Reuen und suehnen-4. Roman

Reuen und  sühnen-3 - http://proza.ru/2020/09/06/398

„Kira…“ Sergej hatte kaum die Augen geöffnet, setzte er sich schon auf. In seinem Gesicht zuckte es, Stirn und Schläfe waren ganz blutverschmiert und voller Sand.
„Wo sind die hin?“
„Mit dem Auto weg. Beruhig dich, Serjosha, mein Lieber, alles ist gut.“
„Haben sie…dir was getan?“
„Nee, nicht mal in meine Nähe haben sie sich getraut. Kannst du aufstehn?“
„Ach, was mühst du dich so ab mit mir…“
„Ist schon gut. Ich helf dir hoch, ganz langsam.“
Sie wischte ihm behutsam das Blut aus dem Gesicht, riß ein Stück Zeitung zurecht und legte es ihm auf die Braue, wo eine Schnittwunde klaffte. Als sie sich anzogen und ihre Sachen aufnahmen, sah Sergej etwas abseits vom Felsen Glasscherben und einen abgeschlagenen Flaschenhals herumliegen, sagte aber nichts. Lediglich schwoll ihm der Kamm vor verhaltener Wut. Kira tat so, als habe sie von alledem nichts bemerkt.
An diesem Abend konnte sie es kaum erwarten, in ihr Bett zu kommen und zu schlafen. Sie gab sich alle Mühe, so auszusehen wie immer, allerdings entgingen ihr nicht die fragenden Blicke der Mama.
„Kira, meine Gute, fehlt dir nichts?“, rang sie sich schließlich eine Frage ab.
„Leichte Kopfschmerzen.“
„Willste 'ne Tablette?“
„Es geht schon, ist wohl 'n leichter Sonnenstich. Ich leg mich am besten etwas zeitiger hin. Oder jetzt gleich.“
„Kira, ehrlich, es ist nichts vorgefallen? Irgendwie wirkst du verändert.“
„Ach, Mama, mach dir keine Gedanken. Hab zu lang in der Sonne gelegen, das ist alles.“
„Gab es Streit mit Serjosha?“
„I wo, Mama, was du redest! Als ob man mit Sergej streiten könnte?..“
„Ja, woher soll ich das wissen! Es ist nur, daß du plötzlich einen Anlaß dafür suchst, wo keiner ist.“
Endlich war Kira mit sich allein und mußte nicht mehr auf Augen und Gesicht achten. Schnell kroch sie unter die Bettdecke. Das heftige Zittern vom Strand war zwar gewichen, nicht aber ihr inneres Gefühl von Kälte. Sie wünschte nichts sehnlicher, als sofort einzuschlafen und zu vergessen, doch die Gedanken an den zurückliegenden Tag bedrängten sie geradezu heimtückisch zäh.
„Na klar kenne ich den“, murmelte sie halblaut.
Alsdann rief sie sich den kalten und arroganten Ausdruck seines Gesichts in Erinnerung, und mit einemmal brachen die Gefühle und Höllenqualen von heute nachmittag wieder mit ganzer Wucht über sie herein. Wieder spürte sie die eigene Hilflosigkeit und Schmach dieser Erniedrigung. Zusammengekrümmt, mit angezogenen Beinen und den Kopf im Kissen vergraben, fing sie bitterlich an zu weinen. Sie grübelte nicht weiter darüber nach, woher sie des Langen Gesicht kannte, und wollte jetzt auch nicht länger an dieses Scheusal denken.
Mit tränennassem Gesicht schlief Kira ein.
Tage später hatte ihr Gedächtnis das, was sie seit langem tief im Innern verwahrte, unverhofft freigelegt.
Es war auf ihrem gewohnten Heimweg von der Arbeit – über die lichten, belebten Alleen durch den Park –, hier entlang hatte sie es nicht weit bis nach Hause. Ihre Erinnerungen an jenen schrecklichen Tag waren mit der Zeit allmählich verblaßt und schmerzten längst nicht mehr so unerträglich wie ehedem. Und dennoch lauerte ihr bei allem, was sie tat, worüber sie nachdachte, andauernd die ungute Erinnerung gleichsam aus dem Hinterhalt auf. So auch jetzt – Kira dachte an alles mögliche, nur nicht an die miesen Typen vom Strand – da drang es von irgendwo aus dem fernen Unbewußten langsam hervor: ,Gleb… Gleb…‘ Und blitzartig kam sie drauf: ,Gl;bow… Gl;bow…, also Wit;li Gl;bow!‘ Schlagartig wurde ihr klar, woher sie sein Gesicht zu kennen meinte.
…Vor etwa drei Jahren fuhr sie auf Sommerurlaub nach Hause. Ihrer Mutter schien sie müde und ausgezehrt. Daher verordneten ihr die Eltern ultimativ – sie solle sich jegliche Gedanken an die Arbeit oder irgendwelche Angelegenheiten verbitten und sich unbedingt erholen! Nur bei Sonne, Meer und Obst, sprich gesunder Ernährung. Seinerzeit verschwand Kira tagelang am Strand. Eben hier traf sie zum erstenmal auf Glebow.
„Du, Kira, schau mal da, schnell!“, stieß sie die Freundin überraschend an.
Kira sah auf und gewahrte den jungen Mann, welcher gerade in einiger Entfernung vorüberkam, auf eine lärmende Meute zugehend, die ihm winkend Zeichen gab.
„Na, wie gefällt der dir?“, fragte die Freundin ungeduldig.
„Nicht übel“, ließ Kira nach einem flüchtig musternden Blick kein sonderliches Interesse an dem Unbekannten erkennen.
In dem Moment hörte sie hinter sich jemand rufen: „Glebow!“ Der wandte sich um, nahm die große Sonnenbrille ab, und beim Anblick seines Gesichts verschlug es Kira schier den Atem. Er war in der Tat von einer seltenen Schönheit – wie ein Kunstwerk so schön –, dessen eingehender Betrachtung und ästhetischem Genuß man sich weder entziehen kann noch will. Alles an ihm war perfekt – sein ebenmäßiges, streng-herbes Profil, das – auch ohne einen Anflug von Geschmeidigkeit und Feinheit – keineswegs grobe Züge aufwies. Vielleicht rührte dieser Eindruck von dem beinah kindlich-entwaffnenden, zudem strahlendweiße wohlgestaltete Zähne entblößenden Lächeln her. Das dunkle dichte Haar hatte in der Sonne einen natürlichen gesunden Glanz. Er trug es lang und zu einem Zopf zusammengebunden. Selbst das stand ihm und wirkte natürlich, eben gar nicht eitel oder blasiert. Er strotzte vor Kraft, ließ seine Muskeln unter der gebräunten Haut sichtbar im Licht der Sonne spielen. Kira sah ihn nur für Sekunden, schon mischte er sich unter die Leute, die auf ihn gewartet hatten, und verschwand, gerade als die Freundin halbgekränkt mit einer Frage nachstieß: „Wie – nicht übel? Mit so einer Figur und so einem Gesicht! Ich glaub, du hast sie nicht alle?“
„Wer ist das denn?“
„Ein stadtbekannter Dandy. Einer von denen, die förmlich im Geld schwimmen und sich alles unter den Nagel reißen. Erinnerst du dich an Sl;wka? Mensch, Kira… an meinen Cousin? Ich hab euch miteinander bekanntgemacht im vorigen Jahr.“
Kira nickte: „Ja, ja – ich erinnere mich“.
„Das ist dieser Glebow, der ihm beim Autokauf behilflich war, als sie ziemlich abgebrannt waren. Ich meine, der Typ weiß gar nicht, was es heißt, ,abgebrannt‘ zu sein.
„Er ist also auch noch so eine lokale Autorität?“
„Das weiß ich eben nicht und tut jetzt auch nichts zur Sache. Aber mir ist der schon eine komische Type: zieht mit so häßlichen Gestalten rum…“
Mittlerweile konnte sich Kira nur noch wundern – jetzt, da sie sich erinnerte –, daß sie ihn, Glebow, nicht gleich auf den ersten Blick erkannt hatte. Denn selbst wenn sie ihn damals das erstemal auch nur kurz, sein Gesicht gar nur für ein paar Sekunden gesehen hat, prägt sich ein derart auffallendes äußeres ein, ob es einem lieb ist oder nicht. Ist ihr das dann alles entfallen wegen der ganzen Aufregung und Sorgen, die sie seinetwegen hatte?
Glebow ließ seinen Blick durch den gemütlichen kleinen Saal schweifen. Wie immer gab es zu dieser Stunde kaum noch freie Plätze. Die gedämpften Saalleuchter verströmten ein schummriges Licht. Etwas veranlaßte ihn, nochmals nach dem kleinen Tisch in der Nähe der Bühne zu sehen, an dem ein ihm unbekannter Mann für sich allein saß. Als der die Brille mit den getönten Gläsern abnahm, erkannte ihn Glebow.
Sergej zeigte mit der Brille auf den Stuhl neben sich.
In einer Auftrittspause ging Glebow auf Sergejs Tisch zu und setzte sich ihm gegenüber. Der Kellner stellte Glebow ein orangefarbenes Getränk in einem hohen Glas hin. Sie schwiegen eine Weile. Glebow versuchte, indem er zurückgelehnt an seinem Tonic nippte, zu entspannen. Dann fragte er, ohne Sergej dabei anzusehen, von oben herab: „Hm, erst rufst du mich, und dann schweigst du?..“
„Rück schon raus, was da war!“
„Na, nichts. Was hast du denn gedacht?“
„Und wieso lag da 'ne kaputte Flasche rum?“
Glebow grinste: „Ach so…, das meinst du. Damit wollte deine Langbeinige ihre Ehre verteidigen.“
Sergej zuckten die Wangenknochen.
„Das soll alles gewesen sein?“
„Ich hab dir doch gesagt – nichts war. Angeboten haben wir uns ihr, sie hat dich vorgezogen. Da haben wir uns eben getrollt – was soll einer denn mit 'ner unerwiderten Liebe?!“
Nach einem kurzen Schweigen sagte Sergej: „Ich glaub dir nicht“.
Glebow verzog den Mund.
„Ihr habt sie nicht angerührt?“
Glebow griente hämisch.
„Hat sie sich etwa beschwert, wir hätten sie nicht rangenommen?“
Sergej schaute düster drein: „Ich glaub nicht, daß es so war, wie du erzählst. Ich krieg's raus. Wenn ihr ihr was getan habt, bring ich dich um“.
„Versündige dich nur nicht, mich trifft keine Schuld. Ich bin unschuldig wie ein Neugeborenes. Jetzt entschuldige mich, ich bin zum Arbeiten hier. Komm ruhig mal wieder vorbei.“ Glebow stand auf, im Gehen wandte er sich noch einmal zu Sergej um: „Eins laß dir noch gesagt sein, die wird nicht deine Frau. Das ist kein Mädchen für dich.
„Das geht dich einen Dreck an!“
Sergej schlenderte ziellos durch die Stadt, ohne zu merken, was rings um ihn herum geschah. Sein Kummer kratzte schwer an seiner Seele.
„Kira, meine liebe Kira, du meine Kleine, was soll jetzt nur werden aus uns? Kann ich dir noch in die Augen sehen?“
Viel würde Sergej darum geben, könnte er diese Geschichte nur für einen bösen Traum ansehen. Womöglich ist auch gar nichts Schlimmes passiert. Glebow trieb seinen Spott mit ihm, aber log nicht, das war Sergej klar. Trotzdem mußte da mit Sicherheit was vorgefallen sein! Die zertepperte Flasche… In seiner Ohnmacht ballte er die Fäuste, weil er einsah, daß er nichts mehr ändern konnte und es sinnlos war, sich noch weiter zu

Reuen und  sühnen-5


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