch nicht versiegt, so hat man schon die andere angebohrt. Der Ackermann, der vorhin kaum vegetierte, hat heutzutage bei einer mehr rationellen Wirtschaft ein wahrhaft f;rstliches Einkommen. Aber mit den Einnahmen wachsen auch unsere Bed;rfnisse. Also Kommt’s auf eines heraus? Ja und nein, und wenn man genau zusieht ganz und gar nicht! Bei Gro;vater in der gro;en Stube unter dem Wandspiegel stand die Kiste wei;t’s noch? Auf sechs F;;en mit stets blank geputztem Messingbeschlag und der knarrenden Beilage. Unter dieser Lade befand sich das Linnen, nicht schneewei;, sondern himmelblau. Unter dem Linnen, sorgf;ltig in ein wollenes Tuchgeh;llt, ruhte die gro;e Hausbibel mit Bildern und Silberschnitt, welche au;er den Sch;tzen geistiger Art auch Gro;vaters Ersparnisse aufzubewahren hatte. Hinein hatte das Geld Gro;vater gelegt. Herausgenommen hat’s der Waisen;lteste mit dem Gutmann und den Vorm;ndern der unm;ndigen Hinterbliebenen. Heute steht die Bibel im B;cherschrank, die Kiste aber in der Rumpelkammer. Ob diese beiden Gegenst;nde  zurzeit mehr oder weniger gen;tzt werden als fr;her, wage ich nicht zu entscheiden;  aber der ersparte Hunderter vertr;umt seine Zeit nicht mehr nutzlos im dunklen Spind. Dieser bezahlt das Schulgeld f;r den Buben in der  Zentralschule, jener das Kostgeld der M;dchen, welche die M;dchenschule besuchen. Was die da nur alles lernen! Gesegne es ihnen Gott! Sie bringen’s wieder mit hundert Prozent als kluge,  gelernt haben, ist ihnen  ein Erbe, das keiner rauben kann. Die V;glein zwitschern und singen bald wie ihre Alten gesungen; das d;rfen sie nicht erst  erlernen, ebenso wenig als den Nesterbau. Uns Menschen aber hat der Sch;pfer was anderes als Gratisbeilage geschenkt, n;mlich das Verm;gen zu denken. Wie die Meereswogen w;lzen sich fort und fort neue Ereignisse ;ber die Menschenkinder dahin; Ereignisse, die von uns nicht abh;ngen. Die aber jeden von uns bald vor diese, bald vor jene Ver;nderung in den Lebensbedingungen stellen. Da giltst dann nicht in schwacher Engherzigkeit an dem Althergebrachten festhalten; es m;chte dich gewaltm;;ig davon losrei;en, und du hattest Schmerz und Schande obendrein. Da giltst aber auch nicht, sich toll in die Wogen hineinzust;rzen; sie m;chten dich an einem Fels zerschellen. Mit pr;fendem Geist aber stehen wir vor der neuen Erscheinung und suchen sie. Falls wir sie f;r nutzbringend
 erkannt haben, zu bezwingen, uns Untertan zu machen, wie’s dem Herrn der Sch;pfung zukommt. Wir haben unbestritten viel Gutes von den Alten geerbt; auf der Grundlage, die sie mit M;he und Schwei; hergestellt, wollen wir fr;hlich weiterbauen mit eben demselben Eifer, aber nicht nach derselben Schablone. Wir bewahren den lieben Alten in Dankbarkeit ein stilles Pl;tzchen in unseren Herzen!

Von der Liebe.

Es war ein heiterer, angenehm k;hler Sonntagmorgen im Sommer.  Ein Vater wandelte mit seinem achtzehnj;hrigen Sohn dem nahen Kirchd;rflein H. zu. Das Jubeln der Lerchen hoch in der Luft st;rte auch den stillen Sonntagsfrieden nicht, der ;ber Feld, Hain und D;rfern lagerte. In solch feierlich frohen Stunden wird die Brust so weit, so weit; es scheint, es f;nde die ganze Welt mit all ihren M;ngeln und vielen Gebrechen dar innen Raum. Und der Vater redete mit leiser Stimme, aber fester ;berzeugung dar;ber, welch wunderlich Ding es doch um die Liebe sei; wie sie alles trage, das Ihre nicht suche und nimmer aufh;re. Der Sohn jedoch schritt gleichm;tig neben seinem Vater einher. Er hatte soeben die Zentralschule absolviert und erwiderte dem Vater err;tend, er glaube nicht an die Liebe; die Menschen zeigen sich gef;llig, nur wenn  sie auf einen Gegendienst reflektieren; h;chstens zeitweilig dankbar und anh;nglich seien sie, aber eine wahre, uneigenn;tzige Liebe g;be es nicht- Hierauf blickte der Vater seinem Sohne tief in die Augen, und ein Unmutsw;lkchen huschte ;ber seine Stirn, als er sagte: „Es ist dein gutes Menschenrecht alles was dir begegnet, zu pr;fen und m;glichst zu ergr;nden. Nur hohle K;pfe schlucken alles herunter, was man ihnen vorwirft. Du wirst aber vielen Dingen und Erscheinungen im Leben noch nicht vielleicht noch lange nicht, vielleicht auch zeitlebens nicht auf den Grund kommen k;nnen. Die Unwissenheit nun macht sich’s in solchen F;llen bequem: sie leugnet alles ihr Unverst;ndliche frisch von der Leber weg und meint noch gar, etwas Gro;es geleistet zu habe, wenn sie z. B. feststellt, es g;be keinen Gott, weil ihn noch niemand gesehen habe. Ja, wer hat denn jene Sonne, die dort ;ber den Wald lugt, je gesehen? Ist’s doch nur der gl;nzende Schein, den die Menschen seit Anbeginn der Welt Sonn nennen; kein Menschenauge kann einen Gegenstand in so unermesslichen Weiten erfassen. Ein Weiser hingegen sucht die R;tsel des Lebens zu l;sen, in seine Geheimnisse einzudringen. Wo er nicht anders fertig wird, zieht er vorsichtig Schlussfolgerungen. Wenn nun auch von zehn Aufgaben drei, vier ungel;st bleiben, f;llt er darum doch nicht aus dem Gleichgewicht. Er wird noch lange kein Skeptiker, kein Zweifler und N;rgler, aller Lebensfreude bar. Im Gegenteil, das Bewusstsein schon, mit vielen denkenden Menschen, mit Gelehrten und Nicht gelehrten, mit Alten und Jungen vor demselben  Problem zu stehen, verleiht seinem Leben Gehalt!“Nun bogen die Wanderer aus der Allee von Ulmen und Pappeln, die l;ngs der Landstra;e her lief, und traten nach wenigen Minuten durchs Friedhofstor. Der Vater wies auf einen Engel, aus feinem Marmor gemei;elt, mit den Himmel gerichtetem Blick und sagte leise: „Sie h;ret nimmer auf!“ Der Sohn aber Sch;ttelte ungl;ubig den Kopf und stellte sich demonstrativ an den Grabh;gel eines Kindlein, den kein Kreuzlein zierte und kein Gedenkstein, der von Unkraut ;berwuchert war, als schliefe kein Menschenkind darunter. „Gewi;, Papa, “ hob er an, „wenn jemand, so ist dieses Kind von Vater und Mutter geliebt worden. Und sie sind dieses Fr;hjahr nicht einmal dagewesen, haben nicht einmal am Grabe ihre Kindlein gebetet  die Liebe hat schnell aufgeh;rt!“Darauf sprang er hurtig ;ber den Kirchhofs graben, hinter welchem ein einsames, verfallenes Grab sichtbar wurde, und rief dem Vater zu: „Warum ist dieser Mann in Schande gefallen? Warum hat er sich erh;ngt? Warum hat man den, der sich selbst gerichtet Gott wei;, wie schonungslos! Abermals gerichtet und seinen Leib hier verscharrt, wie man ein totes Tier begr;bt? Lehre mich doch schlussfolgern, damit ich auf die Liebe komme!“Der Vater n;herte sich langsam dem Grabe   des Ge;chteten. Ohne dem Sohne zu  antworten, zog er den Hut ab und sprach ein leises Gebet. Ein Tr;ne des Mitleids rann ;ber seine W;nde... Nach dem Gottesdienst kehrten unsere Wanderer wieder heim. „Papa, wer war der vornehme Herr, den du vorhin so freundlich begr;;test im Vorhaus der Kirche? “fragte der Sohn. „Das war mein ... Jugendfreund, “ antwortete der Vater  und seufzte leise.  „Und den nennst du deinen Freund? Auf deinen herzlichen Gru; hat er etwas vor sich hin gegrunzt, hat ein regelrechtes Pfauenrad geschlagen und  ist darauf, ohne dich auch nur eines Blickes oder einer Antwort zu w;rdigen, wie ein Pferd davon gekollert. Der w;re mein Freund nicht!“ So ereiferte sich der Sohn immer mehr, bis ihm der Vater in die Rede fiel: „Wir waren Schulkameraden, Er stammt aus einem schwerreichen Hause, ich hingegen aus einem armen.  Nach der Schule trat ich ausw;rtig in Dienst, w;hrend er bald die Verwaltung des v;terlichen Landgutes ;bernahm- Wir hatten uns schon mehr als zwanzig Jahre nicht gesehen. Nun beging ich unl;ngst die Unvorsichtigkeit, ihn um ein Darlehn von 100 Rub. Zu bitten, um dein Kostgeld in H. zu bezahlen, wozu mir meine Gage immer  nicht ganz ausreichen wollte. Ich nenne dieses mit Vorbedacht eine Unvorsichtigkeit, denn man soll nie Leute   um eine Gef;lligkeit bitten, weil sie reich sind; wenn ein reicher Mann jedem, der sich an ihn wendet, tatkr;ftig mithelfen wollte, so w;re er selbst bald arm. Das ist nun einmal eine Wahrheit, die die Menschen nicht einsehen wollen. An besten, man bittet, wenn m;glich, nie um Gef;lligkeiten, und wenn’s nicht dar ohne gehen  will nur Bekannte, die’s haben und auch gerne tun. Und wenn du mal fremdes Geld brauchen solltest, so f;rchte es, wie das Feuer, und zahlst eiligst mit Dank zur;ck. Manche Leute opfern gro;e Summen f;r Mission und andere wohlt;tige Zwecke und stecken bis am Hals in Schulden, d. H. mit klare Worten: sie opfern ihrem Herrgott fremdes Gut. Doch das nebenbei, kehren wir zu meinem Freund zur;ck. Der geizige Mann fuhr mich sehr hart an. Heute wollte ich ihm zeigen, da; ich bereit sei, sein Verhalten von damals zu vergessen. Wie sollte wie k;nnte ich ihm auch z;rnen? Soviel ich inzwischen von dem Mann geh;rt habe ist er soweit gekommen, da; er nicht mehr wohltun kann. Nicht, da; er etwa nicht h;tte er hat sein Erbe verdoppelt, nein, er kann nicht mehr geben; das herrliche Gottesgeschenk: geben und erfreuen zu k;nnen, hat er durch seinen Geiz verscherzt. Er kann nicht geben eben so wenig wie sich der Trunkenbold dort von der  Erde erheben kann, Sieh, wie er sich vergeblich abm;ht! Sieh hin, mein Sohn, und lerne von ihm, wie weit es kommen kann, wenn man sich in einer b;sen Lust verliert! Sein Rausch beginnt zu schwinden. Das bet;ubte Bewusstsein kehrt unerbittlich zur;ck    mit ihm Schande. Reue, verzweifelte Anl;ufe zur Besserung… Durst nach Freiheit von den unertr;glichen Fesseln, Durst nach mehr Branntwein… F;rchterlich Kopfschmerzen martern ihn ….er kann nicht auf     er kann nicht los, der Arme!“ Von herzlichem Mitleid ergriffen, traten sie zu dem Betrunkenen und stellten ihn auf die Beine. W;hrend der Vater nun die M;tze von der Erde aufhob, abst;ubte und sie mit freundlichem Zuspruch auf den schmutzigen, zerzausten Kops ihres Eigent;mers st;lpte, stand der Sohn gedankenverloren abseits. Es wurde nicht ganz leicht, von den allen Russen  so eigenen ger;uschvollen Dankesbezeugungen f;r empfangene Wohltaten dieses Mannes loszukommen. Nun schritten unsere Wanderer hurtig aus, um das Mittagsbrot daheim nicht zu versp;ten:  Die Mittagstafel trug in der Lehrersfamilie an Sonntagen meist einen festlichen Charakter. Wie wohl tut die Ruhe am Sonntag daheim, im Kreise der Lieben, insonderheit, wenn er sich um ein gebratenes V;gelchen  zieht. „Heut‘ ist der Papa nicht Lehrer, heut‘ ist er ein Papa“, sagt das Nesth;kchen, wohlgemut und wohlzufrieden mit solchem Berufswechsel. ja, und was erz;hlt er nicht alles w;hrend des Essens, lustig anzuh;ren f;r gro; und klein: vom Inspektor Br;sig, von Alraun, Wichtelm;nnchen und den drolligen Heinzelm;nnchen! Heute gibt’s gewi; wieder etwas Neues! Und richtig. Kaum hat man mit dem Speisen begonnen, als der Vater einen ganz neuen Vorschlag macht, n;mlich, w;hrend des Essens nur sauer zu schauen, recht m;rrisch und unfreundlich zu tun, Wer sich vergisst und freundlich tut, zahlt sp;ter ein Pfand. Pf;nder gibt’s genug: ist’s doch nicht m;glich, auf die Dauer zu Schmollen. Wenn der Frohsinn immer wieder durchblitzt wie Wetterleuchten am Sommerabend!  Nachdem auch der Vater sein Pfand eingezahlt, gibt’s eine Preisfrage zu l;sen, und zwar: Warum k;nnen wir heute nun mal nicht m;rrisch sein? An Antworten ;berfluss: Weil keine Schule ist; weil’s sch;n geht: weil der G;nsebraten auf den Tisch steht; weil Mika ein neues Kleidchen anziehen wird, Den Preis aber erhielt die M;tter f;r die Antwort: Weil wir einander lieb haben. Der ;lteste hat seit der Begegnung mit dem Betrunkenen noch kaum ein Wort fallen lassen. Er sitzt, wie gew;hnlich schweigsam, in sich gekehrt da, nur seine pr;fenden Augen zeigen, da; er empfindet, mitempfindet, und ;ber die blassen Wangen huscht es bisweilen kaum bemerkbar, wie von innerer Unruhe. Nachdem die Tafel aufgehoben, geht der Vater in sein Zimmer, um sich ein halb‘ St;ndchen aufs Ohr zu legen, Der Sohn folgt ihm sch;chtern nach. „Was w;nscht du, mein Junge?“ fragt ihn der Vater. Er aber antwortet ihm mit leichtendem Aufblick: „Jetzt wei; ich’s, Papa! Es gibt eine wahre Liebe, die das Ihre nicht sucht und alles tr;gt --- der Selbstm;rder, der harte Jugendfreund, der Trunkenbold am Weg!! “ Du, gerade du liebst, Papa! Bist du nun endlich still, Schlingel! F;hrt der Vater von seinem Lager auf und schlie;t dem jugendlichen Lobredner mit einem langen, innigen Kuss den Mund.
Vom Gl;ck.

 In N. lebte vor etlichen drei;ig Jahren ein ehrsamer Schlossermeister namens Donner. In seiner ger;umigen Werkstatt blitzte und donnerte es auch unaufh;rlich von fr;h bis sp;t. Drinnen aber in den R;umen des zierlichen Wohnh;usleins schaltete Cristine, sein Weib eine wackere Schw;bin und sang und spann jederzeit, spann Sonnenschein f;r ihr junges Eheleben ein feines Gespinst. Weil Meister Donner ungemein p;nktlich und dazu peinlich gewissenhaft war, wollte man ihn unter und ;berfahren mit Auftr;gen. H;tte er noch drei Paar H;nde gehabt, w;re noch immer f;r alle vollauf zu Tun gewesen. Da ging’s ihm, wie’s vielen Gl;cklichen oft ergeht: je mehr das Gl;ck sie heimsucht, desto ;fter krauen sie sich hinter den Ohren, ob sie’s auch richtig beim Schopfe gepackt, und sich’s nicht losrei;en und ihnen wiederum den R;cken kehren werde. Lange hat er hin und her gedacht; Galts doch, nicht nur die Kundschaft zu halten, sondern auch zu befriedigen!  Pl;tzlich hat er’s gefunden; schnurstracks l;uft er in die K;che zu Christine, im Lederschurz mit aufgest;lpten Hemds;rmeln und streicht ihr vor Lust mit seinen ru;igen, harten H;nden mehrere Mal ;ber die runden roten Backen. „Christel, “ sagt er erregt, „Christel, ich schreibst dem Johann, dem Joseph  und dem Heiner und schick‘  ihnen das Draufgeld raus!“ „Schreib‘ nur, Karl, in Gotts Name.“ Riet Christel, „das Brot hen s‘  hier besser als dr;ben, und lustiger ischt’s  halt dahier au als in die ru;igge Fabrikstadt!“ Als nun die drei Freunde in Deutschland den Brief vom Karl erhielten, haben sie anf;nglich gelacht und gewitzelt ;ber den Meister Karl; dann aber hat’s angefangen in ihrem Gehirn zu spuken, und der Brief hat ihnen endlich vollends die K;pfe verdreht, doch immer so, da; ihre Nasenspitzen gen Osten gerichtet wurden. Sie beschlossen, nach Ru;land zu gehen, wollten aber freie Hand behalten, sich nicht binden, und nahmen das Handgeld nicht an .Hurtig packten sie ihre Felleisen und sangen dazu mit bewegter Stimme : „O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!“ Dann zogen sie aus in das erschreckliche Ru;land, wo der Schnee die H;user bedeckt und die W;lf‘ zum Schlot reingucken, wenn die Wirtin in der K;che ein Ferkel bratet. Sie besa;en nur das knappe Reisegeld und einen bescheidenen Zehrpfennig. Der Johann hatte zwar daheim ein kleines Landg;tl und einige hundert Reichstaler das Erbe seines Vaters, nahm’s aber vorsichtshalber nicht mit  aus Furcht, es m;chte ihm in den Schneew;sten Ru;lands ergehen, wie weiland dem Franzosen Kaiser Napoleon, der dort alles verlor und nur kaum sein kostbares Leben rettete…. So kamen die drei Burschen endlich den   Dnjepr herauf geschifft bis an den Hafen von Nikopol, all wo sie ein emsiges Treiben beobachteten, Sie stiegen aus, um auszukundschaften ob f;r sie etwas los sein k;nnte. Der Heiner blieb da, hat’s aber nicht weit gebracht, und ist nach zwei Jahren wieder so leer, wie er gekommen, heimgezogen. Der Johann und der Joseph aber sagten, die wollten, weil sie schon so nahe w;ren, den Karl in N. aufsuchen und sehen, ob sich’s wirklich so verhielt, wie er geschrieben. So kamen sie nach N. und arbeiteten beim Karl um einen mehr als guten Tagelohn. Nun ging’s hoch her bei dem Donner in der Werkstatt. Das war denn doch bis dahin  eigentlich nur ein Rummeln gewesen, im Vergleich zu dem, wie nun geschafft wurde. Und die Bauersleute von R. kamen herbei schauten mit Vergn;gen zu und verga;en da; es Katholiken waren. Leute, welche die Mutter Gottes anbeten und andere von s;ndigen Menschen zu Heiligen gestempelte s;ndige Menschen. Die dort so emsig arbeiteten. Der Meister und die Frau Meisterin schwammen im Gl;ck und taten alles, was sie ihren Gesellen an den Augen ablesen konnten, um sie dazubehalten; doch vergebens! Der Johann und der Joseph merkten wohl, dachten aber: „Eigener Herd ist Goldes wert! Und wenn das Gl;ck den dicken Karl tr;gt, warum sollt nicht auch uns tragen? Topp, schlie;en wir einen Pakt mit ihm: es helfe uns entweder auf die eine oder auf alle viere. Schlie;lich geht‘ s doch nach dem Sprichwort, jeder ist seines Gl;ckes Schmied!“Bald war ein passender Wirkungskreis gefunden, und zwar in dem gro;en Russendorf G., wo seit der Ansiedlung der deutschen Kolonisten an der Molotschna ein flotter Handel erbl;ht war. Dort mieteten sie sich f;r ein Geringes einen Hof mit einem winzigen H;uslein darauf, kauften Eisen Schmiede und Schlosserger;t, soweit ihre Ersparnisse auslangten und begannen frisch und frank drauflos zu h;mmern und zu feilen, g;nnten sich auch kaum die n;tigste Nachtruhe. Der Putzm;hlenbeschlag, dem die beiden lieferten, gefiel jedermann, denn es war eine saubere Arbeit und um jene Zeit ganz besonders begehrte Ware. Die Bestelllungen kamen und mehrten sich. Das Gesch;ft ging gut. Bald fehlten Arbeitsh;nde. Da machten sie’s schlauer als der Karl. Anstatt teure Gesellen gar aus dem Ausland zu verschreiben, dangen sie fixe gelehrige Russenknaben, die ihnen fast umsonst die Roharbeit verrichteten und die sich unter ihren Augen mit der Zeit zu t;chtigen Mitarbeitern ausbildeten. Eines aber schien ihnen vom Karl klug gehandelt,  n;mlich da; er sich ein Weib genommen und einen eigenen Haushalt gegr;ndet. Und dieses wollten   sie ihm alsbald auch nachtun, Der Johann hatte schon in N. eine schmucke Magd, eine Mennonitin, gesehen. Die ihm das Herz gestohlen; und der Joseph erkor sich ein Weib in G., eines deutschen Mannes Tochter, die ihm zudem einige hundert Rubel mit in die Ehe brachte. Nun h;rte auch die G;tergemeinschaft auf.
. Es wurden zwei Nachbarh;fe gekauft, und jeder begann auf seinen eigenen Hals und in seinen eigenen Beitel zu arbeiten. Bald wurden statt des Beschlages fertige Putzm;hlen hergestellt, sauber gearbeitet, sch;n gef;rbt fertige Putzm;hlen, dann Pfl;ge, Eggen, M;hmaschinen und Drillen und was sonst noch der Bauer zur Bearbeitung DesBodens bedarf. Bald entstanden auf den einst leeren H;fen massive Geb;ude. Jedes Jahr musste hier ein Fl;gel angebaut oder dort ein neues gro;es Geb;ude aufgef;hrt werden. Zwischen ihnen strebten gewaltige Schornsteine empor und qualmten best;ndig, m;chtige Rauchwolken aussto;end. Handelsreifende aus aller Herren L;nder kamen in hellen Haufen, um den Herren Fabrikanten diese oder jene neue Einrichtung oder Verbesserung der Betriebsmaschinen zu empfehlen. Das Gesch;ft erbl;hte-Jahre sind geschwunden. Aus den wackeren Handwerksburschen sind nun  vornehme Herren, Million;re, geworden, und aus den fr;heren Dienstm;dchen vornehme Damen. Woran man vornehme Leute erkennt, darf ich nicht erst erz;hlen. Da; aber der Johann sich in seiner Heimat eine Villa gebaut, um die ihn ein Graf beneiden d;rfte. Will ich doch nicht verschweigen; auch nicht, da; die  Herren Fabrikanten gegenw;rtig nur einen Kummer haben, n;mlich, da; sie noch immer nicht so viel M;hmaschinen herstellen k;nnen, als Bestellungen einlaufen; obzwar in jeder Fabrik nicht selten bei tausend H;nde arbeiten.  „Sind Sie gl;cklich?“ Herr Joseph sagt schmunzelnd, sich ;ber die Glatze streichend: „ Arm sein geht nicht gut; aber Reichsein ist keine Schande!“Herr Johann jedoch blickt mich lange an, als wollte er mich durchbohren. So schaut er gewohnheitsm;;ig jeden an, der mit ihm in Gesch;ften zu tun hat so eilig, so misstrauisch. „Sind Sie gl;cklich, Herr?“ Er schwieg lange; schon glaubte ich, er werde mich zum Teufel schicken. Was ihm bisweilen bei seiner angeborenen R;cksichtslosigkeit gel;ufig war. Diese Frage aber hatte wohl eine zarte Saite in seinem Inneren ber;hrt; denn seine Unterlippe bebte merklich, als er endlich den Mund zum Sprechen ;ffnete. „Ich g;b‘ all mein Habe dran, “ presste er leise, wie im Selbstgespr;ch hervor, „wenn … wenn ich hoffen d;rfte, es noch zu werden … Gl;cklich? Mein kleinster Gu;putzer ist gl;cklicher als ich.  Es gibt wohl kaum etwas in der Welt, das so wenig zum Gl;ck beitr;gt als Gold und Gut! So sprach Herr Johann und st;tzte m;de seinen zum Springen vollen Kopf in die Hand. Nach l;ngerem Schweigen fuhr er mit ged;mpfter Stimme fort: „Wenn man das, was einem Gl;ck scheint, meint erreicht zu haben, so besieht man’s genauer und findet, da; es keines ist!“ In dem Hause des Karl zu N. hat die Christine immerfort   gesponnen den Sonnenschein f;r ihr Eheleben sich und den gro;en Karl, den kleinen Karl und das klein Dickerchen Christel. Das geschnitzte Herrgott hat sie ehrfurchtsvoll tief in den Schrein unter das Linnen verborgen und lieben Karl in ihr Gotteshaus mitgenommen, ihm nichts vorgeschw;tzt , aber das reine lautere Gotteswort, das sie selbst von Kindebeinen so gern geh;rt, auf ihn einwirken lassen. Es hat auch seine Kraft bew;hr an dem ehrlichen. Flei;igen Karl. Die Gl;ubigen von dieser Seite und von jener Seite der der Molotschna haben gern geistige Gemeinschaft mit dem Hause des braven Schlossermeisters D. gepflegt. und wer etwas Menschenkenntnis besitzt, guckt ihm nur einmal ins Gesicht und sagt: „der ist gl;cklich!“




Der Tag ist hin.

Der Tag ist hin… Mein Tagewerk ist vollbracht ein langes, schweres Tagewerk. Ja, und warum sollte es k;rzer und leichter gewesen sein als das meiner Br;der? Segne, Herr und Gott, jeden ehrlichen Beruf und gib uns unser t;gliches Brot! Die Natur sch;ttet jedem seinen Teil ab wie an Schwei;, so an Brot! Demjenigen aber, der da meint, nicht arbeiten zu m;ssen, legt sie einen Regulator an den Hals, welcher sich hebt und senkt wie der Regulator an der Dampfmaschine, schneller oder langsamer kreist, je nachdem es der Normalgang fordert. Ich meine die Langeweile und den Schwermut, zwei struppige Kinder, von unserer  naturwidrigen Privilegierungssucht geboren. Die Natur gleicht endlich wieder alles aus. Der verkehrten Leute gibt’s  genug, denen  Sonn‘  und Mond keine Zeichen mehr f;r Tag und Nacht sind. Sie trotzen  allenthalben den ewigen, unersch;tterlichen Gesetzen und bereiten sich dadurch namenlose Pein, gehen hin und klagen ;ber ihr hartes Los. Also wird die Nacht zum Tag und der Tag zur Nacht gemacht. Alle Unnatur st;rt das Behagen, st;;t ab. Die Nacht ist weder zur Arbeit noch zu aufreibenden Vergn;gungen gesetzt, sondern zum ruhen von der Tagessarbeit, sowie der Tag zu vern;nftiger Arbeit.  Jedes unbefugte Eingreifen in das Walten der Natur r;cht sich fr;her oder sp;ter und schiene es noch so berechtigt zu sein. Ich m;chte heute Abend die goldene Regel der Mechanik: „Der mechanische Vorteil ist gleich dem mechanischen Nachteil, “ mit feurigen Lettern quer ;ber  den weiten Himmelsdom schreiben k;nnen, f;r jedermann lesbar; und den Kommentar dazu f;nde gewi;  jedes sofort in seinem eigenen Privatleben. „… mein Jesu, bei mir bleibe!“  Schirme, lieber Herr, diese Nacht mein Dach und die Lieben darunter vor Angst, Not und Gefahr, also auch meine Nachbarn alle! Gottlob, da; ich ihnen heute nichts schuldig bleiben durfte; die guten Leute!  Ich gedenke hier auch der Angeh;rigen und Freunde in weiter Ferne, weit unten im S;den, in den Steppen. Auch dort neigt sich jetzt wohl schon der Tag. Die Sonne blickt zufrieden ;ber die gepfl;gten Acker und mahnt  die Flei;igen zum Aufbruch. Bald sieht man die Pfl;ger in langen Z;gen mit Sang und  Peitschenknall heimkehren. Im Hinterhalt aber lungert der Reif, der Vorposten des Winters, und wartet, ob’s nicht bald Abend werden will. Dann zieht er ;ber das Stoppelfeld und durch den Wald. Schon betrachten die B;ume mit Wehmut ihr gesprenkeltes Kleid und teilen einander lispelnd schwere Tr;ume und bange Ahnungen mit. Aus  dem Hause aber eilt die gesch;ftige Hausfrau ihren „Menschen“
 Mit dem oft schon wiederholten Gerede entgegen, wie sobald sie zur;ckgekehrt seien, und wie der Tag so merklich abnehme: worauf jene vielsagend mit dem Kopf nicken und dabei verstohlen durch die offene Vordert;r ins Vorhaus schielen, ob der Tisch auch schon gedeckt sei. Wie so ganz anders ist’s doch jetzt hier oben am Aralgebirge!  „..- o Seelen licht, der S;nde Nacht vertreibe!“
 Hinter den Bergen erhebt sich der Vollmond in seiner ganzen Pracht und ergie;t sein Zauber licht weithin ;ber den glitzernden Schnee. Vereinzelte Schlitten, Einsp;nner, gleiten noch auf der Schneebahn dahin; zwei, drei versp;tete Wanderer eilen ihrem warmen Heim zu, das Gesicht m;glichst vom Pelzkragen verh;llt, denn eine wei;gefrorene Nase hat man weg, eh‘ man sich’s  versieht. Ach, friert es aber auch! Es scheint, als hinge der Frost in der Luft und werde sich jeden Augenblick in einen sichtbaren Gegenstand verk;rpern. Dort braust ein Eisenbahnzug daher; es dr;hnt unter meinen F;;en. Ein kurzer schriller Pfiff ert;nt, und er windet sich, kaum sichtbar, in rastloser Haft an meinen Blicken vor;ber. Nun tritt Stille ein; kennt ihr unsere n;rdliche Stille? Man vernimmt nun absolut keinen Laut, und die d;nne, reine Luft w;re so empf;nglich daf;r. Man scheut sich fast zu atmen, so still ist’s Kein L;ftchen regt sich; kein einzig W;lkchen eindecke ich am Himmelsgew;lbe. Das Lichtmeer des Mondes herrscht allein im Raume. Im Hintergrund ergl;nzt in elektrischer Beleuchtung der Berg, auf dem meine Stadt erbaut ist ein vom Mondlicht ged;mpftes, aber trotzdem pr;chtiges Feuerwerk. Unbestritten, gewaltig ist der Mensch in seinem Streben, hoch steht er da in seinen Errungenschaften. G;be er doch Gott die Ehre, und alles w;re wieder gut!  Wie, wenn unser mitunter gro;es Menschenmachwerk, unsere Wissenschaft, Erfindungen und Entdeckungen vom gehren Himmelsglanz ;berflutet w;ren? Wie, wenn Gott, der Vater, freundlich l;chelnd auf all unser Treiben herniederblicken und sagen sollte: Ihr  werdet noch Gr;;eres denn das sehen? Sollte dadurch irgendetwas wirklich Gutes und N;tzliches Abbruch leiden? Warum streben wir nur nicht viel mehr dem Licht zu schon im Interesse der Sache? Wir Menschen sind auch daran gewohnt worden, uns f;r so schlecht zu halten, da; man wirklich bisweilen versucht ist, vor sich selber auszuspeien und wir speien uns immer weiter ab von dem Urquell des Lichts! Sieh doch, wie das Mondlicht wetteifert an Reinheit mit der blendend wei;en Schneeh;lle auf erden! sieh nur, wie lustig sie einander zublinzeln: von unten blinkt und glitzert es hervor wie aus Millionen Augen schelmischer Kobolde; das Licht des Mondes hingegen nimmt stetig zu an Kraft und F;lle. Da; doch bei mir in meinem Innern so eine liebliche Harmonie dauernd herrschen mochte! Da; doch all mein tun und Streben rein,  frei von Selbstsucht, vom hehren Himmelslicht sch;n durchwirkt sein m;chte! Die Turmglocke von der Erl;serkirche verk;ndet die Mitternachtsstunde.
Geh‘ auf in mir, Glanz der Gerechtigkeit!
Erleuchte mich, o Herr, denn es ist Zeit!


Ðåöåíçèè